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23.02.2008, 16:13:34 / Buchmesse Havanna 2008

Permanente Revolution

Von Harald Neuber
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Weiterführende Rolle: Raúl Castro im Editorial der Tageszeitung Granma

Kubanisches Parlament wählt neuen Staatsrat. Fidel Castro wird weiter eine politische Rolle spielen. Debatten bestimmen Alltag und Politik
Die wichtigste Nachricht nach allen Sondersendungen, Nachrufen und Kommentaren zum Rückzug Fidel Castros aus der Regierung Kubas ist, daß es kein Rückzug aus der Politik ist. Und: In Kuba wurde die Nachricht mit gelassener Ruhe aufgenommen. Im zweiten Jahr nach der Übergabe der politischen Ämter an den Vizepräsidenten und fünf Jahre jüngeren Bruder Raúl Castro hat der langjährige »Comandante en Jefe« seine Regierungsposten Anfang der Woche zwar geräumt. Er folgte damit einer Erkenntnis, die er in einem offenen Brief schon Anfang Januar formuliert hatte. Es sei seine Pflicht, nicht an Ämtern festzuhalten »und jüngeren Menschen im Wege zu stehen«. Es gehe vielmehr darum, »meine Erfahrungen und meine Ideen beizusteuern«. Auf den Punkt brachte es der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto: »Selbst wenn sich Fidel Castro zurückziehen würde, bliebe er, was ihn zu einem Giganten der Geschichte macht: Fidel Castro.«


In Kuba trafen die Interpretationen, es handele sich um einen »Epochenwechsel«, das »Ende der Ära Castro« oder gar den »Beginn einer Transition« auf entschiedenen Widerspruch. »Fidel ist nicht zurückgetreten«, sagt Frank González, Präsident der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina gegenüber junge Welt. In seinem Brief habe der 81jährige Revolutionsführer schließlich erklärt, »bis zum Ende konsequent« zu bleiben. Ähnlich äußerte sich der kubanische Journalist Randy Alonso in der politischen TV-Talkshow »Mesa Redonda« (Runder Tisch): »Wenn Fidel auf etwas verzichtet hat, dann auf seine Familie und die Privilegien, die er hätte genießen können«, hieß es in der Sendung am Mittwoch, einen Tag, nachdem die Nachricht in der Tageszeitung Granma, dem Zentralorgan der kommunistischen Partei Kubas, veröffentlicht worden war. Der Historiker Luis Suárez Salazar bezeichnet den Rückzug Fidel Castros aus der Regierungspolitik als »normalen Vorgang«: »Der Genera­tionswechsel mußte vollzogen werden«, sagt er, »und Fidel Castro war davon nicht ausgenommen«.

Im Klima eines solchen Wandels wird an diesem Sonntag der neue Staatsrat in Kuba für sechs Jahre gewählt. Im »Palacio de Convenciones« im Osten Havannas werden am Morgen die 614 Abgeordneten der siebten Nationalversammlung Kubas zusammenkommen, um 31 Mitglieder des Staatsrates zu wählen. Auch der Vizepräsident, seine fünf Vertreter, der Parlamentspräsident und weitere führende Posten werden neu besetzt. Daß Raúl eine führende Rolle spielen wird, wurde schon im Vorfeld der konstituierenden Sitzung deutlich. Ein Beitrag in der Granma endete am Mittwoch mit der Schlußformel: »Viva Fidel! Viva Raúl!«. Ein Novum in der Geschichte der kubanischen Revolu­tion.

Fidel Castro wird persönlich nicht anwesend sein. Beobachter gehen jedoch fest davon aus, daß er der Legislative eine Nachricht zukommen lassen wird. In dem personellen Wechsel erschöpft sich die Transition in Kuba. Denn die Menschen im Land erwarten vor allem eine Lösung der unleugbaren wirtschaftlichen Probleme, weniger eine Veränderung des politischen Systems, auf das ausländische Gruppen, Parteien und Staatsführungen immer wieder Bezug nehmen. Eine »tiefgreifende und totale Transformation« habe sich in Kuba schließlich schon nach dem 1. Januar 1959 vollzogen, äußerte dazu der kubanische Schriftsteller und Journalist Lázaro Barredo Medina in der Granma: »In ihrer Beschränktheit verstehen die Feinde der Revolution nicht, daß der Caudillismus nie wieder nach Kuba zurückkehren wird.« In dieser Welt, »in der die Politik zu einer Karikatur verkommen ist, können sie sich nicht vorstellen, daß diese Revolution in Theorie und Praxis ein kontinuierlicher Prozeß ist«. Der »Genosse Fidel« habe einen festen Platz im politischen Leben ebenso eingenommen wie im »persönlichen Leben der Mehrheit der Kubaner«.

Nun gehört es zu den Erfahrungen des Staatssozialismus, daß sich die wirklichen politischen Debatten nicht unbedingt in der Parteizeitung wiederfinden. Doch eben die Einschätzung Barredo Medinas hört man auf der 17. Internationalen Buchmesse in Havanna auch von kritischen Intellektuellen. Im Konsens, die Probleme Kubas nicht nur im Land, sondern im Rahmen der Revolution zu lösen, werden zahlreiche Diskussionen geführt. Im vergangenen Jahr wurden in Kuba mehrere Bücher über die soziale Situation in den neunziger Jahren veröffentlicht. Die Periodika des Landes widmen sich den kritischen Themen. Und sogar die franco-kubanische Literatin Graziella Pogolotti stellte als Ehrengast der Messe die zweite Auflage ihres Buches über die kulturellen und politischen Polemiken vor, die das revolutionäre Kuba in den sechziger Jahren bewegten und zu einer Phase repressiver Politik in den siebziger Jahren führten. Die Ereignisse von damals sind heute wieder Anlaß für Aussprachen, die weit in die Überlegungen über die Perspektive der Revolution hineinreichen. Diese Kultur der kritischen Debatte wurde von Raúl Castro in den vergangenen eineinhalb Jahren auf politischer Ebene unterstützt. Die Erwartungen sind deswegen groß, vor dieser Wahl in Kuba. Die Zweifel, ob sie auch erfüllt werden, halten sich in Grenzen.

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