Der »grüne« Protektionismus
Von Knut MellenthinFür die einen ist es das größte Investitions- und Reformprogramm auf dem Gebiet des Klimaschutzes und der »sauberen« Energieträger in der Geschichte der USA. Für andere ist es einfach nur »grüner Quatsch«. Donald Trump hat mehrfach angekündigt, dass er das Herzstück des Vorhabens, den »Inflation Reduction Act« vom 16. August 2022, abgekürzt IRA, abschaffen werde, sollte er die Präsidentenwahl am 5. November gewinnen. Ob er das wirklich will und kann, ist ungewiss. Es gibt in der Republikanischen Partei auch Politiker, deren lokale Basis von Teilen des Gesetzes profitiert hat.
Denn dieses sieht vor, Investitionsanreize, Subventionen und Entwicklungshilfen – etwa bei der medizinischen Versorgung und einer unwettersicheren flächendeckenden Elektrifizierung – besonders auf ländliche Gebiete und andere »abgehängte« Regionen zu konzentrieren. Mehr als die Hälfte der Zuwendungen geht in Bezirke, wo überwiegend republikanisch gewählt wird. Der planmäßige Übergang von traditionellen Brennstoffen zu erneuerbaren Energieträgern wie Sonnenkraft und Windkraft ist dabei nur einer unter vielen Aspekten des Pakets IRA, das offensichtlich bewusst ganz unterschiedlichen Interessengruppen Vorteile bringt. Die »grüne« Programmatik, die schon bei der Namensgebung des Gesetzwerks nicht in den Vordergrund gestellt wurde, ist offenbar nicht der propagandistisch attraktivste Teil des Pakets.
Das zeigt sich deutlich im Vergleich der »Factsheets«, die das Weiße Haus zum ersten und zum zweiten Jahrestag des IRA, am 16. August 2023 und am gleichen Tag des laufenden Jahres, auf seiner Website veröffentlichte. Im Vorjahr waren die ersten Seiten der Bilanz eindeutig den riesigen Investitionen im Kontext der »sauberen« Energiequellen und der damit einhergehenden »Schaffung neuer Arbeitsplätze« gewidmet. Jetzt aber, im Zeichen der Endphase des Wahlkampfs, stellte das Büro von Präsident Joseph Biden einen ganz anderen Teil des Pakets, die Preisbremse für eine Reihe von Medikamenten wie Insulin zur Diabetesbehandlung und die Senkung der Beiträge zur Krankenversicherung, in den Mittelpunkt.
Umfragen zeigen, dass die »grünen« Teile des Gesetzwerks die Mehrheit der US-Amerikaner nicht besonders interessieren. Zudem hätten die meisten Menschen bisher kaum Verbesserungen in diesem Bereich wahrgenommen. Das ist nicht einmal verwunderlich, da der IRA erst seit zwei Jahren in Kraft ist. Auch die 330.000 »neuen Jobs«, die durch die Investitionen entstanden sein sollen, befinden sich im Anfangsstadium vermutlich schwerpunktmäßig in der Bauwirtschaft und deren Zulieferern und noch nicht im Bereich der industriellen Produktion, wie etwa der Herstellung von Sonnenkollektoren, Elektroautos, Batteriespeichern oder Halbleitern.
Der IRA rechnet für den Zeitraum der nächsten zehn Jahre unter anderem mit der Ausgabe von insgesamt 783 Milliarden US-Dollar für die Bekämpfung des Klimawandels und den Übergang zur Gewinnung »sauberer« Energie. Hauptsächlich geht es um Investitionsanreize und um Subventionen. Auf der anderen Seite werden Mehreinnahmen des Staates durch eine Neuaushandlung der Medikamentenpreise mit der Pharmaindustrie (281 Milliarden US-Dollar), durch die Einführung einer Mindeststeuer für alle Firmen mit mehr als einer Milliarde US-Dollar Gewinn im Jahr (222 Milliarden) und durch striktere Steuereintreibung (181 Milliarden US-Dollar) erwartet. Das ist der Haupteinwand des Industrieverbands NAM (National Association of Manufacturers) gegen den IRA. Die neuen Steuern seien ein Schlag gegen ihre Fähigkeit, Löhne zu erhöhen, Arbeiter einzustellen und Investitionen in ihren Gemeinden vorzunehmen, klagen die Kapitalisten.
