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Rosa-Luxemburg-Konferenz 2017

Rosa-Luxemburg-Konferenz 2017

Alle Artikel rund um die Konferenz, Blogeinträge der jW-Redaktion und Bilder von der Veranstaltung am 14. Januar 2017 im Mercure Hotel MOA Berlin

  • Keine halben Siege

    Neue Tagungsstätte, neuer Besucherrekord: Die Rosa-Luxemburg-Konferenz bleibt sich treu – Internationalismus steht im Vordergrund
    Arnold Schölzel
    Bleibt Programm: Gesang der »Internationale« zum Konferenzabschluss
    Aufruf zur weltweiten Koordination der Linken: Arnaldo Otegi
    Kunst und Bücher mal ohne drangvolle Enge: Im Atrium des Konferenzgebäudes
    Die brasilianischen Oligarchen wollen mit ihrem Putsch die soziale Spaltung verewigen: Jean Wyllys
    Auftakt mit der Tanz- und Musikgruppe »Capoeira Topázio Berlin«

    Das Attribut »Internationale« im Namen »Rosa-Luxemburg-Konferenz« ist das wichtigste Motto dieses einzigartigen Treffens der Linken in der Bundesrepublik. Es wird über den deutschen Tellerrand geschaut, auch bei »Gegen rechts ist nicht genug – Sozialistische Alternativen erkämpfen«.

    Das Angebot zieht: Erneuter Rekordbesuch mit mehr als 2.800 Gästen, darunter sehr viele junge. Die Räume der Tagungsstätte in Berlin-Moabit haben Platz für alle, ebenso das große Atrium für die Ausstellung der Künstlergruppe »Tendenzen« und die Bücherstände. Ärgerlich: Anders als angekündigt wird die Veranstaltung nicht auf Bildwände übertragen. Im Konferenzsaal eröffnet um 11 Uhr der Berliner Kabarettist Dr. Seltsam, der durchs Programm führen wird. Erster Referent: Jean Wyllys, brasilianischer Literaturwissenschaftler und linker Parlamentsabgeordneter. Er sagt zum Putsch in seinem Land: »Die Oligarchen wollen die soziale Teilung der Gesellschaft verewigen.« Danach Arnaldo Otegi, Philosoph, Generalsekretär der linken baskischen Unabhängigkeitspartei Sortu in Spanien. Sie sei nicht nationalistisch, sondern internationalistisch. Er ruft zu weltweiter linker Koordination auf, damit sich nicht wiederholt, wie z. B. die Bevölkerung Griechenlands in ihrem Kampf gegen die Kapitaldiktatur im Stich gelassen wurde.

    Die kalifornische Lehrerin Marylin Zuniga schildert am eigenen Beispiel »wie die USA funktionieren«: Sie wurde entlassen, weil sie mit Schülern Solidaritätsbriefe an den seit mehr als 35 Jahren inhaftierten US-Publizisten Mumia Abu-Jamal richtete. Dann Repräsentanten eines historischen Sieges, des Friedensschlusses zwischen FARC-Guerilla und kolumbianischem Staat: Alberto Pinzón, kolumbianischer Arzt und Journalist, an den damals gescheiterten Friedensverhandlungen mit der Regierung in Bogotá im Jahr 2001 beteiligt, und Guillermo Quintero, mexikanischer Filmemacher. Sie haben eine Videobotschaft der FARC-Comandantes an die Konferenz im Gepäck, die mit stürmischem Beifall begrüßt wird.

    Gruß nach Kuba: Die Versammlung ehrt Fidel Castro, der am 25. November 2016 starb. Gruß aus Kuba: Arlín Alberty Loforte, stellvertretende Leiterin der internationalen Granma-Ausgabe, betont, wie schwer trotz wiederhergestellter diplomatischer Beziehungen mit den USA deren Blockade auf ihrem Land lastet. Die deutsche Granma-Ausgabe wird seit 1. Januar vom jW-Verlag betreut. Zum Abschluss: Ertugrul Kürkcü, linker türkischer Politiker und Journalist, HDP-Parlamentsabgeordneter. Er überbringt eine Grußbotschaft des eingeladenen, aber inhaftierten HDP-Kovorsitzenden Selahattin Demirtas, und beschreibt die Lage in der Türkei: »Gegen den Faschismus gibt es keine halben Siege.« Der NATO-Staat müsse international isoliert werden. Dazu könnten deutsche Linke, wenn sie sich organisieren, beitragen.

    Zwischen den Referaten: Bericht vom Jugendforum, Lieder von Heinz Ratz und Nicolás Miquea, Gespräche von M&R-Chefredakteurin Susann Witt-Stahl mit Sängern der italienischen Gruppe »Banda Bassotti«, mit dem Schauspieler Rolf Becker über die beiden Veranstaltungen, die er im Herbst 2016 mit Esther Bejarano und Moshe Zuckermann moderierte. Demnächst gibt es den Film dazu. Ausblick auf die Proteste gegen die »Münchner Sicherheitskonferenz«, auf die gegen G 20 in Hamburg im Juli und auf die nächste Lenin-Ausgabe im jW-Verlag 8. Mai. Geschäftsführer Dietmar Koschmieder zieht eine kurze Zwischenbilanz der im Oktober 2016 begonnenen Werbekampagne für die Zeitung: Die Zahl der Abonnenten ist zur Zeit so hoch wie noch nie seit Gründung des Verlags 1995, 312 neue Genossenschaftsanteile zu je 500 Euro wurden in den zurückliegenden drei Monaten gezeichnet. Er lädt zur Feier des 70. jW-Geburtstages für den 25. Februar ins Berliner Kino »International«. Es wird diese Zeitung und diese Konferenz weiterhin geben. Der abschließende Gesang der »Internationale« bleibt Programm.

  • · Berichte

    »Mit denen nicht«

    Mitmachen und umfallen oder gestalten und verbessern? Über Sinn oder Unsinn einer Beteiligung der Partei Die Linke an einer Regierung mit SPD und Grünen. Auszüge aus der Podiumsdiskussion auf der XXII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
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    Auslandseinsätze der Bundeswehr? »In dieser Frage nicht einen Millimeter des Kompromisses!« (Ellen Brombacher)

    Am Sonnabend diskutierte der Chefredakteur der jungen Welt, Stefan Huth, mit Bernd Riexinger, Kovorsitzender der Partei Die Linke, Patrik Köbele, Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), Aitak Barani von »Zusammen e.V.« und Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke über die Frage: »Nach der Bundestagswahl 2017: NATO führt Krieg – die Linke regiert?« Wir dokumentieren das Podiumsgespräch an dieser Stelle in Auszügen. (jW)

    Stefan Huth: Das Thema »Rot-Rot-Grün« wird schon seit einer ganzen Weile in den Medien diskutiert und in verschiedenen Parteigremien verhandelt. Damit verbinden sich sowohl Hoffnungen als auch Befürchtungen. Hoffnungen auf einen Politikwechsel, weg von zwölf Jahren Merkel hin zu einer Regierung einer linken Mitte mit einer anderen, fortschrittlicheren Sozialpolitik, mit einer anderen Außenpolitik. Die Befürchtungen sind allerdings auch groß. Was bleibt da möglicherweise auf der Strecke an linken Inhalten, etwa antimilitaristischen Grundsätzen der Partei Die Linke.

    2006 hat Oskar Lafontaine auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz eine Rede gehalten. Darin sprach er das erste Mal von den roten Haltelinien: eine nicht neoliberale Politik, weg von den Privatisierungen, weg von einer kriegerischen Außenpolitik. Diese Punkte, die später auch im Programm festgeschrieben worden sind, könnten nun zur Disposition stehen. Das befürchten nicht wenige Kritiker. Und die antimilitaristische Position ist ja nicht irgendeine. Sie ist es, die die Partei Die Linke für viele auch außerhalb der Partei überhaupt wählbar macht. Was ist das für eine Debatte über »Rot-Rot-Grün«, die da im Moment in deiner Partei geführt wird?

