Kampf dem US-Dollar
Von Lucas ZeiseEs wirkt wie ein Scherz der Weltgeschichte: Ursprünglich vier Staaten haben 2006 eine Vereinigung gegründet. Damals kamen vier Außenminister aus Brasilien, Russland, China und Indien in New York zusammen. Sie taten dies ausdrücklich gegen die Dominanz der USA in Politik und Weltfinanz. Ihr Klub nannte sich »BRIC«, ein Kürzel, das von einem Investmentbanker namens Jim O’Neill einfallslos aus den Anfangsbuchstaben der zunächst vier Länder Brasilien, Russland, Indien und China zusammengesetzt wurde. Dieser Herr war – zu Beginn des Jahrtausends – bei der damals wichtigsten Investmentbank der Welt, Goldman Sachs, als Chefvolkswirt beschäftigt. Seine Absicht war es, Geld für Fonds einzuwerben, die das gesammelte Geld vorwiegend in diese vier großen Länder außerhalb der bisherigen Zentren des Weltkapitalismus investierten.
O’Neill und Goldman Sachs haben aufs richtige Pferd gesetzt. Die vier BRIC-Staaten sind in den vergangenen mehr als 20 Jahren stärker gewachsen als die hochentwickelten Regionen Nordamerika, (EU-)Europa und Japan. Die Krise des Weltkapitalismus seit 2007 hat diese unterschiedliche Entwicklung akzentuiert. China ist mittlerweile, je nachdem wie man rechnet, hinter den USA die zweitgrößte oder vor den USA die größte Volkswirtschaft der Erde – das ist die realwirtschaftliche Seite. Finanziell ist die Führung des Weltkapitalismus unverändert in den Händen der etablierten Kapitalisten unter Führung der USA. Nur drei Stichworte dazu: Die chinesische Zentralbank legt ihre riesigen Überschüsse immer noch überwiegend in auf Dollar lautenden US-Staatsanleihen an. Das Finanzkapital in den imperialistischen Zentren bezieht laufend monetäre Erträge aus den Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Finanzbeziehungen der Staaten untereinander werden von den in Washington residierenden Institutionen IWF und Weltbank gesteuert, in denen die alten Industrieländer die Stimmenmehrheit haben und die USA ein Vetorecht.
Die Vorteile, über eine Weltwährung zu verfügen, sind beachtlich. Der geringste davon ist die sogenannte Seigniorage, also das Einkommen, das die emittierende Zentralbank einer Währung durch die Ausgabe neuer Banknoten bezieht, für die praktisch keine Kosten entstehen. Der zweite Vorteil besteht in dem geringen Risiko für die Händler und Kapitalisten in den USA, weil nicht nur die Ein- und Ausfuhr, sondern auch Finanztitel in der Welt in US-Dollar abgerechnet werden. Dass Rohstoffe wie Erdöl in der Regel in US-Dollar gehandelt werden, erzeugt zusätzlich Nachfrage nach diesem Zahlungsmittel. Der dritte und weitaus wichtigste Vorteil besteht darin, dass Schuldner aus den USA, insbesondere die Regierung in Washington, wegen der überall akzeptierten Währung als allererste Klasse gelten.
Keinem anderen Land der Welt wird so bereitwillig Kredit gewährt wie gerade den USA. Bei einer ähnlichen Verschuldung würde die Währung eines anderen Landes nach Panikverkäufen der großen Kapitalanleger ins Bodenlose fallen. Der US-Dollar hatte zwar Schwächephasen, aber er stürzt nicht ab, und von Panik ist keine Rede. Wer sein Kapital in den USA anlegt, nimmt vielleicht niedrige Zinsen und die Gefahr einer graduellen Entwertung des Dollars in Kauf. Aber er weiß auch, dass er Weltgeld erwirbt, das in Krisen regelmäßig begehrt bleibt und erst dann wertlos wird, wenn die gesamte globale Finanzveranstaltung umgestülpt wird oder zum Teufel geht.
Der US-Dollar ist bereits seit dem Ersten Weltkrieg die führende Währung der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Führung sogar in offiziellen Verträgen zwischen den Staaten als Abkommen von Bretton Woods festgelegt. Die Kündigung dieser Verträge durch die USA 1971 und 1973 hat der Vorherrschaft des Dollars keinen Abbruch getan. Keinerlei Abstriche erlebte die Währung durch die potentielle Konkurrenz des Euro seit 1999, obwohl der Wirtschaftsraum der Euro-Zone etwa so groß war und ist wie jener der USA.
