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Aus: Weihnachten, Beilage der jW vom 24.12.2024
Weihnachten

Pariser Erfahrung

Nur das Hotelleben eignet sich für die Launen der Doppelgänger: Léon-Paul Fargue, Joseph Roth und ein Liebespaar vor Weihnachten im Le Meurice
Von Konstantin Arnold
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Vorm Le Meurice, 228 Rue de Rivoli

Paris war unsere letzte Runde. Alles, was wir nun zur Erinnerungen erklären, so, ja, so muss diese Zeit gewesen sein. Eine Zeit, die es vielleicht schon nicht mehr gibt, bis man es noch mal schafft, und es ist immer die gleiche schöne Geschichte. Boy meets Girl. Das hat nichts mit Paris zu tun, wir machen das ständig, mindestens zweimal im Jahr. Es muss aber kalt sein, wie diesmal, saumäßig, so kurz vor Weihnachten. Dann sind die Leute weg und die Bäume in den Tuilerien kahl. Der Himmel ist Rauch, und der Eiffelturm hört irgendwann einfach auf, und Paris ist eine gute Stadt, um traurig zu sein. In Lissabon geht das nicht einfach. Jedenfalls nicht jeden Tag.

Wer will bitte Sonnenschein über Weihnachten ertragen, wenn der Winter in Paris schon ein Leben lang geht und man im dichten Morgennebel auf Reiter hofft, die aus dem Bois de Boulogne kommen und den Frühling bringen. Es ist der ideale Hintergrund für kleine Katastrophen, Rückschläge, Anrufe, die alles verändern. Wir waren Weihnachten immer kurz davor, Schluss zu machen, aber Weihnachten hinderte uns daran. Das Jahr ist vorbei, und etwas stirbt in uns. Der Frühling schafft uns dann wieder neu.

Jedesmal, wenn wir in Paris sind, habe ich einen anderen Crush. Franz Hessel oder Joseph Roth? Joseph Roth vor allem. Vielleicht, weil wir beide für Zeitungen schreiben, immer arm dran sind, in Hotels wohnen und die Zeitungen von den Hotels aus anrufen, um nach Geld zu fragen. Idealisierung kostet: Taxis, Abendessen. Lunch lassen wir aber aus.

Was wir für das Paris halten, ist das Paris derer, die kamen, um über das Vergangene zu schreiben usw. Roth beschreibt das gut, während er im Café Le Tournon sitzt und sieht, wie sein Hotel abgerissen wird. Wenig später erfährt er in einem Brief vom Selbstmord seines Freundes Ernst Toller und erleidet einen Zusammenbruch. Am 27. Mai 1939 stirbt er im Alter von 44 Jahren im Armenhospital an Alkoholentzug. Auf unerklärliche Weise ist das Tournon ein gutes Café geblieben. Ein paar stylische Franzosen an der Bar, die weiter unten eine Galerie haben und nichts anderes tun, als stylish zu sein, meine Freundin, die vor ihrem Kaffee liest, und ein alter Mann, der mich grüßt, weil er auch ein Notizbuch hat, einen Hut und einen Mantel und Leute, die um ihn stehen und was wollen. Seine Stirn ist voller Falten, aber er muss die Zeichen des Denkens in Frankreich nicht verstecken.

Den traurigsten Blick auf Paris hat man vom Le Meurice, 228 Rue de Rivoli. Es ist das älteste Hotel der Stadt, über 200 Jahre, gegenüber der Tuilerien am linken Ufer, in unmittelbarer Nähe des Louvre, des Place de la Concorde und des Place Vendôme mit seinen Luxusläden.

Das Le Meurice ist Teil der Pariser Geschichte und die Pariser Geschichte Teil des Le Meurice. Auf dem Emblem ist ein Windhund. Staatsgeheimnisse liegen in der Luft. Menschen flüstern mit drei Telefonen in der Hand. Es ist ein Fünf-Sterne-Ministerium, Skandal und Exzess durch Marmor und Mauern zusammengehalten. Eine Welt der verlängerten Aufenthalte und schwarzen, wartenden Limousinen mit Chauffeur. Als wir ankamen, reiste gerade der saudische Verteidigungsminister ab. Von außen sieht man höchstens Diplomaten, die während langer Verhandlungen traurig durch die Gardinen auf die Tuilerien sehen. Passieren tut nichts, aber vielleicht ist das ihre Arbeit, dass nichts passiert.

