Utopie im Regen
Von Georg HoppeEine Fähre mit dem roten Schriftzug »Viva Fidel« am Bug läuft in den Hamburger Hafen ein. In einer bunten Menge stehen Gewerkschafter, Friedensfreunde, Karl Marx und Che Guevara gemeinsam zusammen und fordern: »Kein G(ier) 20 Nirgendwo – Wir haben etwas besseres vor.« Auf ihren Plakaten stehen Slogans wie »Stop NATO« und »Kitas statt Panzer«.
Dieses Bild zeigen die Plakate, die für das 22. Methfesselfest werben, das an diesem Wochenende auf dem Else-Rauch-Platz im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel stattfindet. Die reale Stimmung auf diesem Fest entspricht durchaus dem Plakat – nur mit viel mehr Regen.
Vertreten ist ein breites politisches Spektrum, darunter DKP, Linkspartei, SPD, Piratenpartei und die Grünen, das Archiv sozialer Bewegungen, die VVN-BdA, Gewerkschaften, attac und Stadtteilgruppen, die sich mit Migration und Behindertenpolitik beschäftigen. Insgesamt sind es mehr als 40 Gruppen und Initiativen.
Inhaltlich ist das Fest, dessen Tradition bis in die 80er Jahre zurückreicht, auf den bevorstehenden G-20-Gipfel ausgerichtet. So war es wenig überraschend, dass sich auch eine Podiumsdiskussion der Frage widmete »Der G-20-Gipfel und wir: Was im Kleinen tun, um das Große zu ändern?«.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Debatte fanden klare Worte. Zur Frage nach den »Chancen« für Afrika sagte zum Beispiel Christin Bernhold, Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Wirtschaftsgeographie der Universität Zürich, dass die Chancen vor allem das deutsche Kapital habe. »Freihandel«, so die junge Wissenschaftlerin, sei »Freihandelsimperialismus«.
Nach konkreten Handlungsmöglichkeiten gefragt, beließ es Ellen Prowe von »Nordkirche weltweit« bei Appellen, während Friederike Habermann, Politikwissenschaftlerin und Autorin zu solidarischer Ökonomie, betonte, dass es nichts nutze, »das Ganze sozialdemokratisch abzufedern«. Andere Formen des Wirtschaftens müssten gefunden und durchgesetzt werden. Sie wies auf die Impulse aus »dem Süden« hin, beispielsweise auf die Bewegung der Zapatistas in Mexiko.
Der Moderator der Runde, Burkhard Plemper, drängte immer wieder auf konkrete Vorschläge für Handlungsmöglichkeiten. Markus Gunkel vom Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung, dem Bündnis der Friedensbewegung in der Hansestadt, erinnerte an einen Streik von Schauerleuten in den 50er Jahren. Die Arbeiter hätten sich damals geweigert, Munition zu verladen. Später hätten sie vor Gericht recht bekommen, denn dies sei »keine zumutbare Arbeit« gewesen, so die Richter damals.
Angesprochen auf den Kampf gegen Klimawandel und Umweltzerstörung machte Tina Sanders von der DKP die Grenzen individueller Verhaltensänderungen deutlich: »Wir werden nichts daran ändern, nur weil wir hier Fahrrad fahren.« Politische Lösungen müssten her. Dennoch, fügte sie augenzwinkernd hinzu, könne es nicht schaden, auf Kreuzfahrten – die schlimmste Umweltsünde! – zu verzichten. Für Deutschland werde sich der Klimawandel vermutlich eher moderat auswirken – zum Beispiel in Form von Dauerregen wie auf dem Methfesselfest.
Am Ende waren sich die Diskussionsteilnehmer (fast) einig, dass eine neue Produktionsweise erkämpft werden müsse, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richte. Das könne nur gegen die G20 geschehen. Dafür müsse man gut organisiert sein, und auf jeden Fall besser als die Gegenseite, die bereits äußerst gut organisiert sei. Zudem gelte es, alle verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen: Initiativen, Bündnisse, Gewerkschaften und natürlich Demonstrationen. Von denen gebe es in der kommenden Woche eine große Auswahl.
Immer wieder war von der Utopie die Rede. An diesem Abend lag sie in der Luft. Der Regen ließ nach und die Klänge der Musiker verstärkten, was zuvor verstandesmäßig erschlossen worden war: »Weit entfernt ist der Ort, an dem ich mit dir leben will.« So weit entfernt ist er vielleicht gar nicht.
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