»Ich erkläre mich solidarisch« - Ein Gespräch mit Tobias Pflüger
Von Interview: Claudia WangerinSie haben am Wochenende auf dem Pressefest der kommunistischen Wochenzeitung UZ angekündigt, sich nicht den Verhaltensregeln unterzuordnen, die die Bundestagsfraktion Die Linke unter dem Motto »Entschieden gegen Antisemitismus« beschlossen hat. Warum?
Ich bin entschieden gegen Antisemitismus, und zwar in aller Ernsthaftigkeit. Wozu ich aber nicht bereit bin, ist mir –auch noch mit dieser Überschrift! – bestimmte Positionen zum Nahostkonflikt vorschreiben zu lassen.
Obwohl ich der Meinung bin, daß eine Zweistaatenlösung mit einem Staat Israel und einem Staat Palästina jeweils in den Grenzen von 1967 richtig ist –dafür hat sich ja selbst US-Präsident Barack Obama ausgesprochen – will ich mir nicht für alle Zeiten verbieten lassen, nach Lage der Dinge auch eine Einstaatenlösung zu unterstützen.
Was könnte Ihren Standpunkt ändern?
Das kommt nicht unwesentlich auf die Analyse von Linken in Israel und Palästina an. Wenn die in Zukunft sagen, daß sie eine Einstaatenlösung wünschen und dies politisch richtig und durchsetzungsfähig sei, dann sind das für mich neue Voraussetzungen.
Wie stehen Sie zu den Boykottaufrufen gegen israelische Waren, die laut Fraktionsbeschluß nicht unterstützt werden sollen?
Besonders in Deutschland ist ein Boykottaufruf gegen israelische Waren hoch problematisch. Im Auswärtigen Ausschuß des Europäischen Parlaments habe ich mich auch mit den EU-Assoziationsabkommen mit Israel befaßt. Güter aus den besetzten Gebieten werden völkerrechtwidrig als israelische Waren deklariert. Nun gibt es Kampagnen verschiedenster Gruppen, die dazu aufrufen, konkret diese Waren nicht zu kaufen – diese Kampagnen sind unterstützenswert. Sollte jemand sagen, daß ich mit dieser Formulierung gegen den Beschluß der Bundestagsfraktion verstoße, weil dies als Boykott israelischer Waren verstanden wird, dann spricht das für sich.
Der Fraktionsbeschluß untersagt auch die Teilnahme an der für diese Woche geplanten »Free-Gaza-Flottille«, mit der laut Organisatoren eine »bunte Regenbogenkoalition« Hilfsgüter in den Gazastreifen bringt und die Aufhebung der israelischen Blockade erreichen will. Wie beurteilen Sie dieses Projekt?
Ich erkläre mich solidarisch mit den Freundinnen und Freunden der Flottille – insbesondere will ich meinen früheren Kollegen im Europaparlament und persönlichen Freund Willy Meyer von der spanischen Vereinigten Linken grüßen. Unsere Unterstützung verdienen diejenigen, die mit verschiedensten Aktionen versuchen, auf die Situation der Menschen im blockierten Gazastreifen hinzuweisen und sie zu verbessern.
Kritiker verweisen auf das Angebot Tel Avivs, die Hilfsgüter in einem israelischen Hafen entgegenzunehmen und die Verteilung in Gaza zu organisieren.
Im vergangenen Jahr sind die Hilfsgüter auf diesem Weg erstens nicht vollständig angekommen. Zweitens geht es darum, daß die israelische Blockade des Gazastreifens real und vollständig aufgehoben wird. Auch der Hinweis, daß Ägypten ja jetzt die Grenze geöffnet habe, geht völlig an der Realität vorbei. Da gibt es enorme Wartezeiten und bürokratische Hürden.
Ihre stellvertretende Parteichefin Katja Kipping rechtfertigt den Beschluß gegen die Teilnahme an der Flottille in einem Debattenbeitrag im Neuen Deutschland damit, daß antisemitische Organisationen und »Kriegstreiber« beteiligt seien.
Sie meint wohl die türkische IHH, eine klassische islamische Hilfsorganisation. Gruppierungen dieser Art pauschal als islamistisch oder antisemitisch darzustellen, ist gewagt. Außerdem gibt es in diesem Jahr aller Voraussicht nach gar keine türkische Beteiligung an der Flottille. Es ist schon seit Tagen bekannt, daß die »Mavi Marmara« nicht mitfahren wird. Katja Kippings Überschrift »Keine Bündnisse mit Kriegstreibern« würde ich allerdings ernst nehmen. Wir sollten genau hinsehen, wer die Kriegstreiber sind. Die Organisatoren der Flottille kann man sicher nicht als solche bezeichnen.
Es gibt Leute, die das Unternehmen gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigen, es aber für zu riskant halten, da die israelische Marine beim letzten Versuch vor etwa einem Jahr neun Aktivisten getötet hat.
Das ist ein Argument. Aber soweit ich das sehe, tun die Organisatoren der Flottille alles, was sie können, um eine Eskalation zu verhindern. Sie haben sich zur Gewaltfreiheit verpflichtet und ihre Regierungen aufgefordert, sich dafür einzusetzen, daß auch das israelische Militär auf Gewalt verzichtet. In der israelischen Zeitung Haaretz gibt es jetzt einen Appell, die Gaza-Flottille durchzulassen.
Tobias Pflüger ist ehemaliger Europaabgeordneter und Mitglied des Vorstands der Partei Die Linke
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