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20.09.2021, 13:10:01 / Rosa-Luxemburg-Konferenz 2017

Die Geschäfte der anderen

Wenn fortschrittliche Parteien im Kapitalismus mitregieren, hat das in aller Regel unschöne Folgen. Es sollte historischen Ausnahmesituationen vorbehalten bleiben. Die bestehen gegenwärtig jedoch nicht
Von Patrik Köbele
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Noch hat die unbedingte Ablehnung deutscher Militäreinsätze innerhalb der Linkspartei Bestand. In Falle einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene könnte das fraglich werden (die Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger am 1. September 2014, dem Weltfriedenstag, in Berlin)

In der gestrigen Ausgabe ging Bernd Riexinger, Kovorsitzender der Partei Die Linke, auf diesen Seiten der Frage nach, unter welchen Bedingungen eine Regierungsbeteiligung linker Kräfte sinnvoll sein könnte. Nun beschäftigt sich an gleicher Stelle Patrik Köbele, Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), mit dem Thema. Beide werden auf der XXII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt am 14.1. in Berlin zusammen mit Aitak Barani von »Zusammen e.V.«und Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke diskutieren. Das Motto lautet: »Nach der Bundestagswahl 2017: NATO führt Krieg – die Linke regiert?« (jW)

R2G, das Kürzel macht die Runde. Und nein, es benennt nicht den sympathischen Roboter aus der Weltraumsaga »Star Wars«, der so ähnlich heißt, sondern steht für »Rot-Rot-Grün«, also für die nach der Bundestagswahl im kommenden September als möglich erachtete Regierungskoalition bestehend aus SPD, der Partei Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Beim so bezeichneten Bündnis ergeben sich allerdings erhebliche Zweifel an der Stimmigkeit der Farbbezeichnungen. Das Ja zu den Kriegskrediten 1914, die mindestens geduldete, wenn nicht gar befürwortete Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg 1919, die endgültige Absage an den Marxismus, festgeschrieben in ihrem Godesberger Programm 1959, die Berufsverbote unter Willy Brandt seit 1972 und die »Agenda 2010«, umgesetzt zwischen 2003 und 2005, machen unergründlich, was an der Politik der SPD noch »rot« sein soll. Für die Grünen lässt sich, um es kurz zu machen, sagen, dass aufgrund ihrer seit spätestens 1999 unausgesetzten Befürworterei von Kriegseinsätzen der Bundeswehr der eigenen Parteifarbe längst eine starke olivgrüne Note beigemischt ist. All das hält prominente Vertreter der Partei Die Linke aber ganz offensichtlich nicht davon ab, Gemeinsamkeiten auszuloten. Deren Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht traf sich Anfang Dezember mit Vizekanzler Sigmar Gabriel zum »vertraulichen Gespräch«, gut sechs Wochen, nachdem Bundestagsabgeordnete aller drei Parteien gemeinsam konferiert hatten. Bodo Ramelow, der in Thüringen ein solches Bündnis als Ministerpräsident des Landes anführt, ist von dem Gedanken an eine entsprechende Koalition auch auf Bundesebene ohnedies begeistert. Die Stimmen der Warner aus den eigenen Reihen, die daran erinnern, dass die Regierungsbeteiligung in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Berlin die Partei Stimmen gekostet hat, sind derweil kaum zu vernehmen. Doch das ist ohnehin bestenfalls ein kleinerer Teil des Problems.

Der »ideelle Gesamtkapitalist«

Es geht grundsätzlich um Regierungsverantwortung, um Mitwirkung an der Leitung des Staates. Und das wirft die folgende, ganz entscheidende Frage auf: Was ist der Staat? Im August 1917, zu einer Zeit, als der Erste Weltkrieg noch tobte, die II. Internationale infolge seiner Befürwortung seitens ihrer Mitgliedsparteien ihren Bankrott erklärt hatte und in Russland die gesellschaftlichen Umwälzungen bereits im Gange waren, verfasste Lenin in einer finnischen Laubhütte seine später berühmt gewordene Schrift »Staat und Revolution«. Darin formulierte er zu Beginn die folgende Maßgabe: »Bei dieser Sachlage, bei der unerhörten Verbreitung, die die Entstellungen des Marxismus gefunden haben, besteht unsere Aufgabe in erster Linie in der Wiederherstellung der wahren Marxschen Lehre vom Staat.«

Diese Aufgabe bestand fortwährend. Und sie stellt sich nicht ganz hundert Jahre später angesichts der Schwäche der fortschrittlichen Kräfte umso dringlicher. Nach der Niederlage von 1989/90 sind die Illusionen innerhalb der Arbeiterbewegung und der Linken über Wesen und Bedeutung des kapitalistischen Staates nicht verschwunden.

