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Aus: Welt im Umbruch, Beilage der jW vom 23.10.2024
Welt im Umbruch

Brüssels Dilemma

Mit Erweiterungen rückt BRICS-Bündnis näher an EU-Einflussgebiet, während die Union intensive Kooperation mit zentralen Mitgliedern sucht
Von Jörg Kronauer
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Ikonographisch auf den Punkt gebracht: Werbetafel in Los Angeles mit Verweis auf die grassierende Obdachlosigkeit (14.4.2018)

Alle Welt redet von den BRICS, nur die EU, die schläft mal wieder? Leicht pikiert meldete sich im Februar die Robert-Schuman-Stiftung zu Wort, eine von der EU kofinanzierte, in Paris und Brüssel angesiedelte Denkfabrik. Seit immerhin 15 Jahren bestehe das Bündnis aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika nun; es habe sich nicht nur als durchaus handlungsfähig erwiesen, es habe auch eine erste Erweiterungsrunde hinter sich; und dabei verfolge es Ziele, die zentrale Interessen der EU tangierten. Und was tue Brüssel? Seit der Gründung der BRICS im Jahr 2009 habe die EU nicht einmal eine Handvoll Politikpapiere publiziert, die sich – in welcher Form auch immer – mit dem Zusammenschluss befassten, stellte die Stiftung fest. Das Bündnis sei ganz offenkundig »eine geopolitische Herausforderung, die von der EU übersehen wird«.

Zwischen EU und BRICS bzw. »BRICS plus« herrscht, ganz unabhängig vom Fehlen strategisch orientierender Dokumente, ein komplexes Verhältnis, das eine ganze Reihe an Widersprüchen umfasst. Zunächst: Die BRICS sind deutlich größer und wirtschaftsstärker als die Union. Sie stellen rund 45 Prozent der Weltbevölkerung. Die EU stellt gerade einmal 5,5 Prozent. Zugleich erwirtschaften die BRICS laut Berechnung des EU-Parlaments rund 37,3 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und damit ganz erheblich mehr als die EU (14,5 Prozent). Andererseits ist die kleinere und, jedenfalls von ihrer Wirtschaftsleistung her, schwächere EU ein fester Teil des alten Westens, gegen dessen globale Dominanz die BRICS opponieren – sie begreifen sich ja schließlich als Zusammenschluss des globalen Südens. Interessengegensätze sind damit programmiert.

Spannungen rufen immer wieder die Mitgliedschaft Russlands und die starke Rolle Chinas in dem Zusammenschluss hervor. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die EU-Staaten einmal mehr Indien bedrängen, seine Beziehungen zu Russland zu reduzieren, oder wenn sie auf China Druck ausüben, russischen Firmen keine Dual-Use-Güter (auch zu militärischen Zwecken nutzbar) mehr zu liefern. Maßnahmen gegen die Volksrepublik – etwa das Vorgehen mancher EU-Staaten gegen Huawei – verbessern die Beziehungen zu den BRICS ebensowenig. Hinzu kommt, dass das Bündnis explizit danach strebt, sich vom US-Dollar zu lösen und sich auch von westlichen Zahlungssystemen unabhängig zu machen – sei es mit der Umstellung auf eigene nationale Währungen wie den Renminbi Yuan, die Rupie oder auch den Rubel, oder mit Experimenten mit Kryptowährungen. Die Robert-Schuman-Stiftung konstatierte, damit schadeten die BRICS auch dem Streben der EU, den Euro »zu einer bedeutenden Handelswährung« aufzuwerten.

Gibt es also fraglos prinzipielle Interessengegensätze und Spannungspotential, so sieht sich die EU dennoch veranlasst, ihre Beziehungen zu den BRICS nicht abgleiten zu lassen. Mit einigen der beteiligten Staaten sucht sie sogar eine intensive Kooperation. Das gilt vor allem für Brasilien, Indien und Südafrika, mit denen die EU jeweils eine strategische Partnerschaft vereinbart hat. Mit Indien verhandelt sie darüber hinaus über ein Freihandelsabkommen. Und mit Brasilien ist sie seit einem Vierteljahrhundert über ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur im Gespräch. Die drei Länder haben im globalen Süden eine bedeutende Position inne – ein weiterer Grund, weshalb der EU gute Beziehungen zu ihnen wichtig sind: Will man die Opposition gegen den Westen brechen, dann lohnt es, zentrale Staaten des Südens auf seine Seite zu ziehen. Indien etwa lockt die EU zusätzlich mit der Perspektive, sich gemeinsam gegen deren alten Rivalen China zu positionieren. Das beinhaltet unmittelbar Sprengstoff für die BRICS.

