Koalition des Ausbeutertums
![3.jpg](/img/450/204044.jpg)
Auch das Proletariat begrüßt den gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung unserer Tage. Es weiß aber, dass sich dieser wirtschaftliche Aufschwung auch ohne den gewappneten Arm, ohne Militarismus und Marinismus, ohne den Dreizack in unserer Faust und ohne die Bestialitäten unserer Kolonialwirtschaft friedlich entfalten könnte, sofern ihm vernünftig geleitete Gemeinwesen unter internationaler Verständigung und in Übereinstimmung mit den Kulturpflichten und Kulturinteressen dienen würden. Es weiß, dass unsere Weltpolitik zu einem großen Teil eine Politik der gewaltsamen und plumpen Bekämpfung und Verwirrung der inneren sozialen und politischen Schwierigkeiten ist, vor denen sich die herrschenden Klassen sehen, kurzum eine Politik bonapartistischer Täuschungs- und Irreführungsversuche. Es weiß, dass die Arbeiterfeinde ihre Suppe mit Vorliebe am Feuer des beschränkten Chauvinismus kochen, dass schon die von Bismarck skrupellos erzeugte Kriegsangst des Jahres 1887 der gemeingefährlichsten Reaktion gar trefflich Vorspann leistete und dass ein jüngst enthülltes sauberes Plänchen hochgestellter Persönlichkeiten dahin ging, im trüben kriegerischer Hurrastimmung dem deutschen Volk »nach Heimkehr eines siegreichen Heeres« das Reichstagswahlrecht wegzufischen. Es weiß, dass der Vorteil des wirtschaftlichen Aufschwunges, um dessen Ausnützung sich jene Politik bemüht, und dass im besonderen aller Vorteil unserer Kolonialpolitik nur der Unternehmerklasse, dem Kapitalismus, dem Erbfeind des Proletariats, in die weiten Taschen rinnt. Es weiß, dass die Kriege, die die herrschenden Klassen für sich führen, gerade ihm die unerhörtesten Opfer an Gut und Blut auferlegen, für die es nach vollbrachter Arbeit mit jämmerlichen Invalidenpensionen, Veteranenbeihilfen, Leierkästen und Fußtritten aller Art regaliert wird. Es weiß, dass sich bei jedem Krieg ein Schlammvulkan hunnischer Roheit und Gemeinheit über die beteiligten Völker ergießt und die Kultur auf Jahre hinaus rebarbarisiert. Es weiß, dass das Vaterland, für das es sich schlagen soll, nicht sein Vaterland ist, dass es für das Proletariat jedes Landes nur einen wirklichen Feind gibt: die Kapitalistenklasse, die das Proletariat unterdrückt und ausbeutet; dass das Proletariat jedes Landes durch sein eigenstes Interesse eng verknüpft ist mit dem Proletariat jedes anderen Landes; dass gegenüber den gemeinsamen Interessen des internationalen Proletariats alle nationalen Interessen zurücktreten und der internationalen Koalition des Ausbeutertums und der Knechtschaft die internationale Koalition der Ausgebeuteten, der Geknechteten gegenübergestellt werden muss. Es weiß, dass das Proletariat, sofern es in einem Kriege verwendet werden sollte, zum Kampfe gegen seine eigenen Brüder und Klassengenossen geführt würde und damit zum Kampfe gegen seine eigenen Interessen.
Das klassenbewusste Proletariat steht daher jener internationalen Aufgabe der Armee wie der gesamten kapitalistischen Ausdehnungspolitik nicht nur kühl bis ans Herz hinan, sondern in ernster und zielbewusster Feindschaft gegenüber. Es hat die vornehmste Aufgabe, den Militarismus auch in dieser Funktion bis aufs Messer zu bekämpfen, und es wird sich dieser seiner Aufgabe in immer stärkerem Maße bewusst – das zeigen die internationalen Kongresse, das zeigt der Austausch von Solidaritätskundgebungen zwischen deutschen und französischen Sozialisten beim Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges, der spanischen und amerikanischen Sozialisten beim Ausbruch des kubanischen Krieges, der russischen und japanischen Sozialisten beim Ausbruch des ostasiatischen Krieges von 1904 und der 1905 für den Fall eines schwedisch-norwegischen Krieges von den schwedischen Sozialdemokraten gefasste Generalstreiksbeschluss. (…)
Der Militarismus ist aber nicht nur Wehr und Waffe gegen den äußeren Feind, seiner harrt eine zweite Aufgabe, die mit der schärferen Zuspitzung der Klassengegensätze und mit dem Anwachsen des proletarischen Klassenbewusstseins immer näher in den Vordergrund rückt, die äußere Form des Militarismus und seinen inneren Charakter mehr und mehr bestimmend: die Aufgabe des Schutzes der herrschenden Gesellschaftsordnung, einer Stütze des Kapitalismus und aller Reaktion gegenüber dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse. Hier zeigt er sich als ein reines Werkzeug des Klassenkampfes, als Werkzeug in den Händen der herrschenden Klassen, dazu bestimmt, im Verein mit Polizei und Justiz, Schule und Kirche die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu hemmen und darüber hinaus einer Minderheit, koste es, was es wolle, selbst gegen den aufgeklärten Willen der Mehrheit des Volkes die Herrschaft im Staat und die Ausbeutungsfreiheit zu sichern.
Karl Liebknecht: Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung. Leipzig 1907, Leipziger Buchdruckerei Aktiengesellschaft, 126 Seiten. Hier zitiert nach: Karl Liebknecht: Gesammelte Reden und Schriften, Band I. Dietz-Verlag, Berlin 1958, Seiten 274–276
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Geschichte
-
Anno … 3. Woche
vom 11.01.2025 -
Heim ins Reich
vom 11.01.2025