    Bernd Riexinger: Du beziehst dich vermutlich auf die Gespräche, die Parlamentarier von SPD, Grünen und Linken miteinander geführt haben. Bei keinem dieser Gespräche war die Parteiführung dabei. Wir führen keine solchen Gespräche, wir werden auch keinen Regierungswahlkampf für »Rot-Rot-Grün« machen, sondern einen Wahlkampf für unsere Inhalte, und die haben wir klar formuliert. Ich selbst habe immer eingeschätzt, dass wir in Deutschland derzeit kein linkes Lager haben. Man kann die SPD-Politik oder die der Grünen nicht als links bezeichnen.

    Ich habe allerdings auch nie gesagt, wir wollen auf keinen Fall regieren, sondern wir haben klar unsere Maßstäbe formuliert, und darüber gibt es auch innerhalb der Partei einen breiten Konsens. Das heißt, wir machen nichts, was nicht einen radikalen Bruch mit der neoliberalen Politik darstellt. Da geht es nicht um kleine Korrekturen wie jetzt etwa bei der Rente, sondern es geht wirklich um eine Neuausrichtung für eine völlig andere Politik. Wir wollen definitiv eine Rente, die armutsfest ist und den Lebensstandard sichert. Wir haben gesagt, wir machen keine Politik, die nicht den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht und nicht ein klares Programm gegen prekäre Arbeit enthält. Drittens, wir machen keine Politik, die nicht das Öffentliche stärkt, die öffentliche Infrastruktur, die öffentliche Daseinsvorsorge, ein Programm für mehr Personal in den Bereichen Bildung, Erziehung und Gesundheit. Und viertens musst du gesellschaftlich umverteilen. Du musst den Reichen in die Tasche greifen, wenn das nicht gemacht wird, kannst du als Linker definitiv nicht in eine Regierung eintreten.

    Die Friedensfrage ist neben der sozialen Frage das zweite Standbein der Linken. Beim Thema Kampfeinsätze der Bundeswehr wird es keine Zugeständnisse geben. Wir würden uns umbringen, wenn wir das machen. Die Gefahr sehe ich aber gar nicht. Auf keinem Parteitag würde ein Koalitionsvertrag, in dem Kampfeinsätze möglich sind, auch nur eine Chance haben, verabschiedet zu werden.

    Huth: Viele Wahlkämpfe hat die Partei, die PDS damals, mit dem zentralen Slogan »Veränderung beginnt mit Opposition« bestritten. Das Misstrauen rührt vielleicht daher, dass die Debatte sich jetzt auch auf Bundesebene auf die Bündnispolitik verlagert. Die Frage nach der Beteiligung der Basis wie damals bei den Protesten gegen die Agenda 2010, insgesamt die Präsenz auf der Straße – das scheint nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen.

    Riexinger: Das ist eine sehr gewagte These. Hier sitzt ein Parteivorsitzender, der die letzten viereinhalb Jahre diese Partei in hohem Maße auf außerparlamentarische Aktivität, auf die Verankerung in den Gewerkschaften und in der Gesellschaft ausgerichtet hat. Wir machen seit zwei Jahren eine Kampagne gegen prekäre Arbeit. Wer mich kennt, weiß, dass ich seit 40 Jahren für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik stehe. Und ich habe im übrigen auch immer gesagt, dass du keine Politik machen kannst, auch in der Regierung, ohne außerparlamentarische Kämpfe. Es wäre eine völlige Illusion zu glauben, allein im Parlament irgend etwas verändern zu können.

    Huth: Das Stichwort »außerparlamentarische Kämpfe« ist gefallen. Aitak, das ist das Feld, auf dem du dich bewegst, die täglichen Auseinandersetzungen an der Basis, in der antirassistischen Arbeit, gegen Kürzungspolitik. Welche Kritik hast du an den Orientierungen, die in Teilen der Linkspartei formuliert werden?

    Aitak Barani: Also Bernd, du sagst, dass SPD und Grüne gar keine linken Parteien sind. Dann verstehe ich aber nicht, dass du ganz eindeutig und klar formulierst, mit diesen Verbrecherparteien können wir nicht an einem Tisch sitzen, und gleichzeitig aber sagst, wir können es doch. Wir können euch nicht an den Worten messen, die im Wahlkampf fallen. Wir müssen euch an euren Taten messen. Und dann fange ich mal mit dem Thema Umverteilung an, mit der Umverteilung von Geldern. Gerade hat die »rot-rot-grüne« Regierung im Land Berlin beschlossen, dass 45 Millionen Euro für die Polizei ausgegeben werden. Vielen Dank! Wir werden dann Megaladungen an Pfefferspray abbekommen, weil wir gegen die Faschos auf die Straße gehen.

    Das verstehe ich nicht unter einer linken Umverteilungspolitik. Das ist das eine. Dann redest du von der Friedenspolitik der Linkspartei. Entschuldigung, Bodo Ramelow hat im Juli 2016 gesagt: Wir wollen das mit der NATO mal nicht mehr so dogmatisch sehen. Was meint er damit?

    Man sollte sich die Linkspartei genau angucken. Sie hat hier in Berlin bereits schon einmal mitregiert. Was hat sie da getan? Sie hat Zehntausende Sozialwohnungen privatisiert. Die Linke hat es mitgetragen, dass Berlin aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgestiegen ist. Das hat dazu geführt, dass die Leute acht bis zwölf Prozent weniger Lohn bekommen. Es war die Rede von den Massenprotesten 2004. Die Leute sind auf die Straße gegangen gegen die rote-grüne Politik, gegen die Hartz-Gesetze. Was ist davon übriggeblieben? Zwar hat die Linkspartei die Demonstrationen mitorganisiert, aber im Endeffekt hat sie die Proteste in die Passivität getrieben. Wie? Indem man Stellvertreterpolitik angeboten hat, anstatt zu erklären, wie sich die Leute auf der Straße für die nächsten Kämpfe organisieren können. Sie hat das gemacht, anstatt die Kämpfe voranzutreiben, in einem Moment, als der DGB mit Michael Sommer an der Spitze die Proteste gestoppt hat. Er hat damals von »Denkpause« gesprochen. Das war aber keine Denkpause, das hieß: Jetzt ist mal Schluss mit dem Demonstrieren!

    Wenn ihr vorhabt, tatsächlich mitzuregieren, so wie ihr schon mitregiert habt, dann ist das eine Kampfansage gegen die Basis und eine Kampfansage gegen die Lohnabhängigen in diesem Land. Und wir müssten uns gut aufstellen, wenn wir das, war ihr vorhabt, abwehren wollen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Menschen in diesem Land, vor allem die Arbeiterklasse, auf ihre eigene Macht besinnen und das nicht abgeben an jemanden, der sagt, wir machen das schon für euch. Was ist unsere Macht? Es ist unsere Streikmacht. Es ist das einzige, das wir haben.

