Jamilas Kampf geht weiter
Von Juliana FrankeAls Jamila 2020 in Deutschland ankam, hatte sie noch Tage zuvor in einem äthiopischen Gefängnis gesessen. In einem Männerknast, mit 20 Gefangenen in einer Zelle, wegen des Tragens von »Frauenkleidung« als angeblicher »Mann«. In Wahrheit ist Jamila eine trans Frau. Ihr Anwalt hatte nach drei Monaten Haft erwirkt, dass sie wegen Verletzungen der Hüftknochen durch Polizeigewalt für eine Operation nach Deutschland reisen durfte. Hier angekommen, beantragte sie Asyl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Ein BAMF-Beamter empfing sie mit den Worten: »Jeder kann Frauenkleider anziehen und behaupten, trans zu sein.« Es folgte ein sechsstündiges Verhör. Dann ein negativer Asylbescheid, der ihre Schilderungen als »lebensfremd« abtat. Körperliche Folgen von Folter im Knast wurden kleingeredet. Und psychische Folgen? Psychische Probleme seien »normal bei trans Menschen«, das müsse nichts mit der Gefangenschaft zu tun haben, so die Begründung der Behörde. Jamila sollte nach Äthiopien abgeschoben werden.
Es ging um Jamilas Überleben: Bei Rückkehr nach Äthiopien würde ihr noch mehr als ein Jahrzehnt Haft drohen. Ihre Freundinnen organisierten Protest. Auf der Solidaritätsdemonstration in Berlin von der Gedächtniskirche zum Berliner BAMF schallte es: »Queere Leben schützen: jederzeit! Darum schreit: Jamila bleibt!« Das BAMF widerrief die ablehnende Entscheidung nach dem Protest – ohne Gerichtsverfahren. Die Beamten wussten offenbar auch, dass Jamila Flüchtlingsschutz brauchte. Sie hatten nur nicht damit gerechnet, dass ihr Fall an die Öffentlichkeit kommen würde. Nach einer weiteren Anhörung – diesmal nicht von Misstrauen und Unterstellungen geprägt – weniger Verhör als ein verständnisvolles Gespräch – gewährte das Amt ihr Flüchtlingsschutz.
Die größte Gefahr, die Abschiebung nach Äthiopien, war abgewendet. Das hieß aber nicht, dass Jamila ab jetzt ein unbehelligtes und sicheres Leben führen konnte. Neben Belästigungen und Angriffen auf der Straße war es sehr schwer, eine barrierefreie Wohnung zu finden. Mit ihrer Gehbehinderung durch die in Gefangenschaft entstandene Hüftverletzung ist Treppensteigen für sie schmerzhaft und gefährlich. Erst 2023 wurde ihr durch eine gemeinnützige Organisation eine Wohnung mit Fahrstuhl vermittelt.
Ein großes Problem bleibt bis heute: Auf ihren Ausweispapieren steht immer noch ein männlich konnotierter Name, den seit Jahrzehnten weder sie selbst noch Menschen in ihrem Umfeld nutzen. Beim Vorzeigen dieser Papiere wird sie oft diskriminiert. Der Änderung stand lange das pathologisierende »Transsexuellengesetz« im Weg. Psychiatrischen Gutachten mit erneuter Infragestellung ihres Frauseins konnte und wollte sich Jamila nicht aussetzen. Zumal bald ein neues Gesetz kommen sollte, das eine selbstbestimmte Änderung von Namen und Geschlechtseintrag ermöglichen würde.
Das »Selbstbestimmungsgesetz« wurde 2024 verabschiedet. Doch es ist geprägt von tiefem Misstrauen gegenüber denen, die es nutzen. Für Menschen in einer Lebenssituation wie Jamila enthält es eine Art Zeitfalle: Denn gibt eine Person mit Aufenthaltstitel eine Erklärung zur Änderung von Geschlechtseintrag und Namen ab und es geschieht in einigen Monaten danach ein »Ereignis, das zum Erlöschen des Aufenthaltstitels führt«, wird die Änderung ungültig. Der Begründungsteil des Gesetzes behauptet, diese Abfolge von Ereignissen sei als Indiz für eine »Änderung (…) allein zur Vereitelung einer drohenden Abschiebung« zu lesen. Eine Farce: deutsche Behörden können das »Selbstbestimmungsgesetz« und ein Asylgesuch gegeneinander ausspielen.
Und deutsche Behörden können auch den Zeitpunkt einer Änderungserklärung hinauszögern. Jede Erklärungsabgabe muss mindestens drei Monate zuvor angemeldet worden sein – das letzte Wort zum Abgabetermin hat das Standesamt. Diese Anmeldung hatte Jamila zum frühestmöglichen Zeitpunkt, am 1. August 2024 gemacht. Zusammen mit dem Anmeldeformular hatte sie auch ihren Aufenthaltstitel als primäres Ausweisdokument in Deutschland eingereicht. Nun verlangt das Standesamt eine Geburtsurkunde.
Doch die gibt es nicht: Auf dem Weg vom Gefängnis zum Flughafen konnte Jamila nichts aus ihrer Wohnung zu holen. Sie schickt jetzt eine Schilderung dieser Umstände und eine Kopie ihres äthiopischen Passes ans Standesamt. Noch immer ist unklar, wann darauf endlich ihr seit Jahrzehnten genutzter Name stehen wird. Für sie ist das ein enormes Problem. Die Anrede als »Herr« auf Briefen, die Diskriminierung an Flughäfen reißen immer wieder Wunden auf, erinnern Jamila immer wieder an Verfolgung und Folter.
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