Heute werden fast alle großen Hotels von Designern verunstaltet. Im Meurice lehnt ein gefrorener Spiegel in der Lobby an der Wand, das Glasfoyer im Grand Restaurant wurde von Bettdecken verhangen. In unserer Suite stehen Bücher mit leeren Seiten. Zehntausend Euro die Nacht. Beeindrucken lassen wir uns davon nicht. Auch nicht von romantischen Logiernächten berühmter Leute.

Edward VIII und Wallis Simpson sollen hier mit Blick auf die Tuilerien unvergessliche Nächte gehabt haben, nachdem Edward im Dezember 1936 abgedankt hatte. 1929 gründet Mr. Ferdinand Gillet »Les Clefs d’Or«, die weltumspannende Organisation der Concierges. Am 25. August 1944 kapitulierte im Meurice der Stadtkommandant von Groß-Paris, Dietrich von Choltitz, nachdem er sich Hitlers Befehl widersetzt hatte, Paris zu zerstören. Tschaikowski arbeitete hier von Februar bis März 1879 an seiner Oper »Die Jungfrau von Orléans«, Edmond Rostand verlässt sein geliebtes Baskenland, um an »Chantecler« zu arbeiten. Gabriele D’Annunzio schläft mit seiner Übersetzerin, Liz Taylor und ­Richard Burton haben nicht hier nach Hitlers Royal Suite gefragt, sondern im Imperial in Wien. Im November 2010 nehmen Jay-Z und Kanye West hier »Niggas in Paris« auf. Am 18. Dezember 2023 reist ein einfaches Liebespaar von Lissabon nach Paris. Es bleibt zwei Tage. Ihr fällt während ihres Besuchs der Fön runter, er verliert mitten im kalten Pariser Winter einen Knopf.

Man hat das alles im Kopf, wenn man nach der Ankunft die Treppen runtergeht in die Lobby, die ab der ersten Etage wie eine Bahnhofshalle klingt, nur keiner der Anwesenden redet so laut, wie die Lobby klingt. Handschlag mit dem Portier, netter, überraschter Blick, wenn er das Geld spürt, als ob man ihm in den Schritt fasst. Er heißt Simon, arbeitet nach Feierabend an einem Science-Fiction-Roman und wünscht uns einen schönen Tag. Draußen ist der graue Dezember. Man spricht oder spricht nicht und kommt am Louvre vorbei, kann nur seine Handschuhe nicht anziehen, weil sie keine trägt. Man hakt sich also ein, sieht zurück, sieht das Le Meurice und unser Zimmer. Dann geht man ins Deux Magots, um sich mit einer französischen Verlegerin zu treffen, die doch nur Mitarbeiterin gewesen ist und nicht zahlt. Vielleicht zahlt man immer, wenn man zu Gast ist und Leute in ihrem Alltag besucht. Alte Reiseregel. Sie sagte, Verlage trauen sich heute gar nichts mehr, wären alles nur Konzerne. Es wird gedruckt, was sich verkauft, sie setzen die Themen nicht. Ich fragte, ob sie nun Verlegerin oder Mitarbeiterin ist. Sie wurde unglaublich nervös, und ich fragte mich, warum die Leute immer so nervös werden müssen. Vielleicht, weil sie sich an der ganzen ganz großen Verarsche beteiligen und sich und anderen was vormachen. Sie sagte, first I fell in Love in St. Tropez, first on the beach with a lotta people who looked nice, then with one man, aber ich konnte das Gerede nicht mehr ertragen und fragte mich, ob Simon, der Portier im Meurice, seinen Science-Fiction-Roman irgendwann fertig hätte.

