Knäckebrot, Wasser und drei Quadratmeter
Von Kristian StemmlerHinter dem Harburger Bahnhof ist es an diesem sonnigen Sonntag, einen Tag nach dem Gipfel, ruhig, fast idyllisch. Möwen kreischen, in der Ferne ist ein Hubschrauber zu hören, ab und zu Martinshörner. Die Ruhe nach dem Sturm? Tatsächlich zeigt das G-20-Treffen auch nach seinem Ende hier noch sein hässliches Gesicht. An dem abgelegenen Ort hat die Polizei in einem früheren Lager und in Containern einen provisorischen Gipfelknast mit 400 Haftplätzen errichtet, die sogenannte Gefangenensammelstelle (Gesa).
Der Anwaltliche Notdienst (AND) erklärte gegenüber jW am Sonntag nachmittag, dass in der Gesa zu diesem Zeitpunkt noch schätzungsweise 100 Aktivisten festgehalten werden. Weitere rund 190 Gipfelgegner seien in Justizvollzugsanstalten in Hamburg-Billwerder, auf der Elbinsel Hahnöfersand und in anderen Bundesländern verlegt worden.
Ihre Solidarität mit den Gefangenen bewiesen am Sonntag nachmittag mehrere hundert Gipfelgegner, die von der Harburger Innenstadt zur Gesa zogen. In einem kleinen Camp, dem »Prison Support« auf einem Parkplatz neben der Gesa, werden entlassene Häftlinge von Aktivisten empfangen, mit Essen und Trinken versorgt.
Eine Anwältin und ein Anwalt, die jW vor den Toren des Knasts traf, schilderten die Haftbedingungen. Ihre Mandantin sei seit Stunden in einer etwa drei Quadratmeter großen, fensterlosen Einzelzelle mit weißen Wänden eingepfercht. »Sie sagte mir, sie fühle sich sehr beengt und dass man da jedes Zeitgefühl verliert«, so die Anwältin. Als Verpflegung gebe es nur Knäckebrot und Wasser. Der Anwalt sagte jW, Aktivisten hätten im Schnitt 14 bis 18 Stunden, zum Teil bis zu 30 Stunden in der Gesa verbringen müssen. Die Zusage der Polizei vor dem Gipfel, keiner werde mehr als zehn Stunden in dem Knast sitzen, sei nicht eingehalten worden.
Die Gesa erinnert an einen Hochsicherheitstrakt in der Wildnis. Massive Stahlzäune umgeben das Areal, überall mit NATO-Draht verstärkt. Hier und in der benachbarten Außenstelle Neuland des Amtsgerichts Hamburg-Mitte, einer Art Schnellgericht, ist es laut Berichten zu Übergriffen auf Gefangene und einen Anwalt gekommen.
Der G-20-Ermittlungsausschuss berichtete, Anwälte seien fünf Stunden lang nicht zu ihren Mandanten vorgelassen worden. Die Polizei habe die Situation genutzt, um erkennungsdienstliche Behandlungen durchzuführen, ärztliche Untersuchungen zu verschleppen und die Betroffenen in Unwissenheit über die Vorwürfe und das weitere Verfahren zu lassen. In der Nacht zum Sonnabend kam es in der Gesa zu einem Übergriff von mehreren Polizisten auf einen Anwalt. Ihm sei »ins Gesicht gegriffen« worden, berichtete der Anwaltsnotdienst (AND), man habe ihm den Arm verdreht und ihn »aus der Gesa geschleift«. Das »Vergehen«: Der Anwalt hatte der polizeilichen Anordnung widersprochen, dass sein Mandant sich nackt ausziehen sollte.
Von einer willkürlichen Festnahme berichtete die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke auf einer Pressekonferenz im unabhängigen Pressezentrum am Sonnabend. Die Polizei habe 73 Gipfelgegner, die vom Camp im Volkspark zur Gesa ziehen wollten, in Gewahrsam genommen und in den Knast gebracht. Die Staatsanwaltschaft habe »flächendeckend« Haftbefehle beantragt – mit »den absurdesten Vorträgen«, so Heinecke. Den Festgenommenen sei »schwerer Landfriedensbruch« vorgeworfen worden, doch die Richter hätten keine Haftbefehle erlassen.
Die Außenstelle Neuland bezeichnete Heinecke als »ein Sondergericht, das G-20-Gericht«. Dort herrsche »die Atmosphäre eines in der Wüste befindlichen Kriegsgerichts. Die Justiz trägt blaue Westen, die Verteidigung rosa Westen, die Polizei gelbe Westen.« Die Polizei zeige ein Freund-Feind-Denken, das den zivilen Umgang in den provisorischen Verhandlungssälen erschwere.
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