Lernprozesse
Von Claudia Wangerin
Radikal heißt an der Wurzel. Die Fähigkeit, Probleme dort anzupacken, unterscheidet Radikale von Chaoten. Eine Unterscheidung, die die bürgerliche Presse gar nicht kennt.
Diese Lektion lernen derzeit Aktivisten einer vielfältigen Antikriegsbewegung in Strasbourg-Neuhof. Die Stimmung im Protestcamp der NATO-Gegner ist durchwachsen. 25 bis 30 Verletzte haben sich schon am Tag vor der Hauptdemonstration mit Plastiksplitterwunden am »Medical Point« des Camps gemeldet.
»Schockgranaten« oder mit Hartplastik ummantelte Gummigeschosse habe die Polizei eingesetzt, sagt einer der Sanis. »Einen müssen wir gleichnähen«. Neuerdings gibt es auch ein Psychologenzelt, in dem sich Leute melden können, denen es nervlich zu viel wird. Andere sind einfach nur wütend.
Zwei junge IG-Bau-Gewerkschafter diskutieren über Aktionsformen. Sachbeschädigung an Privatautos oder Bushaltestellen, oder auch brennende Barrikaden in der näheren Umgebung des Camps werden hier durchaus kritisch gesehen. »Viele hier sagen, daß die Polizei eindeutig solche Reaktionen provoziert.
Andere halten das für pubertären Quatsch, Abenteuerspiel und Kindergarten«, sagt Klaus, der eher zu Letzterem tendiert.
Nebenbei läuft unter dem Hubschrauberlärm das ganz normale Campleben, soweit man in dieser Region momentan überhaupt von Normalität sprechen kann. »Wenn wir etwas bewirken wollen, dann sollten wir uns nicht isolieren. Ich habe mit der Bevölkerung hier gesprochen. Die halten uns ja alle für Chaoten, die ihre Häuser kaputt machen. Dabei sollten wir diese Leute einbinden, oder zumindest besser informieren, was unsere Ziele sind.«
»Wenn man sieht, wie die ganze Aktion angefangen hat, dann muß man das verstehen«, sagt der zweite Gewerkschafter. »Da wollten Leute aus dem Camp zu einer Demonstration, aber die Polizei hat alles dicht gemacht.« Als Clowns kostümierte Friedensfreunde seien mit Reizgas angegriffen worden, berichtet er. »Da sieht man doch, von wem die Gewalt ausgeht. Vom Camp ist keine Gewalt ausgegangen, es wurde nur versucht, das Camp zu sichern. Niemand plant hier, die Polizei anzugreifen. Wir wollen einfach nicht, daß Polizeiautos quer übers Camp fahren, wie es ihnen paßt, und womöglich noch Leute verletzen.«
Allerdings ging es ja gar nicht um die Polizei, sondern um die Belang der Anwohner und die Bilder, die man den bürgerlichen Medien liefert. Und nicht zuletzt um die Campteilnehmer, die solche Aktionen nicht beschlossen haben, aber dennoch mit den polizeilichen Reaktionen konfrontiert werden. »Klar kann ich es nicht gutheißen, wenn sich der Frust an beliebigen Privatautos entläd. Aber solche Dinge passieren.«
Radikal ist das nicht.
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