    Riexinger: Wir haben keine Kämpfe abgebogen, wir haben sie vorangetrieben. Ohne den ver.di-Bezirk Stuttgart, in dem ich Geschäftsführer war, wären die Gewerkschaftler gar nicht erst zu den Demonstrationen hingegangen. Dass da hunderttausend Leute waren, das war das erste Mal, dass ich eine Basis innerhalb der Gewerkschaften bewegt habe – über die Bezirke, über die Vertrauensleute, über die Ortsvereine, ohne bei ihrer Führung nachzufragen. Daraus jetzt das Gegenteil zu machen halte ich für völlig falsch. Dass die Gewerkschaftsführung das dann abgewürgt hat, ist eine richtige Einschätzung, das sehe ich ganz genauso. Die Kraft der Basis reichte nicht aus, um die Proteste auch gegen die Gewerkschaftsführung weiterzutreiben. Allerdings gab es verschiedene Versuche. Wir haben das Bündnis »Wir zahlen nicht für eure Krise« gegründet, das noch weitere Demonstrationen auf die Beine stellte. Die waren zum Teil kleiner, mal 30.000 Leute, mal 70.000. Es war aber nicht so, dass dort die linken Kräfte, die WASG und später Die Linke, nicht eine bedeutende Rolle gespielt hätten. Die ganzen Demonstrationen, die danach kamen, etwa 2009 nach der Finanzkrise, wären ohne Die Linke überhaupt nicht möglich gewesen.

    Also: Es gibt die außerparlamentarischen Ansätze. Und ich stehe dafür ein, dass Die Linke sie vorantreibt. Da kann man uns wirklich an unseren Taten messen.

    Ich bin Bundesvorsitzender der Partei, ich habe die Bundespolitik zu verantworten. Die damalige Berliner Regierungspolitik der PDS, Die Linke gab es damals noch nicht, wurde in der WASG, aus der ich komme, stark kritisiert. Das spielte auch ein Rolle bei der Frage, ob wir mit dieser PDS eine gemeinsame Partei bilden wollen.

    Diese Erfahrungen waren auch der Grund dafür, dass Die Linke für den Fall einer Regierungsbeteiligung auch auf Bundesebene klare Haltelinien formuliert hat, die auch im neuen Wahlprogramm enthalten sind. Ich bin allerdings der Meinung, dass es nicht ausreicht, defensive Haltelinien formulieren. Wir brauchen auch eine Vorwärtsstrategie. Die Leute sollen nicht nur wissen, gegen was wir stehen und was wir nicht machen, sondern auch, was wir positiv verändern wollen. Wir haben eine andere gesellschaftliche Situation. Es reicht nicht mehr aus, nur keinen Sozialabbau und keine Tarifflucht zu machen. Wir müssen die Dinge wieder zurückbauen. Es muss ein linkes Reformprogramm formuliert werden, in dem unmissverständlich steht: »Die Verhältnisse müssen grundsätzlich geändert werden.«

    Huth: Bernd Riexinger hat in seinem Debattenbeitrag in der jungen Welt (12.1.2017) von der radikalen Demokratisierung des Staates gesprochen. Das sei die Voraussetzung dafür, dass soziale Fortschritte erkämpft werden können. Nun hat sich Patrik Köbele in seinem Beitrag einen Tag später auch zur Staatsfrage geäußert und davon ausgehend sehr grundsätzliche Bedenken mit Blick auf eine Regierungsbeteiligung geäußert. Patrik, was würdest du Bernd in Sachen Veränderung des Staates antworten?

    Köbele: Meine größte Kritik an der Linkspartei ist die, dass sie sich im Rahmen der Debatte um Regierungsbeteiligung die Frage, in welchem Land wir leben, nie konsequent gestellt hat. Wir leben in einem Land, das Krieg führt. Wir leben in einem Land, das es geschafft hat, sich selbst zu einem Niedriglohnland im Verhältnis zu seiner Produktivität zu machen, und das derzeit die EU bzw. den Euro als schärfste Waffe einsetzt, um die Peripherie dieser EU auszubluten, auch um sich damit Spielräume für die Bestechung kleiner Teile der hiesigen Arbeiterklasse zu verschaffen. Wir sollten nicht vergessen, dass diese beiden Punkte – Kriege führen und sich zum Niedriglohnland machen – uns einmal unter dem Stichwort Politikwechsel verkauft wurden. Das kam dadurch zustande, dass die herrschende Klasse gesagt hat, wir übertragen die Führungsgeschäfte des Staates jetzt einer SPD-Grünen-Koalition, die uns den Weg für Angriffskriege freimacht und die uns die Agenda 2010 beschert hat. Man sollte die herrschende Klasse nicht für doof halten. Sie hat das gemacht, weil die Einbindung von Kräften in die Verwaltung der Staatsmacht dazu dient, Widerstand zu lähmen. Das könnte die herrschende Klasse auch veranlassen, die Linkspartei einzubinden.

    In Leute wie dich, Bernd, setze ich meine Hoffnung, weil ich weiß, dass du aus der Tradition des gewerkschaftlichen Massenkampfs kommst. Ich weiß aber auch, weil ich es schon selbst erlebt habe, dass zum Beispiel eure Kommunalpolitiker ganz oft dazu neigen zu sagen: Nein, da können wir doch jetzt keine Fundamentalopposition machen. Wenn wir kleinen Erhöhungen von Gebühren für die Massen zustimmen, können wir uns doch vielleicht in der nächsten Runde mit der SPD auf sonst irgend etwas einigen.

    Mir fällt außerdem auf, dass die NATO-Frage immer seltener aufgeworfen wird. Und, liebe Freundinnen und Freunde und auch du, lieber Bernd Riexinger, das wäre ein tatsächlicher Tabubruch. Aber euer Bundesschatzmeister hat ja nach dem letzten Gespräch der drei Parlamentariergruppen gesagt: Na ja, das mit der NATO steht zwar bei uns im Programm, aber das muss ja nicht in einem Regierungsprogramm stehen. Und an diesem Punkt wird sogar eure innerparteiliche Demokratie ausgehebelt. Da habe ich tatsächlich Sorgen auch um deine Standfestigkeit. In deinem Beitrag konnte ich erhebliche Illusionen bei der Frage herauslesen, was denn dieser Staat ist. Dieser Staat ist zunächst ein kapitalistischer Klassenstaat. Es gibt eine herrschende Klasse und eine beherrschte Klasse. Ja, es gibt eine parlamentarische Form seiner Verwaltung, aber diese parlamentarische Form hat vor allem auch die Aufgabe, bestimmte Kräfte einzubinden. Es wird stark daran gearbeitet, und ich fürchte, ihr habt zu viele, die darauf warten, dass auch sie eingebunden werden.

    Huth: Last, but not least, Ellen Brombacher. Du hast auch einen Beitrag auf den Themaseiten der jungen Welt veröffentlicht (jW vom 21.11.2016). Du hast darin sehr grundsätzliche Vorbehalte gegen ein Bündnis »Rot-Rot-Grün« artikuliert. Vielleicht kannst du deine Kritik noch mal zusammenfassen?

    Brombacher: Ich will zunächst noch eine Bemerkung machen, auch wenn es nicht direkt zum Thema gehört, zur Causa Andrej Holm: Die Tatsache, dass ein Staatssekretär namens Hans Josef Maria Globke, der die Nürnberger Rassegesetze mitverfasst hat, in der Bundesrepublik Deutschland Staatssekretär und Kanzleramtschef sein konnte, und jemand, der als junger Mann mit 17, 18 Jahren meinte, dass er durch die Mitgliedschaft in der Staatssicherheit und im Wachregiment Feliks Dzierzynski seinem Staat, der DDR, dienen könne, und der darüber hinaus nichts gemacht hat, das nicht kann, ist bezeichnend. Dass der eine Staatssekretär sein kann und bleibt, und der andere wird dafür entlassen, zeugt von einem unbeschreiblichen Hass der deutschen Bourgeoisie auf die Bemühung, in einem Teil Deutschlands etwas anderes versucht zu haben als diese Dreckskapitalherrschaft.

    Zur eigentlichen Frage. Also Bernd hat gesagt, er habe keine Angst, dass in der Friedensfrage etwas passiert. Diese Position habe ich nicht. Ich habe im letzten halben Jahr, seit die Medien, die uns ja eigentlich nicht mögen, ununterbrochen dieses Projekt »R2G« befeuern, aus der jungen Welt und dem Neuen Deutschland alle Artikel ausgeschnitten, die diese Thematik betreffen. Und wenn man sich anschaut, wie die Protagonisten meiner Partei sich verhalten, dann bekommt man Zweifel. Da entsteht eine Atmosphäre, bei der man den Eindruck haben kann, jeder, der da Vorbehalte hat, ist ein bisschen plemplem.