Der Anti-Dollar-Klub BRIC wurde nach der Finanzkrise 2007 um Südafrika erweitert und firmiert seitdem als »BRICS«. Die nun fünf Staaten gründeten 2014 in Fortaleza (Brasilien) nach dem Vorbild von IWF und Weltbank einen gemeinsamen Währungsnotfallfonds und eine gemeinsame »Neue Entwicklungsbank« (NDB). Ihre Absicht ist es ausdrücklich nicht, die bestehende Weltfinanz(un)ordnung zu ändern oder gar umzustürzen. Sie wollen vielmehr in der ersten Reihe der Entscheider dabei und nicht wie bisher der Aggression der imperialistischen einzigen Führungsmacht ausgesetzt sein. Sie taten sich zusammen, um der Herrschaft des US-Dollars etwas entgegenzusetzen.
Aus den zart und vorsichtig vorgetragenen Reformbemühungen der BRICS wurde 2022 bitterer Ernst und dringende Notwendigkeit. Denn die USA und mit ihnen eng verbündete westliche Staaten beschlossen nach dem Einmarsch in die Ukraine, die Guthaben Russlands bei den Zentralbanken des Westens einzufrieren. Es war eine kalte Enteignung von gut 300 Milliarden Euro. Der Raubzug an den russischen in Euro und US-Dollar gehaltenen Devisenreserven delegitimierte mit einem Schlag die Weltwährung und ihr kleines, folgsames Schwesterchen sowie die bestehende Welt(un)ordnung. US-Dollar und Euro zu halten wurde für Russland nutzlos und für alle anderen Staaten zum Risiko.
Währungsreserven dienen, wie das Wort andeutet, dem Zweck, im Notfall zahlungsfähig zu sein. Dazu müssen sie im Wert stabil und jederzeit einsetzbar sein. Gold ist das klassische Medium für Zentralbankreserven. Allerdings ist es nicht unbedingt preisstabil und bei weitem nicht so liquide handelbar wie etwa US-Dollar und Euro. Heute werden von den weltweit bei Zentralbanken gehaltenen Währungsreserven in Höhe von 15,3 Billionen US-Dollar nur knapp zehn Prozent als physisches Gold gehalten. Bei den in fremder Währung gehaltenen Zentralbankreserven macht der US-Dollar seit langem und heute mit knapp 60 Prozent den bei weitem größten Anteil aus.
Beim BRICS-Gipfeltreffen im August 2023 schlug der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Schaffung einer eigenen Währung als Alternative zum US-Dollar vor. Es würde »unsere Zahlungsmöglichkeiten erhöhen und unsere Risiken verringern«, sagte er. Lula hatte auch schon dem Wirtschaftsverbund des südlichen Südamerika »Mercosur« eine gemeinsame Währung nach dem Vorbild des Euro vorgeschlagen. Die gastgebende Regierung Südafrikas ließ verlauten, die Schaffung einer eigenen Währung stehe nicht auf der Tagesordnung; davon sei nicht die Rede, hieß es auch von indischer Seite. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte, auf der Konferenz werde darüber diskutiert, wie der Handel zwischen den Ländern in nationaler eigener Währung anstatt des US-Dollars abgewickelt werden könne, und erklärte, »der objektive, unumkehrbare Prozess der Entdollarisierung unserer Wirtschaftsbeziehungen nimmt Fahrt auf«. Tatsächlich ging es bei den bisherigen BRICS-Gipfeltreffen nie um eine eigene Währung, sondern, wie der chinesische Präsident Xi Jinping immer wieder betont, um »die Reform des internationalen Finanz- und Währungssystems«.
Der Welthandel funktioniert deshalb einigermaßen reibungslos, weil sich jeder darauf verlassen kann, dass das international verfügbare Geld, der US-Dollar, auch als Zahlungsmittel und als Reserve gilt. Dennoch hat unter den BRICS-Präsidenten nicht Lula recht, sondern die Realisten aus den anderen vier Ländern. Sie können keine Währung durch Beschluss aus dem Boden stampfen, die überall akzeptiert wird. Es ist schwer genug – mit oder ohne Assistenz der BRICS –, den Handel zwischen den Staaten bilateral abzuwickeln, die den US-Dollar gezwungenermaßen vermeiden müssen. Und bis die Währung der größten Handelsnation der Welt, der chinesische Renminbi Yuan, als zweite Weltwährung den US-Dollar ergänzt oder ersetzt, wird es noch ein Weilchen dauern.
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