»Hurra, wir waren dabei!« Eine Gruppe von Jugendlichen aus dem Brandenburgischen freut sich. Zum Gruppenfoto reckt einer von ihnen das ortschildähnliche gelbe Plakat mit dem rot durchgestrichenen »Gorleben 21« in die Höhe. Ein Mädchen sagt, kurz zuvor hätten sie alle noch in der Sitzblockade auf der Zufahrtsstraße zum atomaren Zwischenlager in dem wendländischen Ort gesessen, seien durch die Polizei von der Straße getragen worden. Nur einige Zeit nach dem Erinnerungsfoto rollen trotz des massiven Protests der Atomkraftgegner elf Castorbehälter mit hochradioaktivem Atommüll durchs Tor zum Zwischenlager in Gorleben.
Den Triumph, mit ihren Aktionen zum bislang zeitlich längsten Castortransport beigetragen zu haben, können nicht nur die jugendlichen Straßenblockierer für sich in Anspruch nehmen. Daß der nicht nur in reiner Freude seinen Ausdruck findet, ist besonders den vier Männern der Bäuerlichen Notgemeinschaft anzusehen, die sich am späten Montagabend in Gorleben an eine Pyramide angekettet und damit an einer anderen Stelle die Castorstrecke über Stunden unpassierbar gemacht hatten.
Die Erschöpfung von den wohl mehr psychischen Strapazen ist den Männern um den 47jährigen Familienvater Klaus Heuer ins Gesicht geschrieben. Die von den Bauern ersonnene Pyramidenkonstruktion, in denen jeweils ein Arm der Männer steckt, ist tückisch. Die lasse sich nicht einfach so von der Straße schieben, erläutert ein Polizeisprecher. Durch jede falsche Bewegung könne der Arm verletzt werden. Das aber will niemand. Gleichwohl muß die Polizei ihren Auftrag erfüllen und die Straße räumen.
Aus dieser Situation erwächst ein absurd anmutender Wettstreit. »Wir denken, daß die Polizei so zehn bis zwölf Stunden brauchen wird, um die Männer herauszuschneiden«, sagte Christoph Schäfer von der Bäuerlichen Notgemeinschaft zu Beginn der Aktion. Seit dem letzten Castortransport vor zwei Jahren habe man schließlich Zeit gehabt, um die Pyramide so zu bauen, daß ein Heraustrennen noch schwerer wird. Derweil deutete ein Polizeisprecher schon mal vorsichtig an, daß es diesmal wohl schneller gehen könne. Statt die Pyramide in langwieriger Prozedur zu knacken, warten Polizeitechniker diesmal mit einer Konstruktion auf, mit der sich die Pyramide samt Männern zunächst von der Straße rollen läßt.
Die Akteure, Polizeitechniker und Angekettete, begegnten sich während der ganzen Zeit fair, fast schon kameradschaftlich. Der Punkt ging am Ende wegen der neuen technische Räumvariante an die Polizei. Die habe eben auch zwei Jahre Zeit gehabt, »die Schularbeiten« zu machen, sagte ein Polizeisprecher. Und Christoph Schäfer von der Notgemeinschaft hatte inzwischen erfahren, daß die Polizei ihre neue Konstruktion 30 Mal auf ihre Tauglichkeit getestet habe.
Von einem Spaß ist all das weit entfernt. »Wir als Landwirte, die in der Region unsere Flächen haben, haben viel zu verlieren«, sagte Schäfer mit Blick auf das nahegelegene Atommülllager. Deshalb wolle man mit solchen Aktionen die Castortransporte verzögern, verteuern und generell auf die Situation mit dem strahlenden Müll aufmerksam machen.
Für diese seien die Politik der Bundesregierung und die großen Energiekonzerne verantwortlich, hatten Atomkraftgegner in den zurückliegenden Tagen immer wieder bei den Aktionen gegen die ins Wendland rollenden Castoren verkündet - und dabei betont, daß der Konflikt auch auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werde. Der Polizei bescheinigt der Sprecher der Inititative »ausgestrahlt«, Jochen Stay, für den Atommülltransport ein durchaus besonnenes Verhalten. Sie habe mit dazu beigetragen, daß es in Gorleben »so friedlich abgegangen sei«, sagt er am Ende vor dem Eingang zum Zwischenlager stehend und fügt hinzu: »Wir können total zufrieden sein.«
(dapd/jW)