    Ich wäre auch für eine Linksregierung in Deutschland, nur welches sind denn die Partner? Das ist ja hier schon benannt worden. Die Grünen? Heute früh war in den Nachrichten zu hören, dass nun die Länder, in denen die Grünen mitregieren, bereit sind, Afghanistan zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären. Aus den gleichen Nachrichten konnte man auch erfahren, dass sich die Anzahl derer erhöht, die der Forderung des sozialdemokratischen Justizministers zustimmen, elektronische Fesseln einzuführen. Gleichzeitig laufen die Debatten darüber, wer alles als Gefährder anzusehen sei. Die Dinge, die teilweise diskutiert werden, gehen in Richtung Schutzhaft. Mein Vater hat in Sachsenhausen und Mauthausen vier Jahre Schutzhaft »genossen«. Nie wieder! Für niemanden! Also, mit denen kann man nicht.

    Und wenn man dann eben trotzdem sagt: Aber man müsste doch. Und: Alleine können wir es auch nicht. Da muss ich sagen, wir haben es mit reinem Wunschdenken zu tun. Und Wunschdenken ist eine große Gefahr, denn es impliziert, dass nicht mehr problematisiert wird, was den Wünschen entgegensteht.

    Wie können wir sagen, wir beteiligen uns an der Regierung und bleiben Friedenspartei, und ignorieren, dass die Grünen uns nur dann akzeptieren, wenn wir unsere Positionen zur NATO und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr ändern? Warum äußern sich die Parteiführung und die Fraktionsführung nicht explizit zu diesen Erpressungsversuchen von führenden Leuten von SPD und Grünen? Es ist an der Zeit, ihnen zu sagen: Ihr müsst in dieser Frage auf uns zukommen, wenn ihr die Absicht habt, mit uns gemeinsam zu gehen, nicht umgekehrt. In dieser Frage nicht einen Millimeter des Kompromisses!

    Es gibt keine Regierungsbeteiligung ohne unser Nachgeben in den friedenspolitischen Grundsätzen, denn es gibt eine Staatsräson. Und die besagt: Die Bündnisverpflichtungen in der NATO und in der EU sind anzuerkennen. Wer das nicht akzeptiert, der kann nicht in eine Bundesregierung. Da ist nicht dran zu rütteln. Da kann man sich wünschen, was man will. Diese Staatsräson gilt, und wir sind nicht aus irgendwelchen Prinzipien gegen »R2G«, sondern weil wir, glaube ich, realistisch sehen, mit wem wir es in diesem Staat zu tun haben.

    Huth: Ellen, ich will noch mal in einem Punkt nachhaken. Du sagtest, die Sache wird an der Basis nicht problematisiert. Wie erklärst du dir, dass sowenig Widerstand artikuliert wird? Warum ist da sowenig zu hören?

    Brombacher: An der Basis der Partei gibt es im Grunde genommen zu der Frage der friedenspolitischen Prinzipien klare Positionen – bei sehr, sehr vielen Genossinnen und Genossen, ich glaube bei der übergroßen Mehrheit. Natürlich vertrauen wir darauf. Die Basis der Partei bietet eine gewisse Sicherheit.

    Das Problem ist, wenn sich alle darauf verlassen, dass in der Frage alles klar ist und bestimmte Dinge im Detail nicht so verfolgt werden. Uns bewegt ja im Moment viel mehr die AfD und die Debatte über Flüchtlinge, die außerordentlich wichtig ist. Und die Friedensfrage scheint im Moment nicht so sehr das Problem zu sein, aber es kann eines werden. Denn wenn Bodo Ramelow erklärt, wir wollen die NATO ein bisschen ausklammern, dann ist das nicht ein Versprecher, sondern die Position einer entscheidenden Galionsfigur dieser Partei.

    Also, ich habe Vertrauen in die Basis der Partei. Ich weiß aus vielen Gesprächen und Diskussionen nicht nur mit Mitgliedern der Kommunistischen Plattform, dass es nicht gewollt ist, dass die friedenspolitischen Prinzipien in Frage gestellt werden. Aber ich weiß auch, ansonsten wäre ich ja auch eine Voluntaristin, wenn lange genug getrommelt wird »Es gibt keine Alternative« und »Die Rechten! Da müssen wir uns zusammentun!«, wird das nicht ohne Wirkung bleiben, wenn dazu nicht parallel gesagt wird: Jetzt wollen wir uns aber mal über den Preis unterhalten, den das hätte.

    Huth: Es sind eine ganze Reihe sehr grundsätzlicher Bedenken aufgeworfen worden mit Blick auf eine »rot-rot-grüne« Konstellation auf Bundesebene. Bernd, willst du dich noch einmal äußern zu den grundsätzlichen Bedenken, die deine Vorrednerinnen und Vorredner geäußert haben?

    Riexinger: Ich teile ein gewisses Misstrauen, dass natürlich eine Partei, die überall parlamentarisch unterwegs ist und die sogar an Landesregierungen beteiligt ist, immer in Gefahr ist, Anpassungsprozesse zu erleben. Das ist ja nichts Neues in der Geschichte. Aber ich würde diesen Zusammenhängen aus verschiedenen Gründen völlig widersprechen. Wir haben auf Parteitagen klare Positionen. Da mache ich mir in der Friedensfrage keine allzu großen Sorgen. Dass man da wachsam sein muss, das ist immer so, zumal die Gefahr besteht, wenn Tauschgeschäfte gemacht werden, dass da was unter die Räder kommt. Aber ich kann mir das nicht vorstellen.

    Ich möchte aber noch mal ein bisschen grundsätzlich etwas zur Strategie sagen. Natürlich kann man in kleinen revolutionären Parteien so diskutieren, wie man das hier macht. Aber wir sind nicht als eine revolutionäre Partei gegründet worden, sondern als ein Zusammenschluss verschiedener linker Strömungen. Und die Stärke liegt ja genau darin, dass die Linke keine Kaderpartei ist. Und auch wenn hier sehr viel Misstrauen besteht, so hat doch die Existenz dieser linken Partei dazu geführt, dass wir in diesem Land in vielen Fragen eine andere Diskussion haben. Ich habe die 1990er Jahre erlebt, als die Gewerkschaften mit dem Rücken zur Wand standen und die soziale Frage praktisch keine Rolle mehr gespielt hat, weil der Neoliberalismus ideologisch gesiegt hatte. Und erst seit diese Linke gegründet wurde, sind überhaupt wieder Spielräume da, auch für Gewerkschaften, für linke Debatten.

    Das zweite ist: Ich halte dieses Staatsverständnis für begrenzt. Der Staat ist ein Klassenstaat. Da braucht man mich nicht zu belehren. Aber auch die marxistische Staatstheorie hat sich weiterentwickelt. Der Staat ist auch ein umkämpftes Feld und ein Ausdruck von Klassenauseinandersetzungen. Es ist und bleibt natürlich trotzdem Kapitalismus. Aber ein Kapitalismus mit Krankenversicherung ist anderer als einer ohne.

    Wenn du die SPD zum Beispiel als Verbrecherpartei bezeichnest, dann hast du doch aus der Geschichte der Linken nichts gelernt. Wir wollen doch die sozialdemokratischen Mitglieder und die sozialdemokratisch Denkenden mit uns auf der Straße haben. Wenn ich sage, die SPD ist eine Verbrecherpartei, Leute, dann ist es völlig aussichtslos, diese Gruppen von Gewerkschaftern, die stark sozialdemokratisch geprägt sind, in solche Kämpfe zu führen. Mit wem wollt ihr denn den Klassenkampf machen? Hier zu diskutieren, was alles revolutionär ist und was Klassenkampf ist und dass man dazu keine linke Partei braucht, das halte ich dann doch für wesentlich weltfremder als die Illusionen, die wir uns scheinbar über »Rot-Rot-Grün« machen.

