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17.02.2008, 18:41:57 / Buchmesse Havanna 2008

Innerhalb der Revolution

Von Harald Neuber
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Falschmeldungen über Repression in Kuba sind Thema auf der Buchmesse. Kritische Debatten an der Tagesordnung

Auf der Internationalen Buchmesse in Havanna erfreut sich ein Amateurvideo derzeit großer Beliebtheit. Dabei enthält die Aufnahme der Debatte zwischen dem kubanischen Parlamentspräsidenten Ricardo Alarcón und den Studenten der Informatikuniversität UCI  nur wenig Neues. Über zwei Stunden hatte sich der Politiker Anfang des Monats den Fragen der Studierenden gestellt. Kritisch hinterfragten die Jugendlichen Probleme mit restriktiven Reiseregelungen, nahmen zu sozialen Gegensätzen in Kuba Stellung und debattierten das Wahlsystem. Seit der amtierende Staatschef Raúl Castro im September vergangenen Jahres zur solcher Kritik aufgerufen hatte, haben in Kuba tausende solcher Diskussionen stattgefunden. Es war der jüngere Castro selbst, der einen „Überschuß an Restriktionen" konstatierte, durch den „mehr Schaden als Nutzen" angerichtet werde.

 
Daß das Video des Treffens in der UCI derzeit auf USB-Sticks und DVDs von Hand zu Hand gereicht wird, liegt weniger an einem vermeintlichen Tabubruch als an der westlichen Presse. Die britische BBC und rechte Medien von Washington bis Südamerika hatten die Aufnahme, die von Studenten zur weiteren Diskussion in das Intranet der Lehranstalt gestellt worden war, Anfang vergangener Woche veröffentlicht. Ohne Quellenangabe wurde behauptet, Eliécer Avila, einer der Fragesteller, sei in seinem Heimatort El Yarey in der Provinz Las Tunas seiner kritischen Fragen wegen festgenommen worden. In Windeseile verbreitete sich die Meldung auch in Europa. „Ich war am Ende des Semesters für eine Zahnoperation nach Hause gefahren", erklärte der Informatikstudent kubanischen Medien nun. Telefonisch habe er davon erfahren, was über ihn verbreitet wurde. Unverzüglich machte sich der 21jährige in die Hauptstadt auf, um den „Skandal" aufzuklären. Er habe in der Debatte kritische Fragen gestellt, „um den Sozialismus besser aufzubauen und nicht, um ihn zu zerstören", sagte er im Gespräch mit der kubanischen Journalistin Rosa Miriam Elizalde. „Wenn wir etwas berichtigen, verändern oder überdenken müssen, dann machen wir das innerhalb der Revolution". Er hätte viel von dem Medienkrieg gegen Kuba gehört. Die massive Verbreitung der Falschmeldung über seine vermeintliche Festnahme in so kurzer Zeit und der Umstand, dass die Nachricht mit anderen Kritikpunkten des Westens an Kuba verbunden wurde, zeige, so Avila, „daß diese Medienmaschinerie sehr effizient arbeitet". Ähnlich äußerte sich Avilas Kommilitone Alejandro Hernández.

In Deutschland hatte die rechtsgerichtete Gruppe IGFM am vergangenen Montag über den Fall berichtet. Eine „Menschenrechtlerin" habe das Haus der Familie Avila besucht „und fand dort dessen verängstigte Mutter in Tränen aufgelöst", heißt es in einer Pressemitteilung, die im Internet verbreitet wurde. Das war frei erfunden. „Es gab keine Festnahme, meine Familie ist völlig ruhig. Es gibt keine Probleme", konterte Avila im Interview mit Elizalde, das inzwischen – ebenso wie das erste Video – im Internetportal Youtube veröffentlicht wurde.

Geändert hat das wenig. Die spanische Tageszeitung El País reagierte auf die Medienlüge mit einer zweiten Manipulation. „Kuba widerspricht Festnahme des Jugendlichen, der mit Alarcón diskutiert hat", meldete das Blatt. „Das war ein weiterer Betrug der Leser", sagte der spanische Journalist Pascual Serrano auf der Buchmesse in Havanna, „denn nicht der Staat hat geantwortet, sondern der Student."

Damit nicht genug der Lügen. Im Springerblatt Die Welt berichtet am Dienstag die freie Mitarbeiterin Sandra Weiss, Avila habe als Zeichen des Protests gegen mutmaßliche Internetzensur in Kuba „ein schwarzes T-Shirt mit dem @-Zeichen" getragen. Auch das war frei erfunden. „Das T-Shirt stammt von einem Kunstfestival", klärte der Student auf. Für den Journalisten Pascual Serrano weist dies auf ein zentrales Problem hin: „Kein einziger Journalist hat den Fall recherchiert".

Entgegen der Darstellungen in der westlichen Presse finden in Kuba seit Monaten offene Debatten statt. „Die Hoffnung auf eine Veränderung ist groß", sagt der Schriftsteller und Journalist Osmany Oduardo Guerra. Das Problem in der UCI sei gewesen, daß Parlamentspräsident Alarcón auf die Fragen der Jugendlichen „mit dem gleichen Diskurs der vergangenen Jahrzehnte geantwortet habe". So hatte der Politiker auf die Frage nach Reisefreiheit entgegnet, daß ein solches Recht an keinem Ort der Welt existiere, weil die Mehrheit der Bevölkerung nicht die finanziellen Mittel habe. „Das ging schlichtweg an der Sache vorbei", meint auch Jaime, ein Filmstudent aus Havanna, „denn das Recht auf Ausreise hat nichts mit den finanziellen Möglichkeiten zu tun". Wenn ein Arbeitsloser in Europa sich nicht zweimal in der Woche einen Kinobesuch leisten könne, würde ja auch kein Gesetz erlassen, das dies verbiete.

Solche Vergleiche widerspiegeln das Niveau der innerkubanischen Debatten im zweiten Jahr nach Fidel Castros faktischen Abtritt. Auch auf der Buchmesse werden in den kommenden Tagen zahlreiche Diskussionen stattfinden. Dies geschieht nicht gegen den Staat oder den kubanischen Sozialismus, sondern mit ihm. So wird Ende der Woche ein Sammelband über die Bewertung restriktiver Kulturpolitik Anfang der siebziger Jahre vorgestellt, die bis heute nachwirkt. Die Beiträge stammen von führenden Mitgliedern des Schriftstellerverbandes UNEAC und anderer Kulturorganisationen. Auch das beweist, daß in Kuba Kritik geübt und Debatte geführt wird. Allerdings innerhalb der Revolution. Und das ist der Unterschied zu den Medien, von denen die Falschmeldung verbreitet wurde.

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