Es ist schon schwer, die Welt zu beschreiben. Sie zu erschaffen, stelle ich mir unmöglich vor. Meine Freundin saß ganz ruhig neben ihr wie ein Stein, an den das Gequatsche brandet. Keine Ahnung, wie sie das schafft. Sie ist sich der Unsicherheiten der anderen bewusst, aber ignoriert sie und hört wirklich nur, was sie sagen. Zuhören konnte die Verlegerin nicht, mich verlegen auch nicht und nicht mal zahlen. Wir liefen nach den Drinks ein bisschen rum. Abendessen gab’s dann im Hotel. Die Austern wurden ohne Wasser serviert. Ich fragte, warum. Angeblich hätten sich Gäste beschwert, dass die sonst zu sehr nach Austern schmecken. Es war ihnen egal, und es war den Angestellten egal, Hauptsache Designer und Steckdosen.

Nachts hielten wir uns aneinander fest, als würden wir fallen. Miteinander schlafen, wollten wir nicht. Die Ideen, die wir voneinander hatten, schienen nicht mehr wie Regenbögen am grauen Himmel der Tatsachen. Da war eine große Entscheidung, die zwischen uns schwebte. Wir konnten ihr nicht entkommen. Auch in Paris nicht, nicht im Le Meurice. Mitten in der Nacht stand sie auf und ging ans Fenster und sah in den Regen.

Wir haben es an unseren alten Orten versucht und einigen neuen, und niemand kann sagen, dass wir es nicht versucht haben. Nicht mal wir. Es ist vielleicht einfach noch nicht der Zeitpunkt, aber sie sagt, dass es den für mich doch nie gäbe. Ich hätte dauernd zu schreiben und wäre dauernd arm, und wenn ich nichts zu schreiben hätte, wäre ich unausstehlich und käme aus 38 Grad Celsius heißen Olivenölmeersalzbädern, bevor ich mich mit medizinischer Basispflege eincremen muss.

Am nächsten Morgen kamen wir sehr spät zum Frühstück. Wir kamen halb elf und saßen bis kurz nach eins im großen Spiegelsaal. Durch die hohen Fenster sah man den grauen Pariser Wintertag und die vielen Spiegel spiegelten sich in Unendlichkeit. Wir saßen zwischen den hohen Wänden und versuchten deren Majestät mit den einem Liebespaar zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht zu verderben. Ihr gelang das gut. Sie trug einen weißen Rollkragenpullover und bewegte sich ganz natürlich. Es gibt wenige Frauen, denen Mittelscheitel so stehen. Sie sah generell arrogant aus, und wir redeten schön und leicht und unentwegt, ich zwar in Schlappen, aber wenigstens nicht mit YSL-Sonnenbrille und Gucci-Smartphone wie die am anderen Tisch. Die Croissants schmeckten schlechter als an der Tanke, aber das machte mir nichts, denn da war der Wintertag in Paris, mit dem Regen draußen und den Arkaden, den schwarzen Gitterstäben der Parks und der Kälte und uns hier drin. Pariser lieben ihre Säle und bevölkern sie auch, aber wir waren die letzten. O ja, das konnten wir, die letzten sein, nach dem Mittag oder bis nach Mitternacht. Wir konnten Züge und Flüge verpassen und selbst den danach. Wir hatten jetzt den halben Tag vor uns und die ganze Nacht und eine Mahlzeit gespart.

Es war einer dieser Wintertage, wie man sie liebt, weil sie sich woanders schlimmer anfühlen, hier aber harmlos sind. Am Odéon liefen wir rechts zum Tournon runter, kurz vorm Luxembourg. Der Park war voller weißer Büsten mit weißen nackten Brüsten zwischen kahlen schwarzen Ästen. Am Südwestende verließen wir den Jardin und gingen bis zum Café du Dôme, das auf allen Ebenen und in allen Ecken Sitzmöglichkeiten bietet, die von den in Gold gelassenen Namen ihrer Stammgäste eingefasst sind. Ich gehe nicht oft rein, stehe aber immer gerne sehr selbstmörderisch mitten auf dem Montparnasse, stelle mir vor, dass Freitag ist und keine Autos da und Moise Kisling anruft und mich auf einen Aperitif mit Chaime Soutine einlädt. Mit diesen Toten möchte man doch saufen.

