Gefährliches Spiel
Von André Scheer, CaracasVenezuela: Opposition will wahrscheinliche Niederlage nicht anerkennen. Wahlbehörde warnt vor »antidemokratischen Bestrebungen«
In zehn Tagen hat Nicolás Maduro die 23 Bundesstaaten Venezuelas durchreist und in jedem von ihnen bei großen Kundgebungen um Stimmen für die Präsidentschaftswahl am Sonntag geworben.
Abschluß und Höhepunkt
dieser Tournee sollte am gestrigen Donnerstag (nach jW-Redaktionsschluß)
eine gewaltige Demonstration im Zentrum der Hauptstadt Caracas werden,
zu der mehrere Millionen Menschen erwartet wurden. Es war der offizielle
Abschluß des Wahlkampfes, seit Freitag um 0 Uhr sind keine Kundgebungen
mehr gestattet.
Bereits in den Tagen zuvor fanden in den
Straßen von Caracas unzählige kleinere Kundgebungen und Demonstrationen
statt. Autokorsos kurven mit roten Fahnen durch die Stadt. An nahezu
jeder Straßenecke stehen »rote Punkte«. An diesen Infoständen werben
Anhänger des Regierungslagers mit Werbematerialien und zumeist auch mit
lautstarker Musik um Stimmen. Am Mittwoch entrollten Jugendliche ein
rund 30 Meter langes Transparent mit dem Aufruf, im Sinne des am 5. März
verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez für Nicolás Maduro zu stimmen.
Dabei zeigte sich Daniel Rodríguez, ein 23jähriger Student, im Gespräch
mit junge Welt entschlossen, alles ihm mögliche für einen klaren
Wahlerfolg Maduros zu tun. »Wir schulden dem Comandante Hugo Chávez zehn
Millionen Stimmen«, gab er das Wahlziel aus.
Diese »zehn
Millionen Stimmen« sind unter den Chavistas Venezuelas zu einem Mythos
geworden. Hugo Chávez hatte dieses Ziel 2006 im Wahlkampf gegen Manuel
Rosales ausgegeben. Erreicht wurde es bis heute nicht. 2006 stimmten 7,6
Millionen Menschen für Chávez, bei der Wahl im vergangenen Jahr waren
es fast 8,2 Millionen. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, daß die Marke
am Sonntag geknackt wird, auch wenn alle Umfragen auf einen klaren
Erfolg Maduros hindeuten.
Mehr Sorgen als um ihren Sieg am
Sonntag machen sich die Bolivarianos allerdings um die Reaktion des
wahrscheinlichen Wahlverlierers, Henrique Capriles. In Venezuela mehren
sich die Hinweise darauf, daß dieser eine Niederlage nicht anerkennen
will. Am Mittwoch präsentierte Parlamentspräsident Diosdado Cabello
Belege für derartige Planungen. So spielte er eine Tonaufnahme vor, auf
der ein Joao Nunes Rocha zu hören ist. Dieser Leibwächter des
Oppositionskandidaten äußert darin gegenüber dessen Fahrer, sein Chef
werde das Ergebnis im Falle einer Niederlage nicht akzeptieren: »Das
gibt Ärger!«
Weiter präsentierte Cabello die E-Mail eines
Carlos Lee, der gemeinsam mit anderen Regierungsgegnern der »Junta
Patriótica« angehört, ein von der Opposition gebildetes Schattenregime,
das bei einem Sturz der Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen soll. In
diesem Schreiben an Vicente Díaz, den einzigen ausgewiesenen
Oppositionellen in der Spitze des Nationalen Wahlrates (CNE), wird offen
eine Verletzung der Gesetze angekündigt: »Wir informieren Sie hiermit
über die Nichtanerkennung der Artikel 350 und 333 der Verfassung.
Nichtanerkennung und Nichtbefolgung der Reports des CNE.« Offenbar
sollen am Wahlabend mit Hilfe der Oppositionsgruppe Esdata gefälschte
Ergebnisse verbreitet werden, um dann die offiziellen Zahlen des CNE als
»manipuliert« zurückweisen zu können.
Ein Beispiel für diese
Strategie hatte bereits bei der Wahl am 7. Oktober die ultrarechte
spanische Tageszeitung ABC geliefert, als sie in den Mittagsstunden auf
ihrer Homepage verbreitete, Capriles habe die Wahl gegen Chávez
gewonnen. Damals vereitelte ausgerechnet Capriles diese Kampagne, weil
er seine Niederlage unmittelbar nach der Bekanntgabe des offiziellen
Ergebnisses einräumte. Vom rechten Flügel der Opposition wurde er dafür
scharf attackiert. Nun befürchten viele, daß Capriles das Fehlen der
Autorität von Hugo Chávez diesmal zu einer solch abenteuerlichen
Strategie verleiten könnte.
CNE-Präsidentin Tibisay Lucena
verurteilte derartige Manöver am Mittwoch scharf. Begleitet von hohen
Offizieren des Oberkommandos der Nationalen Bolivarischen Streitkräfte
Venezuelas warnte sie bei einer Pressekonferenz: »Wir haben beobachtet,
daß erneut antidemokratische Strömungen, die nicht an Wahlen glauben,
versuchen, dem Land ihre Agenda aufzuzwingen.« Die Venezolaner dürften
nicht auf diese »groteske Provokation« hereinfallen, forderte Lucena:
»Sie können sicher sein, daß die Institutionen des Staates sehr stabil
sind und diesen antidemokratischen Bestrebungen Widerstand leisten
werden.«
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