75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Dienstag, 17. September 2024, Nr. 217
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Thälmann, Beilage der jW vom 14.08.2024
Thälmann

Gefangener ohne Prozess

Elf Jahre in der Hand der Faschisten: Haft und Ermordung Ernst Thälmanns
Von Ulrich Schneider
4.jpg
Ernst Thälmann im Hof des Untersuchungsgefängnisses Moabit (Mai 1934)

Wenige Tage nach dem Reichstagsbrand und kurz vor der schon nicht mehr »freien« Reichstagswahl am 5. März 1933 fiel auch der KPD-Vorsitzende den Nazis in die Hände. Am Nachmittag des 3. März verhafteten Polizeibeamte Ernst Thälmann zusammen mit seinem Sekretär Werner Hirsch in einem konspirativen Quartier in Berlin-Charlottenburg, das er bereits mehrmals genutzt hatte. Die Polizei war durch Bekannte der Quartiergeber auf die Anwesenheit Thälmanns hingewiesen worden. Warum es dem Sicherheitsapparat der KPD nicht rechtzeitig gelang, den gefährdeten Parteiführer in ein sicheres Quartier zu bringen, war über Jahrzehnte hinweg immer wieder Gegenstand von Spekulationen. Fakt ist jedenfalls, dass Thälmann nicht durch Verrat seiner Genossen in die Hände der Faschisten fiel.

Der Umgang mit einem solchen politischen Führer der Arbeiterbewegung zeigte den Charakter des Naziregimes. Im Kampf gegen diesen Gegner galten keinerlei Regeln des bürgerlichen Staates. Thälmanns Verhaftung war wegen seiner Immunität als Reichstagsabgeordneter rechtswidrig, dennoch stellte die Berliner Staatsanwaltschaft einen rückdatierten Haftbefehl »im Interesse der öffentlichen Sicherheit« aus. Gleichzeitig plante man einen öffentlichen Prozess, mit dem der »Sieg über den Bolschewismus« demonstriert werden sollte. Hierfür sollte Material über angebliche »Putschabsichten« der KPD gesammelt werden – das gelang allerdings nicht.

Da die Prozessvorbereitung länger dauerte, wurde Ende Mai 1933 Thälmanns »Schutzhaft« aufgehoben und er kam formell in Untersuchungshaft. Dazu verlegte man ihn vom Polizeipräsidium am Alexanderplatz in die Untersuchungshaftanstalt nach Moabit. Damit wurde der erste Plan der KPD zur Befreiung Thälmanns obsolet. Es dauerte etwa ein Jahr, bis die Anklageschrift des Oberreichsanwalts erstellt war. Die Hauptverhandlung sollte im Juli 1934 stattfinden. Jedoch kam es zu keinem öffentlichen Verfahren – was Thälmann, der sich intensiv auf diesen Prozess vorbereitet hatte, sehr bedauerte.

Ein wesentlicher Grund für diese Entscheidung waren die Erfahrungen mit dem Reichstagsbrandprozess, der 1933 inszeniert worden war. Auch hier sollte eine »kommunistische Verschwörung« nachgewiesen werden. Durch das mutige Auftreten von Georgi Dimitroff wurde das Verfahren ein absolutes Desaster für die Nazipropaganda. Wieviel mehr mussten die Nazis befürchten, dass bei einem öffentlichen Prozess gegen Ernst Thälmann dessen Auftreten ein propagandistischer »Super-GAU« werden würde. Selbst die Anklageschrift gegen Thälmann galt als »Geheime Reichssache«, dennoch gelangte sie 1936 an die Öffentlichkeit.

Einen gewissen Schutz für Thälmann bildete in den 30er Jahren die breite internationale Aufmerksamkeit und Solidarität. Auf der ganzen Welt entstanden Komitees unter der Losung »Freiheit für Ernst Thälmann und alle politischen Gefangenen in den faschistischen Haftstätten«. Die Internationale Rote Hilfe, aber auch bürgerliche Antifaschisten organisierten Solidaritätskampagnen, die faschistische Mordpläne gegen Thälmann politisch riskant machten. Zu seinem 50. Geburtstag am 16. April 1936 erreichten Ernst Thälmann Glückwünsche aus der ganzen Welt, darunter von Maxim Gorki, Heinrich Mann, Martin Andersen Nexø und Romain Rolland. Im Spanienkrieg trug ein Bataillon der XI. Internationalen Brigade, in der viele KPD-Mitglieder dienten, seinen Namen. 1937 wurde Thälmann ohne Aussicht auf ein Gerichtsverfahren als »Schutzhäftling« von Berlin in das Gerichtsgefängnis Hannover überführt. Von dort wurde er während des Krieges in das Zuchthaus Bautzen verlegt.

Die im Sommer 1944 zur Gewissheit werdende militärische Niederlage des Naziregimes veränderte die Pläne der Nazis mit dem prominenten politischen Gefangenen. Das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zeigte, dass nun auch Vertreter der alten Eliten in Deutschland sich von den Nazis abwandten. Einen Prozess gegen Thälmann nach einem »Endsieg« würde es nicht mehr geben. Die Konsequenzen protokollierte Heinrich Himmler nach einer Besprechung mit Hitler im August: »Thälmann ist zu exekutieren.«

Ernst Thälmann wurde am 17. August 1944 von einem Gestapo-Kommando aus dem Zuchthaus Bautzen ins KZ Buchenwald gebracht, wo man ihn durch ein Nebentor direkt zum Krematorium schaffte. Dort wurde er in der Nacht zum 18. August von einem Exekutionskommando in Empfang genommen und hinterrücks erschossen. Seine Leiche wurde von den Tätern direkt im Krematorium verbrannt.