    Die Erwartung selbst bei den linken Anhängern ist zu 90 Prozent, das zeigen alle unsere internen und externen Umfragen, dass wir in Regierungen gehen. Die Leute wollen das. Wir würden sofort, wenn wir uns mit so einer Position hinstellen, fünf bis sechs Prozent der Stimmen verlieren. Aber die Leute wollen ja nicht, dass wir ohne Bedingungen regieren, die wollen, dass Verbesserungen eintreten. Es ist doch völlig klar, wenn diese Verbesserungen nicht eintreten, gehen wir nicht in so eine Regierung. Wenn wir bei Kampfeinsätzen der Bundeswehr Zugeständnisse machen müssten, würden wir nicht in die Regierung gehen. Und wenn wir Zugeständnisse machen müssten bei neoliberaler Politik, würden wir auch nicht reingehen.

    Wenn man also will, dass die Linke eine kleine Kaderpartei wird, dann kann man so argumentieren, wie Aitak das getan hat. Ich will das nicht. Ich bin relativ froh darüber, dass wir nach vielen Jahrzehnten der Ausdörrung eine linke Partei mit zehn Prozent der Wählerstimmen haben, dass wir eine linke Partei im Parlament haben, die bisher alle Auslandseinsätze der Bundeswehr konsequent abgelehnt hat. Im übrigen auch alle Asylrechtsverschärfungen.

    Barani: Wir haben eine schwierige Aufgabe vor uns. In diesem Land ist alles kaputt gemacht worden, was auch nur ansatzweise an Geschichtsbewusstsein der Arbeiterklasse da war. Das ist doch alter Käse, uns vorzuwerfen, wir würden nicht zwischen Führung und Basis unterscheiden. Wir kritisieren die SPD-Führung, die Partei als solche, die immer noch in diesem Land Verbrechen begeht. Die Lebenserwartung ist gesunken, die Kinderarmut ist gestiegen. Ist das denn etwa kein Verbrechen? Es wurden Kriege geführt. Der deutsche Imperialismus konnte sich das ohne die SPD nicht erlauben. Und du sagst, das ist keine Verbrecherpartei! Natürlich werden wir an der Basis mit jedem Sozialdemokraten zusammenarbeiten, der bereit ist, mit uns zu kämpfen.

    Köbele: Wir müssen über manche Dinge einfach mehr diskutieren. Bernd, lass uns doch mal wieder über Imperialismus reden. Wir müssen wieder darüber sprechen, dass Kräfteverhältnisse sich natürlich auch parlamentarisch niederschlagen, aber keineswegs nur damit etwas. Sie haben mit Kapitalfraktionen und ähnlichem zu tun. Und wenn man das nicht mehr analysiert, wird man hinsichtlich der Strategie und Taktik fehlgehen. Und da kannst du sagen, und hast ein Stück weit recht: »Köbele, du kannst das in deinem kleinen Laden schön machen.« Das ist aber keine Entschuldigung, dass ihr es nicht mehr macht.Ja, diese DKP ist klein, ja diese DKP ist alt. Aber sie ist wichtig. Denn ich fürchte auch um die Entwicklung der Linkspartei, wenn sie links neben sich keine kommunistische Partei mehr hat. Und deswegen arbeite ich für die Stärkung der DKP.

  • · Berichte

    Über den Laufsteg

    Von der Theorie in die Praxis: Linke Kultur bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Christof Meueler
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    Fundamentalopposition, poetisch: Nicolás Miquea

    Wenn die junge Welt 70 wird, spielt Daniel Viglietti für sie. Der Uruguayer ist einer der bekanntesten linken Liedermacher Lateinamerikas und sogar noch etwas älter. Dieses Jahr wird er 78 Jahre alt. Am 25. Februar hat ihn diese Zeitung ins Kino International nach Berlin eingeladen, um ihren Geburtstag zu feiern.

    Am Samstag spielte Nicolás Miquea auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin schon mal ein paar Lieder von Viglietti. Miquea kommt aus Chile, wohnt in Potsdam, hat eine tolle Stimme und kann sehr gut Gitarre spielen. Sein erstes Lied war den Flüchtlingen gewidmet, sagte er. Gleichzeitig sei es ein Lied »gegen eine heuchlerische Solidarität mit Flüchtlingen von Leuten, die gleichzeitig die imperialistischen Kriege unterstützen, vor denen die Menschen fliehen«.

    Der Bühne auf der Konferenz war ein Laufsteg, das Publikum saß auf beiden Seiten. Am einen Ende des Laufstegs stand ein Tisch, an dem Gespräche und Diskussionen stattfanden. Am anderen Ende waren Mikrofone und Instrumente zum Musikmachen aufgebaut. Miquea unterhielt sich erst am Tisch mit Susann Witt-Stahl, der Chefredakteurin der Melodie und Rhythmus, über die Möglichkeiten linker Musik, dann schritt er einmal durchs Publikum den Laufsteg hinunter zur anderen Seite, um diese Musik dann auch zu spielen – ein Sinnbild für den Wechsel von der Theorie in die Praxis.

    Genau zu diesem Zweck wurde im Herbst auch das »Büro für Offensivkultur« vom Folksänger Heinz Ratz und dem Liedermacher Konstantin Wecker aus der Taufe gehoben. Die beiden haben schon vor zehn Jahren gemeinsam eine Antifa-Tour bestritten. Nun soll das neue Büro wie eine »Notfallagentur« funktionieren, die innerhalb von 24 bis 48 Stunden Künstler an Orte bringt, in denen Faschisten aktiv sind oder Umweltskandale passieren, erklärte Ratz im Gespräch mit Witt-Stahl. Denn oft wissen die lokalen Aktivisten nicht, an wen sie sich wenden sollen, wenn sie Protest- oder Solidaritätskonzerte organisieren möchten. Ratz kennt jede Menge Künstler und Aktivisten, die er nun zu Netzwerken verknüpfen will, gerade weil die politischen Gruppen das nicht schaffen würden, da sie zu zerstritten seien, glaubt er.

    Im Prinzip versteht sich auch die Rosa-Luxemburg-Konferenz als eine Plattform zur Bündelung verschiedener Kräfte der Linken. Anders als bei früheren Konferenzen gab es diesmal keine Trennung von Politik und Kultur, die ja oft hierarchisch als »harte« und »weiche« Themen voneinander getrennt werden, auch wenn sie sich im alltäglichen Medienkonsum permanent vermischen. Statt dessen waren die Kulturgespräche und -präsentationen in das laufende Konferenzprogramm eingebaut.

    Die Künstlergruppe Tendenzen stellte ihre Ausstellung »No pasaran!« vor, die ein Stockwerk höher zu besichtigen war, die bekannte italienische Punkband Banda Bassotti präsentierte ihre DVD über ihre Solidaritätsreisen in die »Volksrepubliken« der umkämpften Ostukraine, und der Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker sprach über die DVD »Losgelöst von allen Wurzeln … Wanderer zwischen den jüdischen Welten«, die demnächst von Melodie und Rhythmus und junge Welt herausgebracht wird. Sie dokumentiert zwei Veranstaltungen mit Esther Bejarano und Moshe Zuckermann im Herbst anlässlich des Erscheinens der Melodie und Rhythmus über »Jüdische Musik«, die von Rolf Becker moderiert worden waren.

