Kultur an der Castorstrecke
Von Max EckartEinmal rechts abfahren, dann noch mal linksrum, und schon ist man da. Inmitten des kleinen Dörfchens Laase steht der »Musenpalast«. »Außerhalb der Verbotszone«, betont Willem Wittstamm. Der Varieté-Künstler, Polit-Entertainer und Atomkraftgegner aus dem Wendland ist Organisator des Kulturzeltes.
In einem hundert Meter breiten Korridor entlang der Castortransportstrecke hat die Polizei bis Mitte November bekanntlich alle Kundgebungen und Versammlungen untersagt. Von dem kleinen Zirkuszelt bis zur Straße, auf der die Atommüllbehälter gestern Nacht nach Gorleben gebracht werden sollten, sind es rund 120 Meter.
Seit 2003, erzählt Wittstamm, ist der Musenpalast Anlaufstelle für alle, die sich vom Demogeschehen erholen, bei einer Tasse Kaffee oder einem Teller Suppe aufwärmen oder einfach ein bißchen Kultur genießen wollen. Das Zelt ist seit Samstag von morgens bis spät nachts geöffnet. Gestern, in der Nacht vor dem Castortransport, sollte es durchgängig ein Programm geben.
Es sind nicht immer die ganz großen Namen, die Willem Wittstamm für kleine Konzerte, Aufführungen, Sketche oder Lesungen verpflichtet hat. Auch unbekannte Künstler tragen im Musenpalast selbst geschmiedete Verse oder selbst getextete Lieder vor und klimpern dazu auf ihrer Gitarre. »Mir geht es auch gar nicht darum, hier die ganz tolle Musik zu hören«, sagt Christa Müller. Die 36jährige aus Hamburg ist schon seit Freitag im Wendland. Sie freut sich, daß es mit dem Musenpalast »einen Ort gibt, wo man was anderes hört und sieht als Polizeisirenen und behelmte Hundertschaften.« Außer Müller sitzen oder stehen am Montagmittag noch rund ein Dutzend Castorgegner im Zelt. Sie klönen, dösen, telefonieren oder blättern in einer der Zeitungen, die dieser Tage in jedem Camp und bei jeder größeren Veranstaltung der Castorgegner kostenlos verteilt werden.
Am Samstag, bei der diesjährigen Eröffnung des Musenpalastes, war bedeutend mehr los als gestern. Mehr als 150 Leute hätten sich auf den Bänken gedrängt oder sogar auf dem Boden gehockt, berichtet Wittstamm. Selbst Stehplätze gab es im Zelt kaum noch. Die eigens für den Premiereabend gedruckten Eintrittskarten seien »ruck-zuck« weg gewesen.
Grund für den Ansturm war wohl der Auftritt prominenter Castorgegner. Der »Ärzte«-Sänger, Texter und Schlagzeuger Bela B, die Autorin Charlotte Roche sowie der Schriftsteller und Musiker Rokko Schamoni waren angekündigt. Alle drei hatten in der vergangenen Woche auch einen bundesweit beachteten »Künstler-Aufruf« gegen den Castortransport unterzeichnet. Roche hatte gar erklärt, sie sympathisiere ausdrücklich mit der Kampagne »Castor schottern«.
»Das war ein witziger Auftritt«, sagt Helga Grebich, die sich während der Castorzeit in einem Nachbarort einquartiert hat und jeden Tag mal im Musenpalast vorbei schaut. Die drei Künstler hätten nämlich beschlossen, nicht eigene, sondern Texte der jeweils anderen Autoren vorzulesen. Rocko Schamoni etwa sollte aus Roches Skandalbuch »Feuchtgebiete«vortragen. Um ihren Kollegen nicht bloß zu stellen, hatte sie vorher besonders pikante und anrüchige Begriffe durch das Wort »Castor« ergänzt – auch das Werk selbst hieß plötzlich »Castorgebiete«.
Grundsätzlich ist der Zugang zum Musenpalast auch dann gewährleistet, wenn die Castoren auf der 120 Meter entfernten Straße ins Zwischenlager rollen - auch wenn dieser freie Zugang erst vor Gericht erstritten werden mußte. Wer eine Eintrittskarte vorweisen kann oder seine an der Kasse hat hinterlegen lassen, muß von der Polizei durchgelassen werden. Bei zwei vergangenen Atommülltransporten hatten die örtlichen Einsatzleiter allerdings schon das ganze Dorf Laase und damit auch das Kulturzelt von ihren Beamten umstellen lassen. Niemand wurde durchgelassen, egal ob Einwohner oder Kulturinteressierter.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!