Da die Nazis selbst nicht sicher waren, ob dieses Verbrechen auf Dauer geheimzuhalten war, versuchten die Mörder die Tat propagandistisch zu kaschieren. Im Völkischen Beobachter konnte man Mitte September 1944 die Meldung finden, Thälmann sei wie auch der SPD-Politiker Rudolf Breitscheid bei einem alliierten Bombenangriff auf die Umgebung von Weimar, bei dem auch das Konzentrationslager Buchenwald von zahlreichen Sprengbomben getroffen wurde, ums Leben gekommen. Das traf zwar bei Breitscheid zu, der im »Sonderlager Fichtenhain« eingekerkert war, nicht aber bei Thälmann.

Im KZ selber hatte sich der Mord schneller herumgesprochen, als es der SS lieb war. Als die Meldung erschien, hatten die Genossen traurige Gewissheit. Schon vorher hatte sich ein polnischer Tatzeuge deutschen Antifaschisten anvertraut und ihnen von seinen Beobachtungen berichtet. In einer hochriskanten, noch immer Respekt abnötigenden Reaktion organisierten kommunistische Häftlinge am 18. September 1944 in einem Keller eine illegale Gedenkfeier für Ernst Thälmann. Die Aktion war nicht mit der illegalen Leitung abgestimmt. Wahrscheinlich hätte sie aus Sicherheitsgründen ein solches Treffen abgelehnt, denn tatsächlich war auch ein Spitzel bei dieser Feier zugegen. Mehrere Teilnehmer wurden verraten, unter ihnen Bruno Apitz, der bei der Feier musizierte, und Willi Bleicher, Kapo in der Effektenkammer, der von der Gestapo als Organisator der Gedenkfeier angesehen wurde. Bleicher wurde in das Gestapo-Gefängnis von Weimar überstellt.

Trotz des SS-Terrors gelang es den Häftlingen von Buchenwald am 11. April 1945, als die US-amerikanischen Truppen in der Nähe von Weimar und dem Ettersberg waren, sich mit Hilfe ihrer internationalen Militärorganisation selber zu befreien. Sie versprachen am 19. April 1945 im Schwur von Buchenwald: »Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht.« Dies bezogen sie auch auf den Mord an Ernst Thälmann.

Einzelheiten über den Mord an Thälmann wurden bald nach dem Krieg öffentlich bekannt. Zum ersten Mal wurde der Mord im Frühjahr 1947 im »Buchenwald-Prozess« vor dem US-amerikanischen Gerichtshof in Dachau thematisiert. Am 26. April 1947 dokumentierte etwa die Rhein-Neckar-Zeitung detailliert die Zeugenaussage des polnischen Häftlings Marian Zgoda:

»Am 17. August 1944 war dem SS-Oberscharführer Warnstedt telefonisch die Anweisung übermittelt worden, die Verbrennungsöfen anheizen zu lassen. Trotz Verbots versteckte sich Zgoda hinter einem Schlackehaufen, um zu erfahren, was die ungewöhnlichen Vorbereitungen der SS bedeuteten. Gegen Mitternacht kamen acht SS-Leute ins Krematorium, die Zgoda alle namentlich nennt, darunter Stabsscharführer Wolfgang Otto, Angehöriger des ›Kommando 99‹ genannten ständigen Exekutionskommandos, und Oberscharführer Werner Berger. Etwa zehn Minuten später wurde ein breitschultriger Zivilist in einem Auto in den Vorhof des Krematoriums gefahren; Zgoda fiel besonders auf, dass dieser Mann keine Haare hatte. Im selben Augenblick, da der Gefangene die Türe passiert hatte, wurde er durch drei Schüsse von hinten niedergestreckt, anschließend wurde er durch einen vierten Schuss endgültig getötet. Als die Mörder das Krematorium verließen, hörte Zgoda den Rapportführer Hofschulte zu Otto sagen: ›Weißt du, wer das war?‹ Darauf Otto: ›Das war der Kommunistenführer Thälmann.‹«

Die Frankfurter Rundschau titelte am 22. April 1947: »Ernst Thälmann wurde erschossen und verbrannt«. Der in Zgodas Aussage genannte Wolfgang Otto wurde im August 1947 wegen Mithilfe und Teilnahme an Gewaltverbrechen im KZ Buchenwald zu 20 Jahren Haft verurteilt – allerdings nicht wegen der Ermordung von Ernst Thälmann. Später wurde die Haft auf zehn Jahre reduziert, Otto »wegen guter Führung« nach weniger als fünf Jahren vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Das Konzentrationslager Buchenwald kurz nach der Selbstbefreiung...
    11.04.2020

    Erinnerung und Vermächtnis

    Vor 75 Jahren wurde das Konzentrationslager Buchenwald befreit – von den Häftlingen selbst. Das wird seit 1990 bestritten
  • Thälmann spricht: Kundgebung der KPD im Berliner Lustgarten am 1...
    17.08.2019

    Nicht vom Posten gewichen

    Vor 75 Jahren wurde der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann von einem Sonderkommando der Gestapo im KZ Buchenwald ermordet
  • Die Villa am Wannsee, in der der bürokratische Apparat ...
    20.01.2012

    Dokument des Terrors

    Geschichte. Vor 70 Jahren: Die Konferenz am Wannsee am 20. Januar 1942