    Über all diesen Gesprächen schwebte die Frage, wie linke Kultur wirkmächtig werden kann. Heinz Ratz zum Beispiel wurde Musiker, weil er feststellte, dass seine Gedichte dann viel mehr Leute erreichen. Er gründete die Folk-Agit-Band Strom & Wasser und machte spektakuläre Aktionen, um seine politischen Anliegen besser in die Medien zu kriegen. Er schwamm durch Flüsse und fuhr Tausende Kilometer mit dem Fahrrad zu seinen Konzerten, die er in Aktionen für Obdachlose und Flüchtlinge umwandelte.

    Als Witt-Stahl ihn fragte, warum es keine »echte Gegenkultur« mehr gebe, die »konsequent in Fundamentalopposition gegen ein System der Vernichtung steht«, sagte Ratz, er glaube, die meisten Menschen hierzulande seien einerseits zu bequem und andererseits abgelenkt von Scheinproblemen – genauso wie viele politische Gruppen auch. Ihnen empfahl er erst mal eine »innere Stille«, um dann kämpferisch zu werden. Miquea verwies später auf einen Satz von Salvador Allende: »Die Revolution fängt nicht in der Universität an, sondern in der Bevölkerung!«

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    Großer Einsatz

    Problemlöser: Layouter Dirk Braunheim mit Peter Steiniger (l.), verantwortlich für den Webauftritt
    Mit Schweizer Präzision: Patricia D’ Incau (Außenpolitik)
    Freundlicher Antreiber: Michael März sichert als Chef vom Dienst das tägliche Erscheinen der Zeitung mit
    Weltoffener bayerischer Import: Innenpolitikredakteurin Claudia Wangerin hat auch einen Blick auf die Lage in der Türkei
    Fokussiert: Bildreporter Björn Kietzmann
    Blick in den Presseraum: Die Fotografen Christin Mang (l.) und Christian Ditsch, im Hintergrund jW-Chefredakteur Stefan Huth
    Keine halben Sachen: Die Illustratorin Eva Schönfeld bringt Klasse in die Bildarbeit bei junge Welt und Melodie & Rhythmus
    Gute Abstimmung ist nötig: Außenpolitik-Ressortleiter André Scheer mit seiner Amtskollegin von der Fotoredaktion, Sabine Koschmieder-Peters
    Hochkonzentriert: Fotoredakteurin Katrin Winkler
    Kurze Auszeit: Katrin Winkler (r.) mit Schlussredakteurin Lena Grünberg
    Keine Randfigur: Feuilletonchef Christof Meueler (rechts) liegt progressive Musik besonders am Herzen. jW-Helfer Olmo Koschmieder steht ganz links

    Rosa-Luxemburg-Konferenz, das bedeutet einen langen Arbeitstag für das Team von junge Welt, für Text- und Bildredakteure, für Dolmetscher und Übersetzer, Fotografen und Techniker. Ein besonderer Dank gilt allen Helfern außerhalb des Rampenlichts, die mit ihrem freiwilligen Einsatz dieses besondere Ereignis möglich machen.

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    Unser Kampf, unsere Kultur

    Kubanische Klänge zum Abschluss mit »Projecto Son Batey«

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    Rekordteilnehmerzahl

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    Die XXII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz im Berliner Konferenzhotel Mercure MOA am Sonnabend kann einen Teilnehmerrekord vorweisen. Mehr als 2800 Gäste, Unterstützer und Journalisten folgten den Vorträgen, Kulturbeiträgen und Debatten.

    Auf dem Podium der Konferenz debattierten unter anderem Bernd Riexinger, Ko-Vorsitzender der Partei Die Linke, mit Patrik Köbele, dem Vorsitzenden der DKP, zu Perspektiven einer "rot-rot-grünen" Koalition nach der Bundestagswahl. Die Friedensfrage sei neben der sozialen Frage das zweite entscheidende Standbein der Linken, sagte Riexinger. "Kampfeinsätze der Bundeswehr" schloss er für seine Partei aus.

    Einer der Höhepunkte der Veranstaltung waren der Auftritt von Ertugrul Kürkcü, einem der bekanntesten Aktivisten der 68er-Bewegung in der Türkei und heutigem Ehrenvorsitzenden der Partei HDP. Die Partei wird in der Türkei kriminalisiert, der Kovorsitzende Selahattin Demirtas, der als Gast zur Konferenz geladen war, übermittelte aus dem Gefängnis eine Grußbotschaft. Der Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker stellte auf der Bühne die DVD »Losgelöst von allen Wurzeln… Wanderer zwischen den jüdischen Welten«, die demnächst von Melodie und Rhythmus und junge Welt herausgebracht wird, vor. In einer Videobotschaft übermittelte der Comandante der FARC-EP, Marco León Calarcá, den Teilnehmern der Konferenz die solidarischen Grüße der kolumbianischen Guerilla. Der Philosoph und Generalsekretär der 2013 gegründeten baskischen Unabhängigkeitspartei Sortu in Spanien, Arnaldo Otegi, war bis 2016 inhaftiert. Den Gästen der Konferenz gab Otegi einen Überblick über den Stand des baskischen Unabhängigkeitsprozesses.

    junge Welt wird in ihrer Montagausgabe ausführlich über die Konferenz berichten. Die Vorträge werden in einer Beilage und als Broschüre erscheinen.

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    Hört die Signale!

    Traditioneller Abschluss der Rosa-Luxemburg-Konferenzen ist das gemeinsame Singen der »Internationale« . Dichtgedrängt standen Akteure, Helfer und Teilnehmer der auf der Bühne und im Saal. Ein Gesang, in vielen Sprachen und mit einer Stimme: »Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!«

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    Bewegte Debatte

    Diskussion auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz mit Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, Bernd Riexinger, Parteivorsitzender Der Linken, Stefan Huth, Chefredakteur der jungen Welt, Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform und Aitak Barani, Aktivistin von Zusammen e.V. (v. l.)
    Diskussion zu "rot-rot-grün" bei der jungen Welt: Voller Saal und gespannte Zuhörer
    Bernd Riexinger: "Es gibt zur Zeit kein linkes Lager in Deutschland"
    Aitak Barani: "SPD und Grüne sind nicht links"
    Patrik Köbele: "Dieser Staat ist ein kapitalistischer Klassenstaat"
    Ellen Brombacher: "Auseinandersetzung zur Friedensfrage wird in der Linkspartei nicht geführt"
    Bernd Riexinger betont die Notwendigkeit, auf die Basis von SPD und Grünen zuzugehen: "beschimpfen bringt nichts"
    Geballte Aufmerksamkeit für innerlinke Debatten: Mehr als 2.800 Besucher der Rosa-Luxemburg-Konferenz bei der Podiumsdiskussion

    Die Linke an der Regierung – ist das nach der Bundestagswahl in diesem Jahr denkbar? Ja, wenn es nach führenden Politikern der SPD, der Grünen und der Linken geht. Doch zu welchem Preis?

    Auf der Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt nahm hierzu unter anderem der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, in der Diskussion Stellung. Mit ihm auf der Bühne Patrik Köbele, Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform der Linken und Aitak Barani, Vertreterin der sozialen Basisinitiative Zusammen e.V.

    Doch Politik findet stets konkret statt. Am Morgen der Konferenz wurde öffentlich, dass Berlins Regierender Bürgermeister Müller den von der Linken nominierten Staatssekretär Andrej Holm aus der »rot-rot-grünen« Landesregierung entfernen möchte. Gegen Holm war eine Kampagne geführt worden, weil er sich als junger Mann zum Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verpflichtet hatte. Auch Riexinger fand Müllers Vorgehen »völlig falsch«, wollte jedoch keine eigene Einschätzung zu dem Vorgang abgeben, bevor die Parteigremien sich dazu beraten hätten.

