Win-Win für Caracas
Von Julieta Daza, CaracasPräsident Nicolás Maduro ist überzeugt: »Venezuela sagt ja, wir möchten Teil der BRICS sein, unseren bescheidenen Beitrag leisten und den Aufbau dieser neuen Architektur, dieser neuen globalen Geopolitik, dieser neuen Welt, die bereits im Entstehen ist, begleiten.« Dies erklärte er bereits Ende Mai 2023 bei einem Treffen der südamerikanischen Staatschefs. Im Juli dieses Jahres kündigte er in seiner wöchentlichen Fernsehsendung »Con Maduro Más« an, Venezuela habe offiziell einen Beitritt in das Bündnis beantragt. Dass bereits Verträge mit den Schwerpunkten »Investitionen, Technologie und neue Märkte« mit den BRICS-Staaten unterzeichnet worden seien, hatte Maduro schon einen Monat zuvor auf einer Veranstaltung mit Arbeitern der Corporación Venezolana de Guayana (CVG) im südlichen Bundesstaat Bolívar bekanntgegeben. Der Organisation gehören mehrere staatliche Unternehmen aus den Bereichen Waldressourcen, Mineralien, Industrie und des Wasserkraftsektors an.
Mit Blick auf den anstehenden BRICS-Gipfel in Kasan sind die Erwartungen über eine mögliche Aufnahme der Bolivarischen Republik in das Bündnis groß. Für eine Mitgliedschaft sprechen zwei zentrale Gründe. Erstens: Das südamerikanische Land, das seit 1999 einen linksgerichteten, auf Selbstbestimmung und Souveränität basierenden politischen und sozialen Veränderungsprozess, die »Bolivarische Revolution«, durchmacht, sieht sich mit dem europäischen und US-Imperialismus konfrontiert. Seit 2014 sind über 900 unilaterale wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen, sogenannte Sanktionen, gegen das Land verhängt worden. Laut der venezolanischen Antiblockadebeobachtungsstelle betreffen diese Sanktionen Vertreter von Staat und Regierung, die Erdölindustrie, das staatliche Finanzsystem, den Privatsektor ebenso wie den Gesundheits-, Nahrungsmittel- und Transportsektor des Landes. Personen oder Unternehmen auf internationaler Ebene, die trotzdem mit Venezuela verhandeln, gehen das Risiko ein, selbst von US-Sanktionen getroffen zu werden. Ein Beitritt zum BRICS-Bündnis und die daraus folgenden wirtschaftlichen Beziehungen könnten dabei helfen, die Zwangsmaßnahmen zu umgehen.
Die Macht des Öls
Zweitens: Venezuela ist das Land mit den größten weltweit bekannten Erdölreserven. Das gibt unter anderem die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) an. Es ist zudem reich an weiteren natürlichen Ressourcen wie Erdgas, verschiedenen Mineralien sowie einer interessanten Biodiversität. Derzeit kontrollieren die BRICS mit dem Beitritt Irans, der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens (noch nicht formalisiert) Anfang des Jahres rund 40 Prozent der weltweiten Ölreserven; mit der Mitgliedschaft Venezuelas kämen noch einmal knapp 20 Prozent hinzu. »Kurz gesagt, der Beitritt Venezuelas verwandelt die BRICS in eine Ölmacht«, hieß es bereits im vergangenen Jahr in einer Recherche des Lateinamerikanischen Zentrums für strategische Forschung in der Geopolitik (CELAG).
Lichtblick für Wirtschaft
Daneben böte ein Beitritt dem Land die Möglichkeit, die Wirtschaft zu reaktivieren und neu zu beleben, erklärte Wirtschaftswissenschaftler Jonathan Freitas von der Bolivarischen Universität Venezuelas im jW-Gespräch. Denn es würde dem Land erlauben, dem US-Dollar abzuschwören und den Handel mit den BRICS über alternative Währungen und Zahlungssystemen, die bereits existieren, wachsen und perfektioniert werden, abzuwickeln. Darunter seien unter anderem das Zahlungssystem BRICS Pay, sowie sogenannte CBDC-Systeme, die auf der Blockchain-Technologie basieren, jedoch zentralbankgestützte Kryptowährungen sind.
Mit diesem neuen Netzwerk »könnte Venezuela andere Wege der wirtschaftlichen Entwicklung beschreiten und Sanktionen umgehen. Darüber hinaus ist die technologische Entwicklung Russlands, Chinas und Indiens bereits so fortgeschritten, dass Venezuela keine Technologie aus dem Norden benötigt«, so Freitas weiter. Die Technologie der BRICS-Länder würde ausreichen, um in der Entwicklung seiner Produktivkräfte voranzukommen. Aber auch insgesamt könne Caracas dabei unterstützen, den globalen Süden unabhängiger vom Norden zu machen und wirtschaftlich zu stärken. Dem Ökonomen zufolge verspreche man sich von dem Bündnis Beziehungen auf Augenhöhe und »Win-win-Abkommen« zwischen den Staaten. Dies sei die einzige Lösung, »damit die Menschheit überleben kann, nämlich indem wir lernen, in einer gemeinsamen Zukunft zu leben. Wir müssen die Last hinter uns lassen, dass einige Länder auf Kosten anderer leben. Und so wird ein neues Wirtschafts- und Finanzsystem entstehen, das alle Länder als gleichberechtigt respektiert.«
Multipolare Welt
Das Streben Venezuelas, Teil der Errichtung einer neuen und alternativen geopolitischen Weltordnung zu sein, war seit Beginn der Bolivarischen Revolution zu erkennen. Spätestens im Entwicklungsplan des Landes für den Zeitraum 2007 bis 2013, noch unter der Präsidentschaft des verstorbenen Hauptanführers der Revolution, Hugo Chávez, wird das Ziel des »Aufbaus einer multipolaren Welt«beschrieben. In den darauffolgenden Entwicklungsplänen (2013–2019, 2019–2025) wurde dieses weiter definiert. Eine multipolare Welt solle zum globalen Gleichgewicht und zum Frieden beitragen. Es solle eine Welt ohne »imperiale Vorherrschaft« oder Neokolonialismus und mit »uneingeschränktem Respekt für die Selbstbestimmung der Völker« sowie mit technologischer Unabhängigkeit sein.
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