Sich fügen heißt lügen
Von Claudia WangerinLangsam füllt sich das Greifswalder Kulturzentrum »St. Spiritus« mit jungen und älteren Freunden des 1934 von den Nazis ermordeten anarchistischen Schriftstellers Erich Mühsam. Die Ostsee-Zeitung hat den literarisch-musikalischen Abend für 19:30 angekündigt - eine halbe Stunde später, als er eigentlich anfangen sollte. Unsere Mitsegler Susanne Misere und Peter Bäß stellen Stationen aus dem Leben von Erich Mühsam vor.
Erste Glossen schrieb er schon als Teenager, 1902 wurde Erich Mühsam Redakteur der Zeitschrift »Der arme Teufel« - später schloß er sich der Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe an. Und er schrieb, bis ihm im KZ Oranienburg die Hände zertrümmert wurden. »Sich fügen heißt lügen« war sein Motto. »Leb, daß du stündlich sterben kannst, In Pflicht und Freude stark und ehrlich.« Heute vor 76 Jahren wurde Erich Mühsam im KZ erdrosselt.
Isabel Neuenfeldt, die einige seiner Gedichte vertont hat, greift zum Akkordeon. Energisch singt sie – und gekonnt. Textlich sind vor allem der »Bonzenblues« und die »Weltschändung« von erschreckender Aktualität. Letztere erinnert an die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko:
Vernichtet nur das eigene Geschlecht,
zerstört, was je durch Menschenfleiß geworden!
Doch welche Mächte gaben euch das Recht,
des Wassers Glanz, der Blume Duft zu morden?
Neben eigenen Mühsam-Vertonungen spielt und singt Isabel Neuenfeldt bekannte - wie etwa den »Revoluzzer«. Als großer Vorteil erweist sich hier, daß sie eine Frau ist. Jede Männerstimme, die dieses Lied singt, würde von Kennern sofort mit Ernst Busch verglichen werden.
Unseren Teilnehmern hat das Programm gut gefallen. »Erich Mühsam war ja immerhin der einzige Anarchist, den die DDR in ihre antifaschistische Tradition aufgenommen hat«, bringt jW-Redakteur Jörn Boewe in Erinnerung. »Sogar eine NVA-Kaserne wurde nach ihm benannt.«
»Das ist ja schon fast ein Widerspruch in sich, eine Kaserne nach Erich Mühsam zu benennen«, sagt eine Teilnehmerin unseres jW-Ostseetörns.
Das erst seit 1990 bestehende Ehrengrab des Dichters und Publizisten liegt allerdings im Westen Berlins - auf dem Waldfriedhof in Dahlem.
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