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Aus: VR China, Beilage der jW vom 25.09.2024
Volksrepublik China

Mehr Konsum, bessere Häuser, eigene Chips

Chinas Antwort auf den Wirtschaftskrieg: Angebotssteigerungen, mehr Haushaltseinkommen und nationale Innovationsstrategie zur Binnenwirtschaftsstabilisierung
Von Paul Fischer
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Volkskommunen in China galten als die untersten Zellen des sozialistischen Staates. Kollektivbauern auf einem Plakat um 1960

Am 16. September meldete Renmin Ribao (People’s Daily, das Organ der KP Chinas) eine Stabilisierung der Wirtschaftslage im August 2024, verwies aber auf das komplexe und schwierige globale Umfeld. Nicht nur die aktuellen Naturkatastrophen, auch die Notwendigkeit der Transformation zu einer ökologischen und innovativen Produktion stellen weiterhin wichtige Herausforderungen dar.

Nachrichten aus dem Ausland waren für die chinesische Wirtschaft in der letzten Zeit vor allem Anlass zur Sorge: Obwohl immer noch eine hohe Verflechtung mit westlichen Märkten besteht, nehmen Bemühungen zum sogenannten »Derisking« wie Strafzölle, Reduzierung von Investitionen oder direkte Handelsverbote gegen China zu. Gleichzeitig hat sich die Wirtschaft nach den Pandemiejahren nicht vollständig erholt und bestehende Probleme haben sich verschlechtert. Auf welche Maßnahmen setzt die Kommunistische Partei Chinas nun im Inland, um eine ernste Krise zu verhindern und seinerseits Abhängigkeiten zu reduzieren?

Bislang konnte sich die Regierung auf zwei Antriebsmotoren für Wachstum verlassen: Ein durch die Urbanisierung und Investitionsnachfrage beschleunigter Immobiliensektor und immer hochwertigere Fertigung für den globalen Markt. Durch die internationale Wirtschaftslage wird jedoch die Nachfrage aus dem Ausland unsicherer und durch gesetzliche Vorgaben wird chinesischen Produkten wie etwa E-Autos der Marktzugang erschwert. Und auch im Inland führt ein geringes Wachstum bei den Haushaltseinkommen und Investitionen im Industrie- und Dienstleistungssektor dazu, dass kein Nachfrageschub für Produkte und Immobilien im Inland in die Bresche springen kann.

Im Bausektor kommt hinzu, dass Unternehmen oft hochverschuldet sind und Wohnungen nicht durch Preissenkungen attraktiver machen können, sondern dadurch in Insolvenz geraten. Die Regierung kann diese wiederum nicht auffangen, da durch den stagnierenden Sektor auch Landverkäufe zurückgehen, die einen großen Teil der Einnahmen von Lokalregierungen ausmachen. Und die Zentralregierung hat nicht, wie früher üblich, Konjunkturprogramme und Subventionen für die Provinzen angekündigt. Ebensowenig bietet eine Bereitstellung von weiteren Krediten durch die Zentralbank einen Ausweg. Der Abbau der Schulden der Lokalregierungen soll eine schwerwiegende Bankenkrise verhindern. Konjunkturprogramme könnten hierbei einen Rückgang der Inflation verhindern und indirekt über sinkende Realzinsen die Nachfrage nach Immobilien stabilisieren.

Als Ausweg wird unter anderem die Erhöhung der Binnennachfrage bei Haushalten angesehen. Der Staatsrat veröffentlichte dazu im August eine Stellungnahme, die die Entwicklung von Dienstleistungen insgesamt, aber Tourismus, Gastronomie und Altenpflege insbesondere verstärken soll. Die alternde Bevölkerungsstruktur unterstützt dabei grundsätzlich das Ziel einer sinkenden Sparquote, da im Alter Ersparnisse abgebaut werden. Eine Verbesserung von Qualität, Innovation und Standards in den relevanten Sektoren soll sicherstellen, dass durch mehr Konsum ein neuer Wachstumsmotor entstehen kann.

Bessere Qualität soll auch bei Wohngebäuden durch ein neues System sichergestellt werden, wie der Staatsrat in einer Pressekonferenz im August mitteilte. Schadhafte und nicht ausreichend instand gehaltene Gebäude sorgen immer wieder für tragische Unfälle, aber eine Finanzierung über die bereits belasteten Lokalregierungen oder Haushaltseinkommen ist für die meisten schwer vorstellbar.

Im Industriesektor setzt die Regierung weiterhin auf eine Ausweitung und Aufwertung der Produktion durch neue und vielfältigere Technologien. Dabei zeichnet sich eine Verschiebung vom vor allem wettbewerbsorientierten Ansatz der 2000er bis 2010er Jahre ab. Diese Strategie sah eine breite Förderung von innovativen Unternehmensneugründungen vor, aus denen sich auf dem Markt die erfolgreichsten behaupten sollten. Auch wenn dieses Modell beim Aufbau von neuen Industrien Erfolge verzeichnen konnte, zeigen sich insbesondere in der Hochtechnologie Grenzen. Aufgrund abnehmender Fortschritte und diverser Skandale, insbesondere bei Computerchips, bei denen Subventionen in Scheinunternehmen verloren gingen, wird jetzt die zentrale Kontrolle der Innovationsförderung und die Fokussierung auf bestimmte Unternehmen und Standorte politisch favorisiert.

Auf der vierten Plenarsitzung des 19. Zentralkomitees der KPCh 2019 wurde dementsprechend ein neues nationales System für die Forschung an Schlüsseltechnologien beschlossen, mit dem die Führung der Partei bei der Koordinierung von gesellschaftlichen Ressourcen eine Ausrichtung auf strategische Innovationen vorsieht. In Abgrenzung zu den Anforderungen nach der Gründung der Volksrepublik, als eine planwirtschaftliche Konzentration auf den Aufbau von Strukturen und Fachkräften verfolgt wurde, geht es jetzt darum, nach einer Phase schnellen Wachstums nachhaltig technologischen Fortschritt und einen hohen Lebensstandard zu sichern.

Viel zitiert wird in diesem Zusammenhang eine Rede Xi Jinpings an der chinesischen Akademie der Wissenschaften 2014, der zufolge der Markt eine entscheidende Rolle bei der Verteilung wissenschaftlicher und technologischer Ressourcen einnehmen und die Produktivität der sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung weiter erhöht, aber auch die Rolle der Regierung bei der Koordination verbessert werden soll.

Statt direkter Anweisungen aus der Zentralregierung soll dieses System einen Kooperationsmechanismus etablieren, bei dem Regierungsabteilungen in einer »Sechs-zu-eins-Integration« mit Akteuren aus dem Innovationssystem wie Firmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen, Anwendern und Finanzakteuren zusammenarbeiten. Als Beispiel für die Umsetzung des neuen Systems lässt sich das Netz aus aktuell 29 nationalen Innovationszentren für die Fertigung verstehen. Standorte, die so ausgezeichnet werden, z. B. für Computerchips und Robotik, erhalten leichteren Zugang zu Personal und Finanzmitteln. Gerade in sogenannten Schlüssel-, Kern- und Grenzforschungsgebieten sieht die Partei für die Gesamtentwicklung, aber auch die nationale Sicherheit unverzichtbare Wachstumselemente.

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