Das Energieministerium geht in einer Studie zum IRA und einem weiteren Gesetz, dem »Infrastructure Investment and Jobs Act« vom 15. November 2021, davon aus, dass in Folge der beschlossenen und geplanten Maßnahmen die Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 um 41 Prozent niedriger als 2005 sein werden. Das »Net Zero«-Ziel, die sogenannte Klimaneutralität, kann nach dieser Rechnung bis spätestens 2050 erreicht werden. Das sind deutlich bescheidenere Ziele, als die Befürworter eines »New Green Deal« in der Demokratischen Partei fordern. Dem IRA ist anzumerken, dass die nach monatelangen Auseinandersetzungen beschlossene Fassung ein Gemeinschaftswerk des konservativen Senators Joseph Manchin, dessen Familie ihr Vermögen im Kohlengeschäft gemacht hat, und des als Israel-Lobbyist und geschickter Kompromissvermittler bekannten Senators Charles Schumer ist.
Die hinter dem IRA und damit eng verbundenen Gesetzen wie dem »Chips and Science Act« vom 9. August 2022 stehende Regierungspolitik hat einen eindeutigen und offenen protektionistischen Charakter: der Schutz und die Förderung der nationalen Wirtschaft gegen die anderer Staaten, darunter auch die der Europäischen Union. Dieses Ziel wird aber bisher nur teilweise erreicht, wie die Financial Times am 12. August konstatierte.
Ungefähr 40 Prozent der größten Investitionen, die im ersten Jahr aufgrund der beiden Gesetze angekündigt worden waren, hätten sich zwischen zwei Monaten und mehreren Jahren verzögert oder seien unbefristet unterbrochen worden. Als wichtigste Gründe werden Verschlechterungen der Marktbedingungen, Verlangsamung der Nachfrageentwicklung, unerwartet hohe Kosten, ein »Zusammenbruch« bestimmter Weltmarktpreise aufgrund chinesischer »Überproduktion« und das Fehlen politischer Gewissheit angesichts eines möglichen Wahlsiegs von Trump genannt.
Die Investitionsanreize und Subventionen für die Fertigung von Produkten, die vor allem mit chinesischen Erzeugnissen konkurrieren müssen, reichen nicht aus, diese wirklich international wettbewerbsfähig zu machen. Die Biden-Administration hat deshalb am 14. Mai mit Berufung auf den IRA eine Reihe von Strafzöllen gegen Waren aus der Volksrepublik erhöht oder neu eingeführt. Auf der Website des Weißen Hauses erschien die Mitteilung dazu unter der Überschrift »Präsident Biden greift zur Tat, um amerikanische Arbeiter und Unternehmen vor Chinas unfairen Handelspraktiken zu schützen«.
Einige Beispiele: Der Zoll für bestimmte Stahl- und Aluminiumprodukte wurde von maximal 7,5 Prozent auf 25 Prozent erhöht; für Halbleiter von 25 auf 50 Prozent; für Elektrofahrzeuge von 25 auf 100 Prozent; für Solarzellen, bei denen China drei Viertel des Weltmarkts beherrscht, von 25 auf 50 Prozent; für medizinische Spritzen und Nadeln wurde ein Zoll von 50 Prozent neu eingeführt, für Gummihandschuhe von 7,5 auf 25 Prozent erhöht. In diesem Zusammenhang wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, »eine starke einheimische Industriebasis zu unterstützen und zu erhalten«, die sich während der Covid-19-Pandemie gezeigt habe. Das kann man ohne weiteres auch auf die Perspektive verschärfter geopolitischer Konflikte bis hin zu militärischen Konfrontationen übertragen.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 05.08.2024
Souverän hungern
- 21.03.2024
Reich geboren, revolutionär gestorben
- 24.10.2023
Doppelte Abfuhr