»Polizei ging mit Gewalt gegen Personen vor«
Von Markus BernhardtAls Vertreterin des Komitees für Grundrechte und Demokratie haben Sie in den vergangenen Tagen die Polizeieinsätze rund um den G-20-Gipfel in Hamburg beobachtet. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Wir haben gesehen, in welchem Maße die Polizei in diesen Tagen das Geschehen in der Stadt bestimmt hat. Sie hat die Situation eskaliert, Bürger- und Menschenrechte ignoriert. Sie informierte die Öffentlichkeit falsch und ging mit Gewalt gegen Personen vor. Das, was wir in dieser Woche erlebt haben, geht noch über das hinaus, was wir befürchtet hatten. Es wurden nicht nur die Grund- und Menschenrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch eine Allgemeinverfügung außer Kraft gesetzt. Sondern die Polizei hat, gedeckt von der hamburgischen Regierung und vermutlich auch im Sinne der Innen- und Sicherheitsbehörden des Bundes, den Ausnahmezustand geprobt.
Haben Sie Beispiele?
Es gab Versammlungen, bei denen die Polizei Grundrechte zugestand. Das gilt etwa für die Nachttanzdemo am vergangenen Mittwoch abend. Bei anderen Veranstaltungen, etwa jener am Samstag, kontrollierte die Polizei das Geschehen mehrfach und griff regulierend ein. Und es gab die »Wellcome to Hell«-Demo, die die Polizei nach wenigen Metern stoppte und regelrecht angriff. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist jedoch ein Menschenrecht, das nicht nach polizeilichen Vorstellungen und Gutdünken gewährt oder verwehrt werden kann. Im Gegenteil, es ist das Recht der Bürger, selbst über Zeit, Ort und Gestaltung ihres Protestes zu entscheiden.
Schon im Vorfeld des Gipfels setzte die Polizei sich über Gerichtsurteile hinweg und verhinderte den Aufbau eines Camps. Inwiefern hat das gewalttätige Proteste befördert?
Eine solche Kausalität würde ich nicht herstellen. Viele Bürger waren empört, als die Polizei sich über das Urteil des Verwaltungsgerichts hinwegsetzte und die Menschen nicht wenigstens in das Camp ließ, das das Gericht ihnen zugestanden hatte. Das widerspricht dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Sie waren auch aufgebracht wegen der Gewalt, mit der die Polizei die »Wellcome to Hell«-Demonstration angriff. Erstaunlich war viel eher, dass sich trotzdem immer wieder große Gruppen zum friedlichen Protest zusammenfanden und sich das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nahmen. Am letzten Samstag kamen mehr als 70.000 Menschen zur Großdemonstration »Grenzenlose Solidarität statt G 20«. Selbst die hat die Polizei angegriffen und eine Gruppe aus dem Zug herausgerissen.
Aus manchen Demonstrationen heraus wurden auch Gegenständen geworfen – als Reaktion auf diese polizeiliche Gewalt, aber die Versammlungen blieben insgesamt weitgehend friedlich. Die Krawalle in den Nächten müssen anders betrachtet werden. Aber um diese »Riots« oder »urbanen Aufstände« zu verhindern, muss zunächst noch viel Aufklärungs- und Analysearbeit geleistet werden. Über Ausmaß, Hintergrund und Zusammensetzung können wir, die wir die Versammlungen beobachtet haben, nichts sagen.
Vielerorts kam es auch zu polizeilichen Übergriffen auf Journalisten, Rechtsanwälte und sogar Sanitäter. Hat Sie deren Ausmaß überrascht?
Wirklich überraschend war das nicht, aber es scheint mehr und selbstverständlicher zu werden. Erst recht dann, wenn diese Berufsgruppen ihre Arbeit in solidarischem Bezug zu den Protesten ausüben.
Auch mit Maschinenpistolen bewaffnete Beamte waren im Einsatz.
Die für Antiterroreinsätze geschulten Spezialeinheiten SEK und GSG9 sind im Schanzenviertel eingesetzt worden. Aber gefährlich war an mehreren Stellen auch das Vorgehen gegen die Versammlungen. Polizeibeamte liefen ohne Zeitdruck, die Schlagstöcke schwingend, schnell in Versammlungen hinein und erzeugten Panik. Mehrmals liefen Menschen angsterfüllt Treppen und Wiesen hoch oder überkletterten Mauern. Schwere Verletzungen wurden bei solchen Einsätzen in Kauf genommen.
Was sagt all das über die Achtung der Grund- und Freiheitsrechte in der Bundesrepublik aus?
Um sie ist es schlecht bestellt. Aber es ist ermutigend, in welchem Ausmaße die Bürger trotz alledem selbst ihre Rechte verteidigen und sich nicht entmutigen lassen. Dafür steht auch die Großdemonstration von Samstag.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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