    Riexinger betonte, dass die Festlegungen des Programms der Linkspartei in ihren Aussagen eindeutig seien: Die Friedensfrage sei, neben der sozialen Frage, das zweite Standbein der Partei. Bei »Kampfeinsätzen« der Bundeswehr gebe es mit der Linken »keine Kompromisse«.

    Das sah Aitak Barani anders: Wie solle mit SPD und Grünen, die auch Riexinger nicht als linke Kräfte einstuft, linke Politik überhaupt möglich sein? In Berlin habe die dort mitregierende Linkspartei gerade 45 Millionen Euro für die Polizei locker gemacht: »Die Megaladungen Pfefferspray werden wir dann abkriegen«. Der Thüringer Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow habe zudem gefordert, »die NATO-Frage nicht so dogmatisch zu sehen«. Von einer solchen Politik müsse man »Abstand halten«, forderte Barani.

    Ellen Brombacher betonte, dass alle Landesvertreter der Kommunistischen Plattform gegen eine »rot-rot-grüne« Bundesregierung seien. Doch sie habe »große Angst«, dass in der Frage Krieg oder Frieden Kompromisse von seiten der Linken-Führung möglich seien – wichtige Parteifunktionäre wie Gregor Gysi, Wulf Gallert oder Dietmar Bartsch hätten sich hier bereits in der Vergangenheit relativierend geäußert. Sie sei nicht einfach so gegen eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken, sondern »weil wir Realisten sind und wissen, mit welchem Staat wir es zu tun haben«: Dem Klassenstaat des Kapitals.

    Patrik Köbele führte aus, dass der Fall Andrej Holm beweise, wie stark der Hass der Herrschenden gegen die DDR nach wie vor sei. Dennoch sei es eine Option für diese, die Linke in die Regierung einzubinden, falls sie sich in Fragen der Staatsraison kompromissbereit zeige.

    Trotz wenig Zeit und vieler spannender Fragen, die in der Debatte aufgeworfen und nicht mehr zu Ende diskutiert werden konnten, wurde der Unmut etlicher Mitglieder der Partei Die Linke und vieler linker Aktivisten mit dem Kurs der Linken-Führung deutlich. Eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl könnte zur Desillusionierung der sozial Abgehängten in der BRD führen, mahnte auch Patrik Köbele. Erst damit wäre der Weg für die rechten Kräfte endgültig freigeräumt.

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    Ermutigende Erfolge

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    Nicolás Miquea trug Lieder des legendären uruguayischen Liedermachers Daniel Viglietti vor. Viglietti wird am 25. Februar auf der Feier zum 70jährigen Bestehen der jungen Welt auftreten.

    Seit nunmehr 22 Jahren sei die Rosa-Luxemburg-Konferenz auch ein praktischer Beitrag zur internationalen Solidarität, sagte Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer des Verlags 8. Mai, in dem die junge Welt erscheint, am Samstag nachmittag. Und seit nunmehr fast 70 Jahren existiere diese linke Zeitung. Voraussetzung dafür, dass es die Konferenz weiter geben kann, sei, dass die jW, die die Tagung zusammen mit 30 Partnern veranstalte, genügend Abonnements und Genossenschaftsmitglieder habe.

    Eine große Ermutigung sei der Erfolg der im Oktober begonnenen Kampagne für mehr Abonnements, sagte Koschmieder. Die Zahl der Abonnenten sei zwei Tage vor der Konferenz so hoch wie noch nie seit Gründung des Verlags 1995. Außerdem wurden bis zum 12. Januar 312 neue Genossenschaftsanteile gezeichnet.

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    Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer des Verlags 8. Mai, in dem die junge Welt erscheint, informierte über die Erfolge der aktuellen Abokampagne und lud zur Feier des 70. Geburtstags der Zeitung im Februar ein

    Koschmieder erinnerte an die außerordentliche Generalversammlung der Genossenschaft LPG junge Welt, Herausgeberin der jW, am 19. November, auf der Maßnahmen zu ökonomischen Stabilisierung von Verlag und Zeitung beschlossen hat. Dazu gehöre auch eine Kapitalerhöhung, die dazu führe, dass Zeitung und Verlag »dem Volk gehören«, also den Mitgliedern der Genossenschaft.

    Nach all den positiven Signalen der letzten Wochen könne jW im Februar gestärkt ihr 70jähriges Bestehen feiern, so Koschmieder. Das Jubiläum wird am 25. Februar mit einem Empfang im Kino International in der Berliner Karl-Marx-Allee begangen. Ein sich anschließendes hochkarätiges Konzert wird von der großen Brecht-Interpretin und Chansonnière Gina Pietsch, von Schauspieler Rolf Becker und dem legendären Sänger, Dichter und Komponisten Daniel Viglietti aus Uruguay bestritten. Letzterer war in der Zeit der Militärdiktatur in seinem Heimatland inhaftiert. Der Schauspieler Rolf Becker berichtete vom internationalen Kampf um Vigliettis Befreiung Anfang der 1970er Jahre. Nicolás Miquea trug anschließend drei Lieder Vigliettis auf beeindruckende Weise vor.

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    Jugendpodium: Gegen die AfD, für mehr Soziales

    Für eine linke Politik, die eingreift und die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt
    Solidarität wird auf der RLK groß geschrieben

    »Gegen die AfD gibt es nur eine Möglichkeit: Mit den Menschen sprechen und sie im Kampf um ihre Interessen organisieren.« Mit diesem Satz stellte David K. die Ergebnisse des Jugendpodiums den Teilnehmern der Rosa-Luxemburg-Konferenz vor. Nötig sei festzuhalten, dass die Gesellschaft sehr wohl gespalten sei – aber nicht in Einheimische und Flüchtlinge, sondern in Jugendliche und Arbeiter auf der einen Seite und Kapitalisten und deren Vertreter auf der anderen. Die AfD setze sich aber für die Interessen der Unternehmer ein.

    Parallel zur Rosa-Luxemburg-Konferenz findet in den Veranstaltungsräumen ein Jugendprogramm statt, dessen Höhepunkt die Podiumsdiskussion ist. Ausgerichtet wird dieses von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), deren Mitglied auch David K. ist.

    Vor mehr als 250 Schülern und Azubis war auf der Podiumsdiskussion über den Rechtsruck in der Bundesrepublik und die Rolle der AfD gesprochen worden. Weitgehend einig waren sich die Diskutanten verschiedener Organisationen darin, dass der Kampf gegen Rechts mit einem Kampf um soziale Forderungen verbunden werden müsse.

    »Wir müssen die Lebensbedingungen verbessern, den Lohn erhöhen«, sagte Franziska Wolf, Gewerkschaftssekretärin der IG Metall in Zwickau. Gerade den Gewerkschaften komme hier eine Schlüsselrolle zu, vielfach seien sie zudem die einzigen Organisationen, die die Menschen noch wirklich erreichten. Dennoch scheuten sich die Arbeiterorganisationen zu oft, in den Betrieben Gespräche über Rassismus zu beginnen.

    Feurig diskutiert wurde über die Rolle des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus«, in dem sich neben diversen Organisationen auch Spitzenvertreter von SPD und Grünen zusammengefunden haben. Thomas Eberhardt-Köster, der für den Zusammenschluss sprach, betonte, dass man auch mit diesen nicht-klassenkämpferischen Kräften zusammenarbeiten müsse. »Sonst sind wir bald recht allein.« Ihm widersprachen David K. sowie etliche Personen aus dem Publikum. Die Zusammenarbeit mit führenden Sozialdemokraten helfe eher diesen, sich von ihrer falschen Politik reinzuwaschen, als dass es den Kampf gegen Rassismus stärke.

    Von den Diskussionsteilnehmern wurde hervorgehoben, dass sie sich eine Fortsetzung der begonnenen Gespräche wünschen.

