»Wir waren auf allen Demos dabei«
Von Lina LeistenschneiderIn den letzten Tagen stand insbesondere die Gewalt im Hamburger Schanzenviertel, von der auch kleine Geschäfte betroffen waren, im Mittelpunkt der Berichterstattung der bürgerlichen Medien über den G-20-Gipfel. Die inhaltliche Kritik der großen Mehrheit der friedlich Protestierenden an dem Treffen kam kaum noch vor. Im antikapitalistischen Camp in Entenwerder sollte es während der Protestwoche ein breit angelegtes Programm für rund 10.000 Teilnehmende geben. Wie war das Camp organisiert?
Schon Monate vor dem G-20-Gipfel haben sich Delegierte aus Vorbereitungsgruppen zu verschiedenen Themenbereichen regelmäßig getroffen, um sowohl die Struktur als auch den Inhalt zu planen. Im Camp sollte es verschieden gekennzeichnete Areale, sogenannte Barrios, geben, darunter auch ein queerfeministisches.
Was war das Ziel?
Wir wollten mit dem Camp zeigen, dass eine andere Welt möglich ist. Ein Miteinander, antikapitalistisch, antipatriarchal, ökologisch, autonom und hierarchiefrei. Die Idee der Versammlung war es, Menschen aus diesem und aus anderen Ländern die Gelegenheit zu geben, von sich und ihren Kämpfen zu berichten. Das Programm galt uns als grober Rahmen.
Welche Veranstaltungen waren denn konkret geplant?
Die Gruppen haben zusammen ein 15seitiges Programm zu ihren jeweiligen Schwerpunkten ausgearbeitet. Darunter sollten beispielsweise Diskussionen zur Kritik am europäischen Grenzregime und am Modell der »G 20« sein. Es sollte Vorträge zum Widerstand gegen Atomkraft, zu Klimawandel und Kapitalismus geben. Auch das Werk von Karl Marx, insbesondere seine Kritik der politischen Ökonomie, sollte neu diskutiert werden. Und natürlich sollte es auch kulturelle Veranstaltungen und viel Musik geben.
Was hatten die queerfeministischen Aktiven sich vorgenommen?
Sie hatten zum Beispiel Frauen aus Mexiko eingeladen, Angehörige der 43 verschwundenen Studierenden, die bei ihrer Suche und Aufklärungsarbeit selbst kriminalisiert wurden. Sie wollten darüber einen Vortrag halten und von der sexuellen Gewalt in Mexiko berichten, die sie bei Verhören und im Knast erfahren mussten.
Sollte das Erleben insbesondere von sexualisierter Gewalt auch sonst thematisiert werden?
Ja. Wir hatten auch eine Awareness-Struktur (das Konzept der sogenannten Awareness bzw. Bewusstheit beinhaltet, dass es bei Veranstaltungen Ansprechpartner gibt, an die sich Personen wenden können, die sich durch andere diskriminiert oder ausgegrenzt fühlen. Für Betroffene gibt es auch Räume, die Schutz und eine Rückzugsmöglichkeit bieten; jW). Die Camp-Organisierung, die zu einem großen Teil aus Frauen bestand, hat sehr auf sprachliche Barrierefreiheit geachtet. Der Anspruch, antipatriarchal zu sein, war ebenso da wie der, antikapitalistisch zu sein.
Kam es denn trotz der Repression durch die Polizei noch zu inhaltlichen Veranstaltungen?
Eine Frau aus Russland wollte über die Situation von Queer- und Transgenderpersonen in Russland und Tschetschenien berichten. Nach dem Polizeiüberfall am 2. Juli hat sie dann tatsächlich am Montag noch etwas dazu im Camp erzählt.
Wie lange hat die Camp-Organisierung in Entenwerder ausgehalten?
Bis Mittwoch. Denn nachdem die kleinen Zelte am Sonntag abgeräumt worden waren, sind nur noch ungefähr 100 Leute geblieben. Der erhoffte große Zulauf blieb aus. Das große FLTI-Zelt (FLTI steht für Frauen, Lesben, Transgender, Intersexuelle; jW) wurde für alle zur Zuflucht.
Wie hatten Sie sich das queerfeministische Barrio eigentlich vorgestellt?
Wir wollten ein Areal mit FLTI-Schutzraum. Hierfür hatten wir große Zelte organisiert, darunter ein Plenumszelt mit offener Bühne für inhaltlichen Input und Kulturprogramm, einem Café und viel Zubehör für eine angenehme Atmosphäre.
All das fand nicht statt. Wie war das für Sie?
Super enttäuschend. Die unglaubliche Polizeigewalt hat uns überrascht, und es wurde klar, hier ist kein Platz für das Camp, das wir uns vorgestellt hatten.
Hat die Polizei es also geschafft, den queerfeministischen Widerstand gegen »G 20« zu zerschlagen?
Nein. Im Vorfeld hat es Aktionen wie gut sichtbare Transparente beim Internationalen Frauentag und beim Hafengeburtstag gegeben. Außerdem gab es das queerfeministische Radioballett am Rathausmarkt und diverse Vorträge auf Infoveranstaltungen.
Der FLTI- und der queere Infopunkt waren während des Gipfels und an den Tagen zuvor sehr gut besucht. Für viele waren sie ein Ort zum Orientieren und Ausruhen. Wir waren auf allen Demos dabei, und immerhin gibt es jetzt einen queerfeministischen Reader gegen »G 20« in Hamburg. Die entstandene FLTI-Plenumsgruppe wird sich weiter treffen und hoffentlich eine starke Größe in Hamburg und darüber hinaus bleiben.
Gibt es Pläne für die Zukunft?
Wir haben viele Kontakte geknüpft, die »Gruppe der 20« bleibt auf der Tagesordnung, auch wenn ihr nächstes Treffen nicht in Hamburg stattfindet. Und alle Themen bleiben aktuell. Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, in naher Zukunft queerfeministische Camps vorzubereiten.
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