Gefloppte Fabuliermaschine
Von Peter WolterDie US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) machte am Freitag den Anfang. Ihr Korrespondent hatte den in Mexiko-Stadt lehrenden Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich aufgetrieben. Der erzählte, sein Freund Modrow habe ihm im Januar in einem Telefonat mitgeteilt, die kubanische Regierung habe ihn zu einem Besuch eingeladen. Dann ließ Dieterich seine Fabuliermaschine rattern: Modrow werde sicherlich von Raúl und Fidel Castro empfangen, von ihm würden Ratschläge für den Übergang zu einer offeneren Gesellschaft erwartet. Modrow werde bis Ende April bleiben. Dann kommt – offenbar von AP ergänzt – die Aussage, Modrow seit der letzte Regierungschef der DDR gewesen und Ende April werde die kubanische Nationalversammlung Raúl zum Nachfolger von Fidel wählen.
Modrow hält sich in der Tat als Gast der kommunistischen Partei auf Kuba auf – das ist aber auch das einzige, was an dieser Story richtig ist. Er hat weder mit Raúl noch mit Fidel gesprochen – wohl aber mit der jungen Welt (s. Interview in unser Havanna-Berichterstattung). Modrow hat keine Ratschläge erteilt, außerdem ist sein Rückflug für diesen Sonntag gebucht. Und daß er in Havanna war, hängt auch mit der Buchmesse zusammen, wo er seinen Erinnerungsband »In historischer Mission« vorstellte. Modrow war auch nicht der letzte, sondern der vorletzte DDR-Ministerpräsident. Und die Nationalversammlung tritt schon an diesem Sonntag zusammen – und erst danach werden wir wissen, ob Raúl gewählt wird. Modrow kann sich übrigens an kein Telefonat mit Dieterich erinnern, dementiert auch freundschaftliche Beziehungen zu ihm.
Den AP-Kollegen hatte es offenbar gedämmert, daß Dieterich eine recht windige Quelle ist. Also wurde er in dem Bericht flugs zum »Mentor« des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez gemacht – was Dieterich zwar gerne erzählt, aber so auch nicht stimmt.
Modrow jedenfalls hat diesen von zahlreichen deutschen Zeitungen sowie anderen Nachrichtenagenturen ungeprüft übernommenen Quark am Samstag mit einer Erklärung richtiggestellt. Sein Dementi wurde über die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina sowie dpa verbreiet.
Wetten, daß die meisten deutschen Redaktionen keine Berichtigung bringen? jW jedenfalls wird ausführlich berichten.
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