Sorgen macht der EU der Erweiterungsprozess. Dies nicht nur, weil jedes neue Mitglied das Gewicht des Bündnisses als Südopposition gegen den alten Westen stärkt. Dass in der ersten Erweiterungsrunde konkret Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate aufgenommen wurden und Saudi-Arabien zudem grünes Licht erhielt – wenngleich Riad seinen Beitritt bis heute nicht abschließend ratifiziert hat –, führte dazu, dass eine ganze Reihe der wichtigsten Erdölförderstaaten nun den BRICS angehören. Das stärkt den Einfluss des Zusammenschlusses und seine Stellung gegenüber dem Westen erheblich, speziell auch gegenüber der EU. Nebenbei: Irans Aufnahme in das Bündnis eröffnet Teheran Chancen, die westlichen Sanktionen gegen seine Ölexporte durch eine Ausweitung seines Handels mit anderen BRICS-Staaten zu umgehen. Dies wiederum, das stellte im Februar die Hellenic Foundation for European and Foreign Policy in einer Analyse fest, verringert die Möglichkeiten der EU, Druck auf Iran auszuüben.

Es kommt hinzu, dass die BRICS-Erweiterung von Anfang 2024 und mögliche nächste Erweiterungsschritte das Bündnis geographisch immer näher an die EU heranrücken und Länder einbeziehen, die Brüssel im Rahmen seiner sogenannten Nachbarschaftspolitik enger an sich zu binden sucht. Der erste solche Fall war der Beitritt Ägyptens am 1. Januar. Algeriens Präsident Abdelmadjid Tebboune hatte zwar am 5. Oktober erklärt, sein Land ziehe seinen Beitrittswunsch zurück. Es war im vergangenen Jahr dem Vernehmen nach von Indien abgelehnt worden, dessen Position sich wohl nicht verändert hat. Doch ist am 31. August immerhin Algeriens Beitritt zur BRICS-Bank (New Development Bank) vom zuständigen Gremium gebilligt worden. Dass Palästina den BRICS beitreten und sich auch Syrien dem Bündnis annähern will, zeigt: Die Bindekraft der EU am südlichen und am östlichen Mittelmeer schwindet weiter. Käme es zum Beitritt Aserbaidschans, über den spekuliert wird, dann schwächte dies die Position der EU auch im Südkaukasus.

Schließlich wäre da noch die Türkei, die sich inzwischen offiziell um den BRICS-Beitritt bemüht – als erstes NATO-Mitglied und als erster regulärer EU-Beitrittskandidat. Der Schritt schlägt Wellen. Ökonomisch ergibt er Sinn. Zwar ist die EU weiterhin der wichtigste Absatzmarkt der türkischen Wirtschaft; doch blockiert Brüssel die aus türkischer Sicht dringend nötige Modernisierung der Zollunion, die dem Handel einen weiteren Aufschwung verpassen könnte. Andererseits setzt Ankara auf einen Ausbau seines China-Geschäfts. Im Juni hielt sich Außenminister Hakan Fidan zwecks Stärkung der bilateralen Beziehungen in Beijing auf. Darüber hinaus intensiviert die Türkei, im Westen weithin ignoriert, ihr bereits recht starkes Geschäft auf dem afrikanischen Kontinent. Ein BRICS-Beitritt würde da gut ins Bild passen. Der EU brächte er einen weiteren herben Einflussverlust.

Den hätte sie freilich sich selbst zuzuschreiben. »Wenn unsere ökonomische Integration in die EU mit einer Mitgliedschaft gekrönt worden wäre, die über die Zollunion hinausginge, dann hätten wir uns vielleicht nicht auf diese Art Suche gemacht«, erklärte Fidan am 19. September gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu. Die EU hat ihre (schwindende) Anziehungskraft wohl überschätzt. Sie muss nun erleben, dass ihr die Felle davonschwimmen.

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