Drei Jahre Zeit
Von André ScheerDas Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Venezuela war ein Warnschuß für die revolutionäre Bewegung. Es war ein Schock, als die Präsidentin des Nationalen Wahlrates, Tibisay Lucena, am Sonntag abend vor die Presse trat und das offizielle Ergebnis der Abstimmung verkündete: 50,66 Prozent für Nicolás Maduro – gewählt, aber mit wenig mehr als anderthalb Prozentpunkten Vorsprung.
Dabei waren zuvor Werte gehandelt worden, die dem Ergebnis von Hugo Chávez im vergangenen Oktober nahegekommen wären. Selbst ein noch größerer Sieg als damals wurde nicht ausgeschlossen.
Allerdings darf die böse Überraschung – die auch zu einer Katastrophe hätte werden können, wenn Capriles noch ein paar hunderttausend Stimmen mehr gewonnen hätte – nicht davon ablenken, was dieses Ergebnis im internationalen Maßstab bedeutet: Mit einem sozialistischen Programm und einer klaren Orientierung auf die Arbeiterklasse gewinnt ein ehemaliger Busfahrer ohne die Präsenz einer Symbolfigur wie Hugo Chávez mit fast 50,7 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahl.
Über 50,7 Prozent würden sich in Deutschland, in Frankreich, in Italien oder in Spanien alle politischen Kräfte freuen. Als US-Präsident Barack Obama im vergangenen Jahr mit einem ähnlichen Ergebnis wiedergewählt wurde, war in den internationalen Medien von einem »klaren Sieg« die Rede. Und ein Arbeiter als Präsident – das hat es in Deutschland bislang nur einmal gegeben: Wilhelm Pieck in der DDR.
Nicolás Maduro hat jetzt gut drei Jahre Zeit. Sobald seine halbe Amtszeit abgelaufen ist, wird die Opposition ein Amtsenthebungsreferendum anstrengen, wie sie es 2004 gegen Hugo Chávez versucht hatte. Drei Jahre sind wenig Zeit für die dringenden Aufgaben, die der revolutionäre Prozeß angehen muß, wenn er beweisen will, daß er auch ohne den »ewigen Comandante« eine bessere Zukunft für alle Venezolaner bedeutet. Dazu gehören die Bekämpfung der Kriminalität, der Inflation, der Korruption und der Ineffizienz der staatlichen Behörden. Dazu gehören aber auch die Fortsetzung und der Ausbau der sozialen Missionen wie des Wohnungsbauprogramms.
Es wird jetzt nicht an Ratschlägen an Maduro fehlen, die radikalen Töne eines Hugo Chávez sein zu lassen, den Antiimperialismus und die Freundschaft mit Kuba aufzugeben. Washington und Brüssel, vielleicht auch Berlin, werden dem neuen venezolanischen Präsidenten den roten Teppich ausrollen, um ihn einzukaufen. Das aber wäre für das politische Projekt Venezuelas ebenso fatal wie eine Radikalisierung, die die Menschen nicht mitnimmt. Es geht in Venezuela nicht um Parolen und Heiligenbilder, sondern um konkrete Ergebnisse zum Wohl der Menschen. Und solche sozialen Verbesserungen sind nur im Kampf gegen die kapitalistische Weltordnung möglich.
Nicolás Maduro hat in seiner ersten Rede nach Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse jeden Pakt mit der Rechten abgelehnt und betont, daß der Aufbau des Sozialismus in Venezuela fortgesetzt werden soll. Die Lehre aus dem Wahlergebnis sei, daß die Volksmacht ausgebaut und verstärkt werden muß. Das ist die richtige Richtung.
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