In dem erwähnten Text erinnert Lenin an Engels und zitiert aus dessen Schrift »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates«: Der Staat »ist das Eingeständnis, dass diese Gesellschaft sich in einen unlösbaren Widerspruch mit sich selbst verwickelt, sich in unversöhnliche Gegensätze gespalten hat, die zu bannen sie ohnmächtig ist. Damit aber diese Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden ökonomischen Interessen, nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren, ist eine scheinbar über den Klassen stehende Macht nötig geworden, die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der ›Ordnung‹ halten soll«. Scheinbar über den Klassen stehend, denn Lenins Resümee lautet wenige Zeilen später: »Nach Marx ist der Staat ein Organ der Klassenherrschaft, ein Organ zur Unterdrückung der einen Klasse durch die andere«.

Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert. Davon zeugen die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Maßnahmen zur Zertrümmerung des Sozialstaats, das Gegeneinanderausspielen der (potentiell) Lohnabhängigen aufgrund ihres Beschäftigungsverhältnisses (Festangestellte gegen Leiharbeiter) oder aufgrund ihres Aufenthaltsstatus (Staatsbürger gegen Geflüchtete).

In der Schrift »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« gelangt Engels zu einer treffenden Bestimmung: »Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist.«

Verlust der Glaubwürdigkeit

Bezogen auf die gegenwärtige BRD ist zu ergänzen: Wir haben es mit einem Staat in seinem imperialistischen Stadium, mit einem der führenden Imperialismen zu tun, der in der Lage ist, anderen kapitalistischen Staaten seinen Willen aufzuzwingen. Wir haben es mit einem führenden, einem starken, einem unterdrückenden Imperialismus zu tun. Die BRD ist ein Staat, dessen Rechnung als »ideeller Gesamtkapitalist« bei der Herausbildung der jetzigen EU und des Euro-Raums im Unterschied zu vielen seiner Konkurrenten und zum Wohle seiner Monopole aufgegangen ist. Das bekommen die Menschen vor allem im Süden der EU tagtäglich mit aller Brutalität zu spüren.

Dieser Staat ist zudem im Rahmen des Hauptkriegstreibers NATO erster Juniorpartner des militärisch derzeit noch übermächtigen US-Imperialismus, der zugleich immer auch die Rolle des kleineren Mitbewerbers spielt. Das wurde im Frühjahr 2014 im Konflikt um die Ukraine deutlich, als Außenminister Frank-Walter Steinmeier zunächst für eine aggressive Zuspitzung eintrat. Eine solche Außenpolitik vertritt also jene deutsche Sozialdemokratie, mit der von einigen Protagonisten der Partei Die Linke ein Regierungsbündnis angestrebt wird. Man wird ihr im Falle des Zustandekommens sicherlich abverlangen, dass sie die russlandfeindlichen Positionen der anderen genauso übernimmt wie das Schweigen über den Anteil des Westens (und damit des eigenen Staates) am Krieg gegen Syrien. Der bemitleidenswerte unbedingte Wille, endlich allseits anerkannte Staatspartei zu werden, zeigt sich dann z. B. daran, dass Gregor Gysi, kommt die Rede auf Kuba und Fidel Castro, offenbar nicht anders kann, als von »diktatorische(n) Fehlstrukturen« zu sprechen (Interview mit der taz vom 27.11.2016).

