Erfolgreicher Protest
Von Markus MohrAm alten Seebadeort Heiligendamm in der Mecklenburger Bucht trafen sich vor zehn Jahren acht Staatschefs, von denen es heißt, es seien die wichtigsten der Welt. Wollte man den Grund ihrer Zusammenkunft ein wenig verkürzt und etwas überspitzt, aber beileibe nicht falsch angeben, müsste man sagen: Sie kamen zusammen, um über die Aufrechterhaltung der globalen Ausbeutung zu beratschlagen. Das Gipfeltreffen der informellen »Gruppe der acht« (Russland ist aus dem Klub wegen ungebührlichen Betragens, nämlich Grenzverschiebung, mittlerweile ausgeschlossen worden) wertete die Gastgeberin Angela Merkel damals als »Erfolg«. In Erinnerung geblieben ist ein Foto, aufgenommen am 7. Juni 2007, das acht Männer und eine Frau zeigt, die in einem Strandkorb sitzen und lachen – weniger oder vielmehr gar nicht hingegen, was dort genau besprochen wurde.
Die Proteste, die sich gegen die Staatenlenker aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Russland und den Vereinigten Staaten richteten, dürften indes ebenfalls noch erinnerlich sein. Gegner der von diesen Männern und dieser Frau repräsentierten kapitalistischen Weltordnung hatten früh begonnen, mit mal mehr, mal weniger radikalen Maßnahmen, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass sie das bevorstehende Gipfeltreffen ablehnten. Ende Dezember 2006 ging das Auto der Ehefrau von Thomas Mirow, damals Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, in Flammen auf, auf der Fassade seines Hauses platzten Farbbeutel. Bekannt hatte sich eine autonome Gruppe, die fand, der SPD-Mann habe das verdient, denn er sitze an »den strategischen Hebeln der Macht«. Er sei zur Stelle, »wo immer in Deutschland und in internationalen Organisationen über Schuldenprogramm, Kreditvergabe oder Strukturanpassung für die Regionen des Trikonts entschieden wird«, hieß es in einem der Hamburger Morgenpost zugegangenen Schreiben.
Hausdurchsuchungen
Ein verkohltes Kraftfahrzeug und eine verschmierte Hauswand reichten, und die Bundesanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Am 9. Mai 2007 rückte die Polizei im Hamburger Schanzenviertel mit Dutzenden Mannschaftswagen an, verschaffte sich mit Stemmeisen Zugang zum autonomen Zentrum »Rote Flora« und beschlagnahmte Computer und Aktenordner. Von der obersten Ermittlungsbehörde angeordnete Razzien gegen linksradikale G-8-Kritiker fanden am gleichen Tag auch in Berlin, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg statt.
Die im Bündnis der Gegner des Gipfels von Heiligendamm vertretenen Gruppen – das Spektrum reichte von ATTAC bis hin zur Interventionistischen Linken (IL) – kritisierten geschlossen das Vorgehen der Staatsmacht, in einer Reihe von Städten formierten sich Protestdemonstrationen. Anfang Januar 2008 befand der Bundesgerichtshof, dass die Durchsuchungsaktion rechtswidrig war und die Generalbundesanwältin gar nicht zuständig.
Am 2. Juni 2007 versammelten sich nach Veranstalterangaben etwa 80.000 Menschen in Rostock unter der Parole »Make Capitalism History« zu einer internationalen Großdemonstration gegen den G-8-Gipfel. Der Marsch verlief weitgehend friedlich, allerdings gingen auch Fensterscheiben und Glastüren zweier Sparkassenfilialen zu Bruch, Steine flogen auf einen Streifenwagen. Das reichte aus Sicht der Polizei offenbar aus, um die Abschlusskundgebung am Stadthafen anzugreifen und dort Wasserwerfer einzusetzen. Vermummte reagierten mit Steinwürfen auf Beamte. Den heftigsten Widerstand gegen die Staatsgewalt leisteten linksradikale Demonstrationsblöcke türkisch-kurdischer Gruppen, die von der Staatsmacht brutal angegangen wurden.
Einen Tag später gab die Polizei bekannt, es habe 1.000 Verletzte auf beiden Seiten gegeben, darunter 433 Polizisten. Eine Zahl, die ebenso wie die Höhe des entstandenen Sachschadens (in den Medien war zunächst die Summe von einer Million Euro behauptet worden, später war nur noch von 50.000 Euro die Rede) kurze Zeit später deutlich nach unten korrigiert werden musste. So stelle sich etwa heraus, dass von den 30 als schwerverletzt gemeldeten Beamten lediglich zwei stationär im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Gute und böse Gipfelgegner
Nach den militanten Auseinandersetzungen schlugen im Demonstrationsbündnis die Wellen hoch. Peter Wahl von ATTAC forderte den Ausschluss der Autonomen, ein langjähriger Vertreter der IL schob die Schuld an den Randalen kurzerhand auf »ausländische« Aktivisten, vorwiegend aus Italien und Griechenland, und Werner Rätz, ebenfalls ATTAC, bejahte die Frage der Frankfurter Rundschau, ob denn nunmehr die Reihen der Globalisierungsgegner »zu sortieren« seien, um sich besser von »Gewalttätern abgrenzen« zu können. Michael Kronawitter, damals Mitglied der mittlerweile aufgelösten Antifaschistischen Aktion Berlin, hielt dagegen. Auf der Titelseite von junge Welt ließ er verlauten: »Es hat nicht wenige mit klammheimlicher Freude berührt, Berliner Polizisten auch einmal rennen zu sehen«. Und weiter: »Militanz heißt, nicht noch die andere Wange hinzuhalten, sondern auch mal zurückzuschlagen.« Zur »Sortierung« in gute und böse Demonstranten kam es nicht.
Höhepunkt der Aktionen des Protestbündnisses und dessen »Erfolg« war allerdings die offensiv angekündigte zweitägige Massenblockade aller Zufahrtswege nach Heiligendamm, in der Absicht, den Tagungssitz auf dem Landweg zu isolieren. Und tatsächlich war die Versorgung der Gipfelteilnehmer zeitweise nur zu Wasser und zu Luft möglich. Allen Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz wurde das Treffen der »Gruppe der acht« in seinem Ablauf gestört. An diesem Akt des Ungehorsams beteiligten sich rund 10.000 Aktivisten. Aus Sicht der radikalen Linken waren die Blockaden ebenso wie die »Entglasung« von Banken und die Steinwürfe auf martialisch ausgerüstete und wenig zimperliche Polizeihundertschaften während der Demonstration am 2. Juni eine kollektive, entschlossene und offensive Intervention. Insbesondere die Blockaden zeigten, dass die Bereitschaft bestand, sich gegen Zumutungen des staatlichen Gewaltmonopols eigenständig Räume jenseits des vorgegebenen Ordnung zu besetzen.
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