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Aus: 75 Jahre DDR, Beilage der jW vom 02.10.2024
DDR 75

Um eine ganze Epoche

Warum noch immer über die Frauen der DDR zu reden ist
Von Florentine Morales Sandoval
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Arbeiterinnen in der Qualitätskontrolle der Spirituosenfabrik VEB Bramsch Dresden (27.8.1958)

Das Ende der DDR bedeutete für ihre Frauen einen rechtlichen Rückschritt um eine ganze Epoche: Noch stritt sich die neue Frauenbewegung, was aufhebens- und was verdammenswert sei am DDR-Sozialismus, da erübrigte sich die Abwägung auch schon. Keines der DDR-Gesetze galt mehr. Kontinuitäten des sozialistischen Systems in irgendeinem Bereich, also auch in der Familien- und Sozialpolitik, sollte es nicht geben. Das Bürgerliche Gesetzbuch regelte wieder das Familienrecht, Strafgesetzbuchsparagraphen aus der Kaiserzeit reglementierten Abtreibungen und den Zugang zu Informationen darüber. Und im Kontext einer beispiellosen Deindustrialisierung hatten Frauen entweder die Verachtung neuer westdeutscher Vorgesetzter oder Arbeitslosigkeit und die Zurückdrängung in die Abhängigkeit vom Mann zu fürchten. Verloren wurden ein Staat und eine Gesellschaft, die sich der Aufgabe der Befreiung der Frau angenommen hatten.

Die Umwälzungen in Ostdeutschland waren so grundlegend, dass noch über 30 Jahre nach ihrem Ende Auswirkungen der Gleichstellungspolitik der DDR spür- und messbar sind, sei es bei dem im Osten höheren Grad der Berufstätigkeit von Frauen, der höheren Kindergartendichte oder dem geringeren Lohngefälle zwischen Männern und Frauen im Osten, das im Westen deutlich ausgeprägter ist. Obwohl so mancher knifflige Widerspruch auch in der DDR nicht überwunden war – Stichwort Hausarbeit oder Löhne –, erscheint im Blick zurück aus einer Gegenwart, in der diese Widersprüche unter kapitalistischen Bedingungen in verschärfter Weise fortbestehen, vieles verloren. Trotzdem: Im Schatten, den sie aus der Vergangenheit auf die Gegenwart wirft, hält die DDR der bundesdeutschen Nachfolgegesellschaft deren Unzulänglichkeiten weiterhin vor und eröffnet eine Perspektive, die in feministischen Auseinandersetzungen häufig fehlt. Denn das andere und Besondere der Erfahrung der DDR gegenüber der feministischen Bewegung im Westen und von heute ist die Rolle der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und Massenmobilisierung für die Emanzipation der Frau.

Erklärtes Ziel der Frauenpolitik in der DDR war die Einbeziehung möglichst breiter Massen an Frauen in den Produktionsprozess, was wiederum nur möglich war, weil die gesellschaftlichen Bedingungen dafür in der DDR gegeben waren. Die Strategie fußte auf der innerhalb der revolutionären Arbeiterbewegung über das 19. Jahrhundert herangereiften Erkenntnis, dass der Kampf für demokratische, soziale und wirtschaftliche Rechte der Frau mit der Emanzipation der Arbeiterklasse als Ganzes aufs engste verflochten ist. Vorkämpferinnen der proletarischen Frauenbewegung wie Clara Zetkin betonten, dass nur die radikale Veränderung der Produktionsverhältnisse die Voraussetzung für die Befreiung der Frau schafft, denn ihre Unterdrückung und die über Jahrhunderte gewachsenen patriarchalen Beziehungen und Moralvorstellungen, waren aufs Engste mit der Entstehung des Privateigentums gekoppelt und fest mit der kapitalistischen Produktion verwachsen.

Die historisch fortschrittliche Tendenz des Zugangs für Frauen zur Arbeit, die unter den allgemeinen Bedingungen privatkapitalistischer Profitwirtschaft zwangsläufig besondere Ausbeutungsbedingungen für Frauen hervorbrachte, wurde in der DDR unter sozialistischen Produktionsverhältnissen fortgesetzt. Durch die Abschaffung des Privateigentums und der damit einhergehenden Veränderung des Charakters von Arbeit änderte sich auch die gesellschaftliche Stellung der Frau.

Das war jedoch nicht ohne ihr eigenes Zutun zu erreichen. Als Beispiel einer von vielen Masseninitiativen, mittels derer Frauen für die Berufstätigkeit mobilisiert wurden, seien die Hausfrauenbrigaden genannt. Als Kollektive nicht berufstätiger Frauen waren sie in den 1950ern dort in Arbeitseinsätzen aktiv, wo dringend Arbeitskräfte benötigt wurden und ermutigten Frauen, eine dauerhafte Beschäftigung aufzunehmen. Daraus resultierende Konflikte mit Ehemännern belebten die politische Debatte über die gesellschaftliche Isolation der Frauen im Häuslichen, während die Beteiligung am Produktionsprozess und damit die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau gestärkt wurde. Materielle Anreize und Bewusstseinsbildung wirkten ineinander.

