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15.06.2017, 18:13:54 / No G20

Trommeln fürs Business

»Keinesfalls den Chinesen überlassen«: Berlin will ein Afrika mit neoliberalem Zuschnitt. Eine G-20-Konferenz sollte es richten
Von Jörg Kronauer
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Minister und Model in Textilfabrik: Gerd Müller und Barbara Meier (rechts) beobachten eine Näherin (Addis Abeba, April 2017)

»In eine gemeinsame Zukunft investieren«: So lautete der Titel der G-20-Afrika-Konferenz, die in dieser Woche in Berlin abgehalten wurde. Und anders als so oft durfte man das Motto diesmal wörtlich nehmen. Die Bundesregierung hat die Beschäftigung mit dem afrikanischen Kontinent zu einem Schwerpunkt ihres G-20-Vorsitzes gemacht, sie hat Initiativen entwickelt, unter denen »Compact with Africa« eine herausragende Stellung innehat. Dieser wird die G 20, geht es nach Berlin, auch in Zukunft beschäftigen. Wie es der Titel der Konferenz besagt, geht es tatsächlich um Investitionen – genauer, so formulierte es das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: »um neue Investitionsmöglichkeiten auf dem afrikanischen Kontinent«. Man darf unterstellen, dass es Berlin nicht zuletzt um die deutsche Wirtschaft ging.

Mit der ökonomischen Expansion nach Afrika ist es so eine Sache. Mit gerade einmal zwei Prozent am gesamten deutschen Außenhandel sei das Afrika-Geschäft deutscher Unternehmen »unverändert marginal«, konstatierte das Hamburger Institut für Afrika-Kunde (heute: Institut für Afrika-Studien) im Jahr 2000. Auch die deutschen Direkt­investitionen auf dem Kontinent seien mit einem Bestand von knapp 3,5 Millionen Euro immer noch gering. Das dürfe so nicht bleiben, fand Außenminister Joseph Fischer (Grüne) damals und sprach sich umgehend für »eine neue Phase unserer Zusammenarbeit« aus. Weil sich drei Jahre später außer lauwarmen Worten immer noch nichts getan hatte, wiederholte Fischer bei einem Aufenthalt in Kapstadt im Jahr 2003 seine Forderung nach einer Ausweitung des Geschäfts. Afrika sei »für private Investoren interessanter geworden«, wollte sein Nachfolger Frank-Walter Steinmeier Anfang 2007 wissen, kündigte aber, da es aus Sicht der deutschen Wirtschaft keinen echten Fortschritt gab, im Herbst 2008 an: »Zur Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit werden wir das Netz der Auslandshandelskammern erweitern«. Außenminister Guido Westerwelle gab sich im April 2013 recht optimistisch, sprach vom »Afrika der Chancen« und warb erneut für »Investitionen«. Im Februar 2014 schließlich kündigte – wieder frisch im Außenamt – Steinmeier an, man werde dem afrikanischen Kontinent nun wohl doch etwas »mehr Aufmerksamkeit« widmen. Das Resultat? Im Jahr 2015 ließ das Statistische Bundesamt wissen, mit einem Anteil von nach wie vor nur rund zwei Prozent am gesamten deutschen Außenhandel spiele Afrika für die deutsche Wirtschaft »weiterhin eine nachgeordnete Rolle«. Dabei ist es seitdem geblieben.

Was tun? Gleichgültiges Achselzucken ist für die Bundesregierung keine Option. Denn es ist ja nicht so, dass sich in Afrika nichts verschieben würde: Staaten wie Indien und vor allem China gewinnen auf dem Kontinent deutlich an Gewicht. Hatten die EU-28 Mitte der 1990er Jahre den Ländern Afrikas südlich der Sahara noch mehr als 40 Prozent ihrer Ausfuhren abgenommen, so gingen 2015 nur noch 25 Prozent der Exporte Subsahara-Afrikas an sie. Rasant aufgestiegen war China, das Mitte der 1990er Jahre noch faktisch keine Rolle auf dem Kontinent gespielt hatte, im Jahr 2015 aber fast 18 Prozent der afrikanischen Ausfuhren kaufte. Indien hatte mit mehr als acht Prozent immerhin die Vereinigten Staaten (knapp sieben Prozent) überholt. Ende 2013 war China mit seinen Direktinvestitionen in Afrika (26 Milliarden US-Dollar) an den Vereinigten Staaten vorbeigezogen (22 Milliarden US-Dollar), und an Deutschland sowieso: Die Bundesrepublik war mit Afrika-Direktinvestitionen in Höhe von gut neun Milliarden Euro deutlich in Rückstand gegenüber der Volksrepublik geraten. Dieser Rückstand war ein wichtiger Grund für das laute Getrommel in Sachen Afrika, das alle deutschen Außenminister seit Joseph Fischer unternahmen; noch Anfang dieser Woche hat Bundestags-Vizepräsident Johannes Singhammer geäußert, Afrika sei »unser Schicksalskontinent mit Zukunft und ein riesiger Markt«, den man »keinesfalls den Chinesen überlassen« dürfe.

Die Bundesregierung bemüht sich also weiter – nicht ohne Grund, denn von den Direktinvestitionen in Höhe von 58 Milliarden Euro, die laut Experten dieses Jahr auf den afrikanischen Kontinent fließen dürften, werden wohl nur 1,9 Prozent aus Deutschland, 24 Prozent aber aus China kommen. Die Bundesrepublik fällt also immer weiter zurück. Nach der großspurigen Ankündigung eines »Marshallplans mit Afrika« durch Entwicklungsminister Gerd Müller hat sich nun Finanzminister Wolfgang Schäuble ans Werk gemacht – herausgekommen ist dabei der »Compact with Africa«, den die Bundesregierung nun mit Hilfe der G 20 installiert. Worum geht’s? Der »Compact« sieht vor, dass einzelne Länder Afrikas sich mit einzelnen G-20-Staaten zusammentun und in enger Absprache mit ihnen – so formuliert es die Bundesregierung – »die Bedingungen für Privatinvestitionen verbessern«, also ihre ökonomischen Regularien an die neoliberalen Standards der westlichen Mächte anpassen. Ein Konzernparadies Afrika – das wäre wohl das ultimative Ziel. Damit die Transformation gelingt, sollen unter anderem IWF und Weltbank einbezogen werden. Neben beispielsweise der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen stehen den Staaten, die sich am »Compact« beteiligen, also wohl auch die einschlägigen Deregulierungsmaßnahmen und der übliche soziale Kahlschlag bevor.

Sieben afrikanische Staaten haben sich inzwischen bereiterklärt, am »Compact« teilzunehmen. Tunesien, Ghana und Côte d’Ivoire werden ihre Zurichtung zugunsten privater Investoren in enger Abstimmung mit Deutschland vornehmen. Marokko, Senegal, Ruanda und Äthiopien tun dasselbe gemeinsam mit anderen G-20-Staaten. Das deutsche Entwicklungsministerium, das für die drei deutschen »Reformpartnerschaften« in diesem Jahr bis zu 300 Millionen Euro bereitstellen wird, legt den Schwerpunkt dabei auf den Ausbau erneuerbarer Energien und auf die Verbesserung der Energieeffizienz – die deutsche Ökobranche wird’s freuen – sowie auf die Entwicklung des Finanzsektors. Allerdings darf, wer die neoliberale Zurichtung Afrikas ablehnt, vielleicht noch Hoffnung haben: Berlin hat bei der Förderung bundesdeutscher Investitionen in Afrika seit Joseph Fischers Getrommel seine ehrgeizigen Ziele noch nie erreicht.

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