Es gibt in Paris viele Läden für Besonderes, die anderswo sehr aufwendig künstlich am Leben gehalten werden. Kleine Handwerksläden und Läden für Manuskripte, Galerien sowieso, Schreibtherapiebedarf, einen Laden, der für Geld Bleistifte spitzt und Briefe aufbewahrt, von Leuten, die viel in Bars saßen und sich Künstler nannten. Es gibt sogar noch Bahnhofsschreier und Schornsteinfeger. All das, was sich woanders mit Anstrengung hält und all das nicht, was ich in meinen Texten gern weglasse oder unter größter Romantik dazuerfinden muss. Vor einem Café, das wir nicht kannten, saß eine Frau, wie in einer Filmszene auf der Terrasse. Sie trank ein Glas, was mich schon stutzig machte, trug einen Nerzmantel, Strumpfhosen und Stöckelschuhe mitten im kalten Winter. Ihre Beine hatte sie übereinander verschränkt, und man konnte eigentlich nur noch die Beine sehen. Ich wollte schon hingehen und fragen, was sie hier macht, denn Frauen, die so was machen, machen es nie so, sah auf der anderen Seite aber eine andere Frau, die wohl Fotos davon machte und war beruhigt.

Kurz bevor die Straßenlaternen angehen, ist Paris am traurigsten. Dieses Moment ist trostlos, nicht ganz Tag, aber auch noch nicht Nacht, und man weiß nicht, wie man sich fühlen soll. Am Ende des Boulevard du Montparnasse gingen wir in die Closerie des Lilas. Vor dem Abendessen bekommt man hier Austern für einen ganz guten Preis und kann in einem leeren Lokal ohne Erwartungen gemütlich nebeneinandersitzen. Wir saßen Arm in Arm wie auf einem Gemälde von Ramón Casas. Ein alter Mann kam an unserem Tisch vorbei. Ein paar Mal. Einmal blieb er sogar stehen und sah uns an. Er schaute auch im Weggehen immer wieder her. Sie sagte, die Leute erfreuen sich doch daran, wenn sie Liebe sehen. Sie ist selten. Am Ende ging der Mann zur Tür und half einer Frau in den Mantel, und als er gegangen war und noch mal hergesehen hatte, sagte ich zur ihr, das waren wohl wir, die in vierzig Jahren immer noch auf dem Weg irgendwohin in Paris sind. Ich kam her, um zu sagen, dass wir zusammensein werden, egal, wie wir uns entscheiden. Ich wollte den ganzen Tag über lieber allein sein, aber sie kam mit, und ich versuchte zusammen alleine zu sein, was überhaupt das schwerste ist, außer mit denen, die so gut sind, wie das alleine sein selbst. Mit ihr war es fast so schön wie allein und vielleicht schöner, aber das konnte man ja nicht wissen. Mit einigen Leuten konnte man eine ganz gute Figur von sich abgeben, aber wenn man dann noch intim wurde und zusammen lebte, konnte man fast gar nicht mehr zu sich kommen. Man erwartet, was man von sich verlangt. Allein sein im Bett und mit vielen. Man ist schon dumm, aber nicht dumm genug. Das ist innen drin tödlich, aber nach außen nicht ersichtlich, vor allem, wenn man im Maßanzug aus dem Le Meurice ins Lilas geht und bei Wein und Austern über seine Cleaning Lady spricht oder die Weiterreise nach St. Moritz. Ist man so, wie das klingt, und was man selbst denken würde, oder ist man, wer man ist? Die Anzüge sind von meinem Freund, das Hotel ist umsonst, das Macbook ein Geschenk von meiner Mutti. Nur das Notizbuch, in das ich das schreibe, habe ich bezahlt, aber nicht den Stift, mit dem ich das tue.

