Trittbrettfahrer der Revolte. Kommentar
Von Peter SteinigerAngela Merkels Einladung zu den Chaostagen an der Alster wurde angenommen. Die bestellten Bürgerkriegsszenen sind abgedreht, den Soundtrack lieferte die Elbphilharmonie mit klassischen Akkorden für die illegitime Weltregierung und ihr Gefolge. Am Morgen danach liegt noch der Brandgeruch der abgefackelten Barrikaden, Mülltonnen und Autos über dem Hamburger Schanzenviertel, auf seinen Straßen das Glas der Schaufenster vandalierter Geschäfte. Mach kaputt, was dich kaputt macht? Die heile Welt der Schickeria in den noblen Ecken der Stadt erschüttert das nur wenig.
Die Gewaltorgie von Autonomen hat nicht nur politische Motive. Doch sie ist ein Produkt dieser Gesellschaft. Deren Bodensatz kam hoch. Der Riot spiegelt ihre eigene repressive Machokultur wider und die Frustration, die sie bei den Abgehängten und Deklassierten erzeugt. Das moderne Lumpenproletariat marodierte. Es wird auch das eine oder andere wildgewordene Bürgersöhnchen dabei gewesen sein. Eine Mischung, die schon oft benutzt wurde, um der organisierten Linken Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Während von Hamburgs Oberen viel Energie darauf verwendet wurde, auch mit offenen Rechtsbrüchen zu verhindern, dass politische Aktivisten dort ihre Zelte aufschlagen, konnten Krawalltouristen ungehindert anreisen. Diese Spezies kennt man auch von den Events der Berliner Spaßpolizei zum 1. Mai. Dass besoldete Provokateure im Mob, darunter viele guttrainierte junge Männer, beim Marodieren mitmischten, darf man aus Erfahrung annehmen. Es fällt auf, dass die Polizeiführung, die in der Hansestadt zum Gipfel eine ganze hochgerüstete Armee aufbietet, das Geschehen im Schanzenviertel über Stunden dem Selbstlauf überließ. Das Chaos durfte sich entfalten.
Die rote Front und die schwarze Front sind wir: Unser Gegner ist nicht der kleine Ladenbesitzer, nicht der Halter eines Autos, auch nicht der einzelne Polizist – sondern der Klassenstaat. Dieser ist es, der in Hamburg Krieg spielt. Dabei geht weit mehr kaputt als ein paar Scheiben oder Baugerüste. Dort plündert er die demokratischen Rechte.
Die Lunte für den Knall im Schanzenviertel haben die politisch Verantwortlichen und die Polizeiführung gelegt. Er wurde herbeiprovoziert. Demonstranten sollen dem Gummiknüppel auch noch die linke Wange hinhalten. Einwohner und Aktivisten wurden von der ersten Minute an drangsaliert und misshandelt. Das schürt Wut, die sich auch blind entlädt. Die Polizisten, Arbeitende im Bereich der öffentlichen Sicherheit, werden für eine Machtdemonstration missbraucht. Manche nicht ungern.
Die Freunde von Kopf-ab-Diktaturen und neoliberalen Polizeistaaten rufen nun nach der harten Hand. Heute rufen sie nach Gummigeschossen und der Schließung linker Zentren. Und morgen nach Schutzhaft? Wer Bomben fallen lässt und daran Spaß hat, ist Staatsgast. Wer Böller zündet, Terrorist? Es ist zu hoffen, dass etwas vom Gestank brennender Mülltonnen auch zu den Messehallen zieht und in die Nasen derer kriecht, die auf dieser Welt die wirklich großen Feuer legen.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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