Entschlossen, bis zum Schluß dabei zu bleiben
Von Von Peter Wolter, Agios NikolaosUrprünglich sollten die Schiffe der »Free Gaza«-Flottille schon am vergangenen Montag auf internationalen Gewässern zusammentreffen, sitzen aber mehrheitlich in Griechenland fest. Trotz des am Freitag verhängten Auslaufverbots halten die »Tahrir«-Passagiere durch.
Unter Deck liegen Kabel herum, Schlafsäcke, Reisetaschen, Kameras, Sonnenhüte und Krimskrams jeder Art. Die Tische sind voller Notebooks, auf denen die mitreisenden Journalisten ihre Berichte tippen oder Aktivisten aus Kanada und Australien ihre Blogs aktualisieren.
Wenige Meter entfernt wird in der Kombüse gebrutzelt, es gibt irgendetwas Vegetarisches mit vielen Kichererbsen. Es riecht nach Essig, Olivenöl und Knoblauch. Küchenchef ist Miles aus Kanada, ihm zur Hand gehen Gunnar aus Dänemark und die australische Grünen-Politikerin Sylvia.
Ich selbst sitze am Journalistentisch, eingeklemmt zwischen Kanada und Dänemark – das Notebook auf den Knien. Gewusel überall, obwohl alle Türen zum Oberdeck und sämtliche Fenster offen stehen, ist es unter Deck drückend heiß, der Schweiß tropft mir in die Tastatur, die Brille ist ständig beschlagen.
Laufend piepst irgendwo ein Handy, hinter mir wird auf hebräisch telefoniert, um mich herum höre ich diverse englische Dialekte, Französisch, Arabisch, Türkisch oder Flämisch.
Die »Tahrir« liegt immer noch im Hafen von Agios Nikolaos auf Kreta. Vor dem Schiff steht ein Polizeiauto, alle paar Minuten fährt auf der Wasserseite ein Patrouillenboot der griechischen Küstenwache vorbei.
Wir dürfen den Hafen nicht verlassen, auch wenn wir gestern der Hafenmeisterin den Kompromiß abgenötigt haben, daß wir ablegen dürfen – aber nicht mit dem Ziel Palästina. Die griechische Regierung hat auf Druck der israelischen Regierung kurzerhand angeordnet, daß keines der Flottillen-Schiffe auslaufen darf.
Diplomatie und Demonstrationen
Das »Steering Committee« der Flottille, die Hilfsgüter zu den Palästinensern im Gazastreifen bringen will, hat nun Anwälte aufgefahren, um eine einstweilige Verfügung zu erwirken, die Griechenlands Regierung zwingt, das Auslaufverbot aufzuheben. Auch Kontakte zu griechischen Politikern wurden aufgenommen. Erwartet wird ein Europaabgeordneter der Partei Synaspismos, die sich Friedenspolitik, Ökologie und Feminismus auf die Fahnen geschrieben hat. Das Committee ist auch mit den Gewerkschaften im Gespräch. Ein Auslaufen sei frühestens am Montag möglich, schätzt unsere Schiffsführung.
Die Aktivisten an Bord wollen sich aber nicht auf Verhandlungen und einstweilige Verfügungen verlassen. Daß sie sich auch durch Behördenschikanen und ein massives Polizeiaufgebot nicht einschüchtern lassen wollen, haben sie gestern unter Beweis gestellt: Ein Polizist, der wichtige Schiffspapiere mitnehmen wollte, wurde so lange an Bord festgehalten, bis er sie wieder herausrückte. Es folgte eine spontane Demonstration durch die Hafenstadt – mit kanadischen, australischen, dänischen und belgischen Flaggen sowie Transparenten. »Hat jemand ein Foto davon, wie ich demonstriere?«, ruft der türkische Geschäftsmann Demir heute morgen in die Runde. »Das war die erste Demonstration in meinem Leben!«
Auch Touristen wünschen Glück
Anderthalb Wochen lang hatten wir uns im Konferenzraum eines Hotels auf die Fahrt vorbereitet. Auf das enge Zusammenleben an Bord, auf die zu erwartende Enterung durch die israelische Marine, auf Verhöre und Haft. Seit gestern tritt die »Tahrir«-Gruppe offen auf: Das Schiff ist mit Solidaritätstransparenten behängt, viele Teilnehmer tragen entsprechende T-Shirts. Neugierige Touristen betrachten das Schiff, so mancher von ihnen schüttelt den Aktivisten die Hände und wünscht uns Glück. Vor unserem »Outing« durfte aus Sicherheitsgründen noch nicht einmal die Ortsmarke »Agios Nikolaos« in den Artikeln genannt werden.
Unterwasser-Security
Viele von uns haben in der vergangenen Nacht schon an Bord geschlafen, auf Bänken oder auf dem stählernen Schiffsdeck. Ein großer Katamaran, der bis heute morgen neben der »Tahrir« lag, hatte Unterwasserscheinwerfer eingeschaltet, um Sabotageakte zu erschweren. Zusätzlich wurde unser Schiff unter Wasser von griechischen Tauchern bewacht.
Wie es weiter geht, wissen wir noch nicht. Vielleicht laufen wir tatsächlich nicht in Richtung Gaza aus, sondern erst einmal zu einem türkischen oder libanesischen Hafen. Das wird die Expedition in die Länge ziehen – wie eine Abstimmung in der Morgenbesprechung ergab, ist die übergroße Mehrheit der Teilnehmer fest entschlossen, bis zum Schluß dabei zu bleiben.
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