Warten auf das Startsignal
Von Von Peter WolterDie »Tahrir« hat Kraftstoff übernommen, die Trinkwassertanks sind gefüllt, der Proviant für mehrere Tage ist verstaut. Jeder der 50 Aktivisten und Journalisten, die mit der jetzt aus zwölf Schiffen bestehenden Gaza-Flottille die israelische Blockade durchbrechen wollen, hat seine Sachen gepackt. Es kann also losgehen. Tut es aber noch nicht.
Wir warten nämlich auf das Startsignal, das vom »Steering Committee«, dem Lenkungsausschuß der Flottille gegeben wird. Das »Committee« besteht aus Vertretern der multinationalen »Free Gaza«-Bewegung, jedes einzelne Schiff ist darin vertreten. Sobald der entscheidende Anruf bei uns ankommt, werden alle unsere Leute per Telefonkette verständigt, so daß wir binnen zwei Stunden ablegen können.
Fast eine Woche lang haben wir im Konferenzraum eines griechischen Hotels alle Facetten der Aktion durchgesprochen. In Rollenspielen haben wir den passiven Widerstand geübt, Verhöre durchgespielt, uns mit den zu erwartenden Haftbedingungen vertraut gemacht. Ein wichtiges Thema war die Angst vor dem Zugriff der Israelis, die dabei sehr wahrscheinlich Blendgranaten, Pfefferspray, Taser, Gummigeschosse und Tränengas einsetzen. Beim Entern der ersten Flottille im vorigen Jahr hatte die Marine sogar scharfe Hunde dabei. Angst, das haben unsere kanadischen Kommunikationstrainerinnen betont, läßt sich am besten in der Gruppe ertragen.
Zusammenleben auf engstem Raum
Wir sind darauf eingestellt, erst einmal drei Tage lang auf engstem Raum zusammenleben zu müssen. Waschen müssen wir uns mit Seewasser. Trinkwasser ist – wie der Name schon andeutet - nur zum Trinken da. Schlafen können wir nur auf den wenigen Sitzbänken in der Kabine oder auf dem stählernen Schiffsboden, unter dem Tag und Nacht die beiden Dieselmotoren wummern. Die meisten von uns werden wahrscheinlich seekrank sein, hoffentlich lernt jeder noch rechtzeitig, Luv und Lee zu unterscheiden – also die dem Wind zugewandte Seite des Schiffs von der anderen – es könnte an Deck sonst rutschig werden. Wenn die Israelis angreifen, werden wir fix und fertig sein, vor Angst bibbern und riechen wie die Iltisse. Hoffentlich legen uns die Soldaten das nicht als Angriff mit Chemiewaffen aus, über die bereits israelische Zeitungen fabulierten, die von den Streitkräften mit solchen Gruselgeschichten gefüttert werden. Bei uns an Bord gilt jedenfalls als oberste Regel: Wir sind friedlich. Jeder von uns hat eine Liste von Verhaltensmaßregeln unterschrieben, die uns sogar jedes böse Wort gegenüber den Soldaten verbieten.
Strenge Sicherheitsregeln
Die gefährlichsten Gegenstände an Bord sind Schraubenzieher, Schraubenschlüssel und Küchenmesser, die einzige Chemie findet sich in den sündhaft teuren Medikamenten, die wir in den Gazastreifen bringen wollen. Es darf kein Alkohol und keine Droge mitgenommen werden. Und damit nicht heimlich etwas an Bord geschmuggelt wird, wird jeder Teilnehmer vor dem Betreten des Schiffes mit Metalldetektoren durchsucht, sein Gepäck wird kontrolliert. Wir sind uns dessen bewußt, daß alles, was die Soldaten als Provokation mißverstehen könnten, in einem Massaker enden kann. Wie am 31. Mai 2010 auf der »Mavi Marmara«. Damals wurden neun Menschen erschossen, 50 weitere erlitten zum Teil schwerste Verletzungen.
Auch auf diesen hoffentlich nie eintretenden Fall sind wir eingestellt. Unser »Medical Team« besteht aus zwei Ärzten aus Belgien und Kanada sowie einer belgischen Krankenschwester. Sie haben sich mit dem nötigen Material eingedeckt, um im Notfall auch Schußwunden versorgen zu können. Und einige Psychologinnen würden sich um die Traumatisierten kümmern. Einige von uns haben schon einen Teil ihres Gepäcks entsorgt oder den meist bettelarmen Zimmermädchen des Hotels übergeben – außer einigen T-Shirts, etwas Unterwäsche, einer Decke oder eines Schlafsacks können wir nichts mitnehmen. Eine erst später zu uns gestoßene Journalistin war mit mehreren Koffern angereist – sie wurde ein wenig bleich, als sie erfuhr, daß sie Abendgarderobe und Pumps entsorgen muß. Am Mittwoch wurden noch große Umschläge verteilt, in denen wir Kredikarten, persönliche Dokumente, Fotos und ähnliches nach Hause schicken. Den meisten Teilnehmern der Flottille des vergangenen Jahres blieb nämlich bei der Abschiebung aus Israel nur das, was sie auf dem Leib trugen – nur wenige bekamen einen Teil ihres Gepäcks zurück. Vielen wurde sogar die Brille von der Nase gerissen.
Multinational und multireligiös
Mittlerweile sind wir eine multinationale Gesellschaft geworden – gleich viel Männer und Frauen. Die Mehrheit kommt aus Kanada, wo auch der größte Teil der Spenden gesammelt wurde, mit denen das Schiff und die Medikamente gekauft wurden. Es gibt viele Australier sowie je ein halbes Dutzend Belgier und Dänen. Dann haben wir noch einen BRD-Bürger, eine russische Journalistin, einen iranischen TV-Reporter sowie zwei Türken.
Buntscheckig wie die nationale Zusammensetzung sind auch die Berufe: Universitätsprofessoren, Ärzte, Sekretärinnen, Krankenschwestern, IT-Spezialisten, eine Anwältin. Viele gehören christlichen Friedensgruppen an, einige sind Muslime, andere jüdischer Abstammung. Atheisten wie ich sind in der Minderheit. Wir kommen bestens miteinander aus, der Umgang ist herzlich. »Wir fahren nach Palästina, weil wir dazu beitragen wollen, daß die Israelis die unmenschliche Blockade des Gazastreifens aufheben müssen«, faßte ein Kanadier zusammen. »Wir sind nicht hier, um darüber zu streiten, was die Sowjetunion falsch gemacht hat oder ob es einen Gott gibt.«
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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