Ausflüge in die Regierung kapitalistischer Staaten haben linke, auch kommunistische Parteien oftmals mit hohen Stimmenverlusten bezahlen müssen. Das verwundert nicht, denn in der Regel wurden sie zu dem Zweck eingebunden, Maßnahmen zum Sozialabbau ohne größeren Widerstand realisieren zu können. Das funktionierte regelmäßig, und ebenso regelmäßig wandten sich frühere Wähler frustriert ab und nicht selten rechten Parteien zu. Mitregieren, dieser Eindruck musste entstehen, zeigt, dass »die letztlich auch nicht anders sind«.

Zur Einbindung in die Regierungsverantwortung gehören immer zwei. Diejenigen, die ein Interesse daran haben, die Linkskräfte einzubinden und die Linkskräfte selbst, die sich einbinden lassen. Hier hat das deutsche Kapital einen großen Erfahrungsschatz. Die wenige Jahre zuvor noch revolutionär ausgerichtete Sozialdemokratie war mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten im August 1914 endgültig integriert. Arbeiter wurden auf Arbeiter gehetzt für die Interessen »ihrer« herrschenden Klassen – und mit Billigung »ihrer« Partei. Die Bekämpfung der Novemberrevolution konnte man dann auch der komplett gewendeten Sozialdemokratie anvertrauen, der man bei Wahrung der bestehenden Eigentumsverhältnisse die Leitung der Angelegenheiten des »ideellen Gesamtkapitalisten« übertragen hatte. Überspitzt lässt sich sagen, dass Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die Opfer der unbedingten Bereitschaft waren, die Geschäfte des Klassengegners zu besorgen.

Die Funktionen des Parlaments

Noch bevor allerdings die Rede auf die Regierungsbeteiligung kommt, sollte Klarheit darüber bestehen, welche Funktionen das Parlament in der bürgerlichen Gesellschaft hat. Die erste ist, eine Institution zu bilden, in der die widerstreitenden Interessen unterschiedlicher Fraktionen der herrschenden Klasse »zivilisiert« ausgetragen werden können, um in Wechselbeziehung mit der Exekutive zu gewährleisten, dass es zu einer Harmonisierung der Staatspolitik kommt. Ein anschauliches Beispiel dafür war vor wenigen Jahren die Herausbildung einer einheitlichen Ukraine-Politik des deutschen Imperialismus. Die Kapitalfraktion, die aufgrund ihrer Profitbestrebungen wenig von einer Eskalation im Verhältnis zu Russland hielt, wurde eingehegt, so etwa der für die Absatzinteressen seines Unternehmens im Osten sprechende Siemens-Chef Josef Käser.

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Um für die Bombardierung Jugoslawiens die Zustimmung der damals eher pazifistischen Parteibasis zu erhalten, erfand der damalige Bundesaußenminister Joseph Fischer eine in diesem Zusammenhang fragwürdige moralische Begründung: Es gelte, ein »zweites Auschwitz« zu verhindern (auf dem Parteitag der Grünen 1999)

Die zweite Aufgabe des bürgerlichen Parlaments wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was Engels meinte, als er schrieb, der Staat stehe »scheinbar« über den Klassen. Es geht darum, das Faktum zu vertuschen, dass der kapitalistische Staat seinem Wesen nach Herrschaft der Kapitalisten über die Arbeiter und andere ausgebeutete Schichten ist. Diese Verschleierung gelingt bis heute. Sie drückt sich im immer wieder anzutreffenden klassenindifferenten »Wir« aus. »Wir müssen Deutschland am Hindukusch verteidigen«, »Wir können neue Schulen nicht bezahlen, weil wir verschuldet sind«, »Wir müssen unsere Arbeit wieder bezahlbar machen« oder »Wir können keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.« Dieses »Wir« ist mittlerweile (noch nicht in der Frage der Auslandseinsätze, aber z.B. dann, wenn die Rede auf die Verschuldung der Kommunen, der Länder oder des Bundes kommt) bei vielen Parlamentariern der Linkspartei zu hören. Dieses »Wir« steckt auch hinter Sätzen wie dem von Sahra Wagenknecht vor einem Jahr vorgebrachten: »Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat eben auch sein Gastrecht verwirkt«.

