»Klimareparationen können Lebensbedingungen verbessern«
Von Alex FavalliSie haben im August 2024 ein Dossier »Bausteine für Klimagerechtigkeit« zwischen globalem Norden und globalem Süden veröffentlicht. Was schlagen die Autoren als Ausgleich vor?
Die finanzielle Entschädigung für klimabedingte Verluste und Schäden sowie für die Anpassung an die Realität der Klimakrise ist unerlässlich. Gerechte Handelsbeziehungen sind eine Voraussetzung für Klimagerechtigkeit. Dafür muss das unterschiedliche Maß an Verantwortung und Verwundbarkeit des Nordens und Südens anerkannt werden. Die nördlichen Volkswirtschaften müssen ihre Aneignung globaler Ressourcen – besonders aus südlichen Ländern – reduzieren. Diese wollen sie zugunsten von »grüner« Energie und Materialien derzeit aber fortsetzen.
Klimareparationen sollen Handlungsraum und Autonomie ermöglichen. Dort, wo die Menschen am stärksten von der Klimakrise und dem neokolonialen Raubbau betroffen sind. Schulden sollten gestrichen werden, um finanzielle Spielräume und Möglichkeiten zu eröffnen. Die Länder des Südens können dann besser in Maßnahmen investieren, um sich den Bedingungen anzupassen, die Auswirkungen zu vermindern und die Bedürfnisse ihrer Bürger zu erfüllen. Eine systemische und strukturelle Transformation der globalen Wirtschaft bedeutet also vor allem eine gerechte Umverteilung von Ressourcen.
Wie hängt die koloniale Vergangenheit mit der heutigen Diskrepanz zusammen, wenn wir von »Klimaschulden« sprechen?
Die Industrialisierung des Westens basierte immer auf kolonialer Ausbeutung und kapitalistischer Expansion. Es ist nur ein tragisch ironischer Aspekt, dass die »nördlichen« Volkswirtschaften die globalen atmosphärischen Gemeingüter für sich beanspruchen konnten: Frühe Investitionen in kohlebetriebene Maschinen wurden durch Einnahmen aus dem atlantischen Sklavenhandel finanziert und vertieften so die wirtschaftliche Hierarchie zwischen den Weltregionen.
Die Länder des Südens tragen eine enorme finanzielle Schuldenlast. Wie unterscheiden sich Schulden der Industrieländer und die des globalen Südens?
Die Industrieländer haben mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer Finanzpolitik. Viele der Schulden werden von inländischen Banken oder Einzelpersonen gehalten. Für den globalen Süden bedeutet Verschuldung oft eine erhöhte Abhängigkeit von nördlichen Finanz- und Staatseinrichtungen. Der Schuldendienst bedeutet einen Nettogeldfluss in den Norden: Die Verschuldung des Südens steigert die Macht des Nordens, haben Programme von IWF und Weltbank gezeigt. Schulden werden auch als Instrument benutzt, um Länder zu zwingen, extraktive Praktiken anzunehmen, Einnahmen zu erzielen, um Zinszahlungen zu bedienen.
Klimaschulden folgen einer anderen Logik und verdeutlichen, dass die Frage »Wer schuldet wem was?« komplexer ist, als finanzielle Schuldstatistiken vermuten lassen.
Klimareparationen von Industrieländern würden beträchtliche Summen erfordern. Wie sollen diese Zahlungen aussehen?
Die Industriestaaten könnten zunächst den neuen »Verlust- und Schadensfonds« der UNO auffüllen. Bislang existiert keine Möglichkeit, Haftung für den Klimawandel festzustellen. Da der Norden kein eigenes Fehlverhalten und keine historische Verantwortung für den Klimawandel anerkennt, wird Klimafinanzierung dort als Wohltätigkeit, nicht als Entschädigung wahrgenommen.
Mit einem konsistenteren und verbindlichen Verfahren, das auf den historischen Pro-Kopf-Emissionen der Länder basiert, könnte sich das ändern. Es gibt viele Möglichkeiten, erforderliche fiskalische Ressourcen zu finden. Etwa CO2-Steuern oder einen erhöhten Steuersatz auf Flugtickets. Durch letzteren würden wohlhabendere Menschen den größten Anteil zahlen. Langfristig müssen solche Aktivitäten aber reduziert werden, während der Bedarf an Reparationen bestehen bleibt. Es braucht also mehr Optionen, etwa eine allgemeine Vermögens- oder Erbschaftssteuer.
In der Migrationsdebatte wird häufig erklärt, man müsse »Fluchtursachen« in Herkunftsländern verhindern. Stimmt das mit Ihren Argumenten überein?
Ein Schuldenerlass und Klimareparationen können die Lebensbedingungen in vielen Ländern des Südens verbessern. Für rechte Politiker ist »Bekämpfung der Ursachen« oft nur ein rhetorischer Punkt zur Verteidigung ihrer Migrationspolitik. Sie haben nicht vor, tatsächlich Reparationen oder veränderte Handelsbeziehungen zu unterstützen. Die wenigen finanziellen Zusagen sind normalerweise an strengere Kontrollen der Migrationsbewegungen durch Regierungen des Südens geknüpft. Abkommen, die mit Diktatoren getroffen werden, neigen dazu, deren Macht und die Gründe für Migration zu verstärken.
Ergreifen wir keine konkreten Klima- und Entwicklungsmaßnahmen, wird der Klimawandel Menschen weiter zur Migration zwingen. Es ist höchste Zeit, eine rechtliche Anerkennung der Klimakrise als Grund für Asylsuchende in Betracht zu ziehen.
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