»Heißer Herbst des Protestes«
Von jW-ZusammenfassungDie »Mitteldeutsche Zeitung« in Halle schreibt zu den Castor-Protesten:
»Man wird diese Stimmung im politischen Berlin ernst nehmen müssen, entsorgen läßt sich der Frust des Wahlvolks nicht. Die Organisatoren der Demonstration werden indes wie die Polizei gut beraten sein, den Frieden vor Ort zu bewahren. Nicht auszudenken, welche Eskalation sonst eintreten könnte.«
Die »Westfälische Rundschau« aus Dortmund schreibt zum Castor-Transport und der schwarz-gelben Atompolitik:
»(...) Der schwarz-gelbe Atomkurs hingegen ist rücksichtslos. Er dient allein den Interessen der Kraftwerksbetreiber. Die Gefahren für die Bevölkerung hingegen, die Folgen für den Klimaschutz, die Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Frieden - dies alles fällt nicht ins Gewicht. Auch die Demokratie droht Schaden zu nehmen. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat das parlamentarische Vorgehen zu Recht gerügt. Das Vorhaben der Regierung Merkel, den Bundesrat zu umgehen, ist dreist und wird vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Es ist diese Arroganz der Macht, die den Bürger von den Regierenden entfremdet und ihn auf die Straße treibt.«
Ein Redakteur der »Westdeutsche Allgemeine Zeitung« (WAZ) schreibt in einem Leitartikel mit der Überschrift »Im Herbst des Protestes«:
»So widerborstig wie an diesem Wochenende war das Volk lange nicht. Zigtausende werden heute in Stuttgart, im Wendland und in Hannover auf die Straße gehen. Gegen Stuttgart 21. Gegen Castor-Transporte und die verlängerte Lebensarbeitszeit von Atom-Meilern. Gegen das fortschreitende Auseinanderfallen des gesellschaftlichen Oben und Unten. Der Souverän stellt dem »Herbst der Entscheidungen« der Kanzlerin den heißen Herbst des Protestes entgegen.(...)«
Die »Rheinpfalz« aus Düsseldorf befaßt sich ebenfalls mit den Protesten gegen den Castor-Transport:
»Die Renaissance des Atomkraft-Widerstands hat weniger mit einem neuen deutschen Protesttaumel zu tun als mit der Art und Weise, wie Schwarz-Gelb die Atompläne durchgezogen hat. Sogar Bundestagspräsident Lammert (CDU) hat vernehmlich Zweifel geäußert, daß die Gesetzesvorbereitung ein Glanzstück der Demokratie gewesen ist. Viel zu schnell sei das alles gegangen, monierte er. Auch hat die Regierung die Verlängerung der Laufzeiten mit den großen Stromfirmen ausgehandelt, ohne wirkliche Alternativen vorzulegen. Der gesellschaftliche Friede, den der rot-grüne Atomausstiegsbeschluß ein Jahrzehnt lang beschert hat, ist dahin. Dieses Wochenende markiert erst den Anfang. (...)«
In den »Stuttgarter Nachrichten« heißt es weniger verständnisvoll:
»Demonstrationen nutzen dann, wenn sie alle Verantwortlichen daran erinnern, mit Hochdruck akzeptable Lösungen zu finden. Sie sind sinnvoll, weil sie daran erinnern, daß es nicht Sache der Steuerzahler ist, für die Transportnebenkosten aufzukommen, sondern Angelegenheit von Atomindustrie - und Greenpeace. Wer sich auf die Schienen setzt oder an sie kettet, wer »friedliebend« Regeln verletzt (bevor die Polizei »dem lustigen Treiben auf der Transportstrecke ein Ende macht«, wie eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur dapd am Freitag fröhlich zu berichten weiß), muß sich fragen lassen, wie groß sein Beitrag ist, wenn es um die Zukunft geht. Weil Zukunft gestalten ist - nicht verweigern.«
Für den Kommentator der »Rhein-Neckar-Zeitung« ist es sogar »Blinder Protest«:»Ob mit oder ohne Atomkonsens: Der Protest gegen die Castor-Transporte lebt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Demonstranten gegen die Politik der atomfreundlichen schwarz-gelben Koalition auf die Straße gehen oder wie ehemals gegen Rot-Grün. Der Anti-Atom-Protest wurde damit schal. Denn er ist nicht zielgerichtet, sondern blind: Aktionen wie »Castor schottern«, Blockaden oder das Festketten an Gleisen sind letzten Endes ein unverantwortbares Spektakel mit dem Ziel, die Castor-Transporte megateuer werden zu lassen. Gleichwohl entläßt dieser emotional fehlgeleitete Protest keine Regierung aus irgendeiner Verantwortung.«
Die »Rheinische Post« befindet unter der Überschrift »Der Preis des Atomstroms«:
»Der mit dem Atomkonsens halbwegs befriedete Konflikt zwischen Gegnern und Befürwortern der Kernkraft ist durch den Beschluß der Bundesregierung, die Laufzeiten zu verlängern, wieder entfacht worden. Schwarz-Gelb stößt mit seinem Argument, Atomkraft sei eine unentbehrliche Brücke für den Übergang zu einer Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen, bei der Gegenseite auf taube Ohren. Aus deren Sicht hat die Regierung ein riskantes Milliarden-Geschenk an die Stromkonzerne gemacht. (…) Also keine guten Aussichten für eine Entschärfung des Konflikts. Aber die ist dringend nötig. Noch dringender als die ernsthafte Suche nach einem Endlager. Denn wenn es bei den schwarz-gelben Laufzeiten bleibt, werden noch 15 Jahre lang Castor-Transporte durchs Land rollen. Und es kann nicht sein, daß jedes Mal Zehntausende von Bürgern auf die Barrikaden gehen und Zehntausende von Polizisten einen Mülltransport schützen müssen. Dieser Preis für den Atomstrom ist auf Dauer zu hoch.«
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!