Die dritte Funktion des Parlamentarismus besteht darin, Kräfte einzubinden, die ansonsten die eigentlichen Herrschafts- bzw. Klassenverhältnisse in Frage stellen könnten. In immer stärkerer Weise verschiebt sich die Praxis der Parteien von der Straße in die gewählten Gremien. Das wird öffentlich gefördert. Der Staat finanziert den Parlamentsfraktionen Mitarbeiter bzw. einen Apparat und verschafft ihnen so ihre Wirkungsmöglichkeiten. So erlangen die Abgeordneten in diesen Parteien eine Bedeutung, die ihnen auf Basis demokratischer Prinzipien innerhalb dieser Organisationen gar nicht zustehen würde. Das führt dann regelmäßig dazu, dass Fraktionen, ja sogar einzelne Abgeordnete, die Inhalte des jeweiligen Parteiprogramms zur Disposition stellen oder direkt außer Kraft setzen, ohne dass dies sanktioniert würde. Ein aktuelles Beispiel war am 28.12.2016 in dieser Zeitung nachzulesen. Ein dreiviertel Jahr vor der Bundestagswahl – also ohne deren Ergebnisse und damit überhaupt Koalitionsmöglichkeiten zu kennen und lediglich auf Basis von Gesprächen zwischen Abgeordneten von SPD, Grünen und Linkspartei – verkündete Thomas Nord, Schatzmeister der letzteren, zur NATO-Frage: »Für uns ist vor allem wichtig, dass wir zu einer friedlichen Außen- und Entspannungspolitik kommen, dass wir Bundeswehr-Einsätze und Kriegsbeteiligungen im Ausland beenden. (…) Alles weitere ist politische Programmatik der Partei, daran sollten wir festhalten. Ob das dann aber auch so in einem Regierungsprogramm stehen muss, ist eine andere Frage.«

Die Haltung zur NATO ist für die herrschende Klasse jedoch zentral. Wohlverhalten in dieser Angelegenheit wird für die Linkspartei daher auch zur Voraussetzung eines etwaigen Regierungseintritts werden. Die NATO ist der wirkliche »Gesamtmilitarist« der führenden Imperialismen bei der Umsetzung ihrer gemeinsamen Interessen (Einkreisung der aufstrebenden Mitbewerber Russland und China, Destabilisierung im Nahen Osten, Rohstoffe in und um Afrika), aber auch ein Werkzeug zur Stärkung der militärischen Fähigkeiten des deutschen Imperialismus.

Selbstverständlich wird man die Linkspartei nicht zu einem öffentlichen »Ja zur NATO« zwingen. Und selbstverständlich wird die Zustimmung zu bevorstehenden Militäreinsätzen nicht mit offenen Annexionsforderungen begründet werden. Denn die Partei soll ja größte Teile ihrer Mitgliedschaft behalten: Der Staat integriert den Parteiapparat, der Parteiapparat seine Basis. Die Grünen lockte man, als es 1999 gegen Jugoslawien ging, indem man der Basis vorgaukelte, es gelte, ein »zweites Auschwitz« zu verhindern.

Die vierte Aufgabe stellt sich allen Kräften. Sie alle nutzen die gewählten Kammern als Tribüne zur Verbreitung ihrer Positionen. Und hier ist es der herrschenden Klasse nahezu durchweg gelungen, das Parlament im Bewusstsein der Massen als den zentralen, oft einzigen Ort der politischen Praxis zu verankern. Und bislang stellen noch nicht einmal diejenigen, die sich davon ausgegrenzt wähnen oder gar angewidert fühlen, die Legitimität dieser Institution in Frage. Allerdings dürfen jene Kräfte, die den Kapitalismus abzuschaffen bestrebt sind, nicht darauf verzichten, die Interessendivergenzen der verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse für die Erkämpfung von Zugeständnissen an die ausgebeuteten Klassen und Schichten auszunutzen. Das Parlament »links« liegenzulassen, wäre Sektierertum.