Wir bestellten eine Runde Austern und eine Flasche weißen Burgunder. Der Kellner erzählte uns von einem Schriftsteller, der immer kommt und Eier mit Mayo ohne Mayo bestellt und Cola. Jeden Tag. Immer um zwölf. Mir wurde ganz warm vom Wein. Ich war froh, ein Herz zum Fühlen, einen Kopf zum Denken, einen Magen zum Essen, Lungen zum Rauchen und eine Freundin zu haben, die mich zu einem besseren Menschen macht, mit roten Flecken. Der Moment war sehr schön, er musste gar nicht vergehen oder aufgeschrieben werden, damit er das ist. Sie saß da und rauchte und schien nichts anderes damit bezwecken zu wollen. Ich konnte nicht glauben, dass einer einfach so so was tut, ohne was anderes damit tun zu wollen, das nichts mit dem Tun zu tun hat. Sie tat nicht mal so, als würde sie das tun. Sie rauchte ganz ruhig und trank langsam, ohne Hast. Das war es, was ich an ihr liebte, und dass sie zuhören konnte und nie war wie ich. Sie hatte eine wunderbare Verdauung, ein tolles Immunsystem, einen guten Appetit und hatte sich in sechs Jahren nicht einziges Mal beschwert, egal wie lang die Nächte waren. Sie mag offene Fenster genauso wie ich, morgens Licht im Zimmer und hat andere Neurosen. Wenn sie müde war, schlief sie, aber redete nicht davon. Das hatte sie von ihrem Vater, der ein guter Mann war und auch eine gute Frau gewesen wäre, in die man sich sicher verliebt hätte.

Manchmal weiß man einfach nicht, wie man von einem Moment zum anderen gelangen soll. Es ist ganz normal, dass man nach so einem Tag und Abend nicht auch noch die Nacht haben kann. Es ist ganz natürlich. Man kann nichts dagegen tun, nur schauen, über welches Thema man streitet. In der Nacht lag ihr Kopf auf meiner Brust, und ein Gefühl von Liebe war da, das nicht nur Liebe war, sondern auch Vögeln und Mitleid, und ich dachte, Scheiße, mit irgendwem käme man doch gar nicht erst bis hier her. Vielleicht würde ich eines Tages denken, dass das der beste Sex gewesen war. Vielleicht würden wir denken, wie schön die Tage waren, auch die schlechten, wie kühl die Meere, wie frisch der Fisch. Ich konnte es nur nicht mehr ertragen, wenn sie raucht. Früher hatte ich es geliebt, weil es mein Rauchen legitimierte. Ich weiß nicht, wie man das sagen soll, aber Liebe in ihrer besten Form ist das Gegenteil von Mitleid.

Am nächsten Morgen tat ich, was ich immer getan hatte, und ging, da mir die Möglichkeit des Bleibens nicht einfiel. Vielleicht blieb sie mir einfach verwehrt. Es war früh und sonnig und kalt. Ich rannte durch die Tuilerien am Louvre hoch, über die Pont Neuf. Die Luft tat gut, aber es bringt nichts, wenn man weiß, dass man ertrinkt, außerdem stand da schon einer, älter, aber sonst genauso wie ich. Wir musterten einander, sahen uns an und erkannten im Sehen des anderen eine verwandte Seele. Wir zogen den Hut und sahen über Paris, das in der kalten Morgensonne lag. Er hatte eine Zigarette im Mund, aber ich konnte zu dieser Zeit noch nicht rauchen. Er sagte, er könne einfach nicht ohne sie und er könne nicht mit. Er hätte sie nie betrogen, nur manchmal sich selbst. Seitdem kommt er morgens manchmal her, rasiert sich, geht, wenn sie schläft, und guckt, was passiert. Es war gar nicht so das, was er sagte, sondern wie geschafft er das tat. Es war auch nicht, wie er mich ansah oder wie er aussah, sondern wie er aus sich raussah. Es hat immer irgendwas mit Schuld zu tun. Schuld für was? Es ist ein Unglück, bis nichts mehr um einen existiert, und wenn nichts mehr existiert, ist es nicht mehr unglücklich, weil es nichts mehr gibt, mit dem man es vergleichen kann. Die Erschöpfung beginnt.

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