Die Berufstätigkeit wiederum machte den Aufbau einer umfassenden Kinderbetreuungsinfrastruktur sowie die Reduzierung und bessere Aufteilung der Hausarbeit notwendig. Das waren Prozesse, die sich gegenseitig beeinflussten und voneinander abhängig waren. Der sozialistische Arbeitsplatz entwickelte sich auch für Frauen zu einer Drehscheibe, in der gesellschaftliche Aufgaben miteinander verwoben waren – Kulturangebote, Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten sowie die gesundheitliche Versorgung wurden über ihn organisiert. Hier konnten Arbeiterinnen selbst wirksam werden, Rechte einfordern und durchsetzen. Die gewerkschaftlichen Frauenkommissionen arbeiteten Frauenförderpläne mit aus, die ein kollektives Instrument zur planmäßigen und verpflichtenden persönlichen wie fachlichen Entwicklungsförderung der gesamten weiblichen Belegschaft eines Betriebes waren, und überprüften deren Einhaltung. Produktive Arbeit wurde zur wichtigsten Triebkraft, reproduktive Arbeit zum größten Hindernis für die Emanzipation der Frau.

40 Jahre sind eine kurze Zeitspanne. Diesem Umstand muss Rechnung getragen werden, wenn man die Aufgaben und Widersprüche bewertet, die bis 1990 ungelöst blieben. Die Reproduktionsarbeit blieb trotz technischer Neuerungen, partieller Vergesellschaftung und medialer Appelle an die Männer weitgehend den Frauen überlassen; Lohnunterschiede bestanden fort, nicht zuletzt, weil es nicht gelang, das Qualifizierungsgefälle zu überwinden und auch weil Frauen trotz gleicher Qualifikation häufig nicht in Führungspositionen gelangten; traditionelle Rollenvorstellungen in der Familie waren nach wie vor verbreitet, wenn auch in den jüngeren Generationen weit weniger ausgeprägt, wie Untersuchungen des 1990 »abgewickelten« Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung zeigten.

Die Töchter der DDR-Frauenpolitik wuchsen schon mit einem neuen Frauenbild auf und hatten höhere Ansprüche an das Leben, die sich in der schwierigen Realität der Endphase der DDR nicht immer erfüllen ließen. Zwar wurde der Zusammenhang von Sozialismus und Frauenbefreiung in der DDR entscheidend hergestellt und bewiesen, es gelang jedoch nicht ausreichend, an die revolutionäre Energie der Anfangsjahre anzuknüpfen.

Tatsächlich wurden schon in der S­owjetischen Besatzungszone (SBZ) wichtige Grundsätze zur Gleichstellung der Geschlechter vorgegeben, wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Bildungschancen, gleiches Recht auf Mitbestimmung usw., denn für Kommunisten und Sozialisten waren das nicht verhandelbare, elementare Rechte der Frauen. Doch die Erfahrungen in der DDR zeigen, dass der Aufbau grundlegender Strukturen, die diese Rechte garantieren, eine komplizierte und langwierige Aufgabe ist, die nicht einfach »von oben« auferlegt werden kann. Ohne die Masseninitiativen und demokratischen Strukturen in Ostdeutschland wäre es nicht möglich gewesen, den notwendigen Mentalitätswandel herbeizuführen und gesellschaftliche Gruppen für die Emanzipation der Frau zu gewinnen. Mit Brigadeversammlungen, Frauenkommissionen und -förderplänen, DFD-Gruppen (Demokratischer Frauenbund), Elternaktiven und dergleichen gab es Instrumente, um diesen gesamtgesellschaftlichen Kraftakt im Konkreten anzugehen. Ob diese Instrumente wahrgenommen wurden, hing von jedem einzelnen ab. Nicht selten wurden sie aktiv genutzt.

In Zeiten wachsender Armut, Prekarisierung und der weltweiten Rücknahme von Frauenrechten lohnt es sich daher, das historische Gegenbild zur herrschenden Individualisierung, nämlich die massenhafte Mobilisierung und gesellschaftliche Aktivierung von Frauen in der DDR anzuschauen. Verlorenes und Gebliebenes, Uneingelöstes und Mögliches aus 40 Jahren Frauenpolitik und -förderung in der DDR ließen sich produktiv in heutige Diskussionen und Kämpfe um die Gleichberechtigung der Frau tragen, wenn sie zugelassen werden. Die frauenpolitischen Ziele der DDR, erreichte wie unerreichte, könnten einer vielfach zergliederten Frauenbewegung Orientierung geben, die die Befreiung der Frau als historische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet, nicht als Verheißung individueller Beziehungen. Auch das ist Teil des Vermächtnisses der DDR.

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