Nur in Ausnahmefällen

Nun sind aber, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, die parlamentarische Praxis und die Teilnahme an Wahlen etwas völlig anderes als die Beteiligung an einer Regierung. Solange die Klassenherrschaft nicht bröckelt oder gestürzt ist, bleibt eine Regierung der Ausschuss, der mit der Verwaltung und Organisation des Staates, des »ideellen Gesamtkapitalisten«, betraut ist. Die herrschende Klasse wird dann bereit sein, Kräfte der Gesellschaftsveränderung einzubinden, wenn dadurch deren Zähmung zu erwarten ist und/oder, wenn Maßnahmen durchsetzbar werden, die bei anderen Konstellationen schwieriger zu realisieren wären. Das lässt sich national und international vielfach belegen. Auch in Thüringen. Die dort betriebene, ganz und gar der vorherrschenden historischen Deutung verschriebene »DDR-Aufarbeitung« wäre ohne die Einbindung der Linkspartei viel schwerer zu realisieren gewesen. Dabei handelt es sich keineswegs um Vergangenes. Wer von Klassengesellschaft spricht, wer dafür wirbt, dass man der Kapitalistenklasse die politische Macht entreißen muss, um ihr dann die Produktionsmittel, die eigentliche Quelle ihrer Macht zu nehmen, wer sagt, dass der Sozialismus die politische Macht der Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen ausgebeuteten Schichten sowie gesellschaftliches Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln voraussetzt, der beschreitet nach dominierender Auffassung den Weg des Unrechts. Das ist das Signal, das von der »Aufarbeitung« ausgeht.

Die Veränderung der Gesellschaft wird nur über die Mobilisierung der Massen, über Massenkämpfe Erfolg haben. Auch heute gilt, dass der Arbeiterklasse dabei die entscheidende Bedeutung zukommt. In nichtrevolutionären Zeiten, in denen das Ringen um Reformen im Vordergrund steht, in denen das Kräfteverhältnis so ungünstig ist, dass der Abwehrkampf gegen Angriffe der herrschenden Klasse das bestimmende Moment ist, trifft dies genauso zu. Reformen setzen Massenmobilisierung voraus, oder sie laufen Gefahr, der Einbindung in die Strategie der Herrschenden zu dienen – so etwa wenn inländische gegen ausländische Konzernstandorte ausgespielt werden und die »Sicherung« des »Standort Deutschland« als Erfolg gefeiert wird.

Eine Regierungsbeteiligung verbietet sich allermeist, will man am Ziel der Überwindung des Kapitalismus festhalten. Doch es gibt einige Ausnahmen von dieser Regel. Das wäre zum einen eine vorrevolutionäre Situation mit starken außerparlamentarischen Bewegungen und einem Kräfteverhältnis zu Gunsten der Ausgebeuteten. In dieser Situation kann eine Regierungsbeteiligung Ergebnis des Aufschwungs von Massenkämpfen sein und diesen Kämpfen zusätzliche Dynamik verleihen. Zum anderen kann eine Beteiligung erwägenswert oder gar notwendig sein, wenn es darum geht, autoritäre oder faschistische Regierungen oder imperialistische Kriege zu verhindern. Eine Teilnahme an der Exekutive wäre auch infolge der Befreiung von autoritären oder faschistischen Regimes zulässig, in Phasen womöglich, in denen antifaschistisch-demokratische Schritte unternommen werden können.

Aber in jeder dieser konkreten Situationen ist dies ständig zu überprüfen. Wird die Beteiligung an Regierungen zum Hemmschuh fortschrittlicher Maßnahmen, werden die betreffenden Organisationen als linkes Feigenblatt für bürgerliche Politik dienen. Und wenn der Zwang ausgeübt wird, Angriffe gegen die eigenen Klasseninteressen mitzutragen, muss die Exekutive verlassen werden.

Grundsätzlich muss immer, also auch während einer möglichen Regierungsbeteiligung, Klarheit darüber bestehen, dass sich das Wesen des Staates und seiner Regierung nicht dadurch verändert, dass Kräfte der Überwindung des Kapitalismus letzterer angehören. Die Staatsfrage bleibt der Dreh- und Angelpunkt.

In der gegenwärtigen Situation hat die herrschende Klasse »R2G« nicht zu fürchten. Eher dürfte sich damit eine weitere Option zur Verwaltung des imperialistischen Deutschlands ergeben.

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