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    »Keine halben Siege«

    Mitglied eines Parlaments, das entrechtet und einer Partei, die kriminalisiert wird: Ertugrul Kürkcü
    Die faschistische Entwicklung war absehbar, betont Ertugrul Kürkcü. Er sieht aber noch Chancen, sie zurückzudrängen.
    »Es lebe die internationale Solidarität«, sagt er auf Deutsch.

    Ertugrul Kürkcü hat selbst Jahre in türkischen Gefängnissen verbracht, Karl Marx übersetzt, eine Zeitung und mehrere Organisationen mitgegründet, bevor er als Abgeordneter der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in die Nationalversammlung gewählt wurde. Als Redner der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin vertrat er heute den HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas, der aktuell in türkischer Haft sitzt. Eindringlich warnte Kürkcü vor einer faschistischen Diktatur vor den Toren Europas. Diese Entwicklung werde sich nicht auf die Türkei begrenzen, wenn es nicht gelinge, sie zu stoppen.

    Die Regierungspartei AKP und Präsident Recep Tayyip Erdogan seien dabei, das Parlament zu entmachten. »Gegen den Faschismus gibt es keine halben Siege«, sagte er mit Blick auf die Repressionswelle und den Krieg gegen die Bevölkerung in den kurdischen Gebieten nach Wahlerfolgen der HDP. Diese sei als Partei für Menschen aller Ethnien und Religionen gegründet worden. Erdogan dagegen akzeptiere nur eine »Bruderschaft der Muslime« als Lösung für die türkisch-kurdische Frage. Der NATO-Partnerstaat Türkei müsse international isoliert werden. Deutsche Linke rief er dazu auf, sich zu organisieren. Allein könne niemand etwas erreichen. Zum Schluss verlas Kürkcü ein Grußwort des inhaftierten Selahattin Demirtas, der sich für die Einladung zu der Konferenz bedankte und Rosa Luxemburg zitierte: »Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht. Setzen wir uns gemeinsam in Bewegung und sprengen wir unsere Fesseln.«

  • Grußbotschaft von Mumia Abu-Jamal: Auch in diesem Jahr erreichte die Besucher der Rosa-Luxemburg-Konferenz eine Botschaft des in den USA inhaftierten Aktivisten
    Der ehemalige Black Panther und langjährige jW-Kolumnist Mumia Abu-Jamal sitzt wegen angeblichen Mordes aseit 35 Jahren in Haft

    Mumia Abu-Jamal wurde in Philadelphia/USA, geboren. Er las leidenschaftlich gern, und mit knapp 15 wurde er kurz nach Gründung der Black-Panther-Party der Pressesprecher der Ortsgruppe Philadelphia. Mit Anfang 20 begann seine vielversprechende Karriere als Radiojournalist. Daneben fuhr er regelmäßig Taxi, um seine Familie zu unterstützen, wurde Vorsitzender des Verbandes Schwarzer Journalisten in der Stadt und 1980 von den Daily News zu einem der »zehn Leute, von denen wir noch hören werden« gekürt. Es konnte niemand ahnen, dass das in ganz anderer Form als erwartet der Fall sein würde.

    In der Nacht zum 9. Dezember 1981 kam es in der Stadtmitte von Philadelphia zu einer Schießerei. Der Polizeibeamte Daniel Faulkner starb dabei am Tatort, Mumia Abu-Jamal überlebte schwer verletzt. Der Täter floh. Abu-Jamal beteuerte seine Unschuld – dennoch wurde er zum Tode verurteilt und war 29 Jahre im Todestrakt. Im Dezember 2011 wurde das Urteil gegen ihn als verfassungswidrig aufgehoben und in »lebenslänglich« ohne Bewährung umgewandelt. Seither befindet sich Abu-Jamal im Regelvollzug im Gefängnis SCI Mahanoy in Pennsylvania. Anfang 2015 erkrankte der Gefangene schwer – erst ein körperbedeckender Ausschlag, dann ein diabetischer Schock, schließlich die Diagnose Hepatitis C. Die Gefängnisbehörde verweigerte ihm lange eine Behandlung mit den heute verfügbaren antiviralen Medikamenten – ebenso wie 10.000 anderen infizierten Gefangenen in Pennsylvania. Begründung: zu teuer. Dagegen hatte Abu-Jamal geklagt – mit Erfolg. Anfang Januar erließ Bundesbezirksrichter Robert Mariani im Klageverfahren Abu-Jamals gegen die Gefängnisbehörde von Pennsylvania eine einstweilige Verfügung. Dadurch werde die Behörde angewiesen, dem Gefangenen »innerhalb von 21 Tagen die unmittelbar wirkenden antiviralen Medikamente« gegen seine Hepatitis-C-Infektion verabreichen zu lassen.

    Abu-Jamal hat aus dem Gefängnis heraus mittlerweile acht Bücher und unzählige Kolumnen veröffentlicht, letztere werden seit 15 Jahren in deutscher Übersetzung in der jungen Welt abgedruckt.

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    Eine Konferenz in Bildern

    Live auf Sendung im WWW: Ein professionelles Team betreute den Livestream
    Aufmerksame Zuhörer
    Fidel presente!
    Der chilenische Singer/Songwriter Nicolás Miquea
    Lesefutter für Linke
    Den ganzen Tag über war der große Saal voll
    Ein Gespenst geht um in Berlin-Moabit...
    Klassiker, Nachdrucke, Neuerscheinungen: Die Rosa-Luxemburg-Konferenz ist Jahr für Jahr auch eine kleine Buchmesse
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    Chefredakteurin M&R: Susann Witt-Stahl

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    Susann Witt-Stahl arbeitet seit Abschluss ihres Studiums der Musikwissenschaften und Philosophie im Netzwerk freier Journalisten »Stahlpress-Medienbüro«, Ressorts Kultur und Politik, in Hamburg. Zu ihren Themenschwerpunkten gehören die politische Instrumentalisierung des Antisemitismus und der Schoah und antimuslimischer Rassismus. Sie hat zahlreiche ideologiekritische Artikel und Aufsätze über die Vermittlung des Krieges durch die Kulturindustrie, die Verdinglichung der Tiere und reaktionäre Strömungen in der deutschen Linken veröffentlicht. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Tierrechts-Aktion-Nord (TAN, seit 2011 »Assoziation Dämmerung«). Seit 2014 ist sie Chefradakteurin des kritischen Kulturmagazins Melodie und Rhythmus, das ebenfalls in der Verlag 8. Mai GmbH erscheint.

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    Auf dem Podium: Bernd Riexinger

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    Bernd Riexinger entstammt nach eigenen Angaben einem Arbeiterhaushalt. Als überzeugter Pazifist hat er den Wehrdienst verweigert. Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann arbeitete er bis 1980 in diesem Beruf. Riexinger ist Mitglied der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken und beteiligt sich an der Sozialforumsbewegung in Deutschland. Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart der Gewerkschaft ver.di war er Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der Partei Die Linke in Baden-Württemberg. Zuvor war er Mitglied des Interimslandesvorstands der Partei Die Linke in Baden-Württemberg und davor Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der Partei WASG in Baden-Württemberg.

    2003 gehörte Riexinger zu den Initiatoren von Protesten gegen die »Agenda 2010«.

    Am 2. Juni 2012 wurde er neben Katja Kipping zum Vorsitzenden der Partei Die Linke gewählt und 2014 bestätigt.

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    Auf dem Podium: Patrik Köbele

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    Patrik Köbele trat 1977 in die SDAJ ein und ein Jahr später in die DKP. Während seiner Schulzeit war er Schülersprecher. Anschließend war er während seiner Lehrausbildung in einem Großbetrieb Vorsitzender der Jugendvertretung und aktiv in der IG Metall. In den 1980er Jahren war Köbele verantwortlich für Arbeiterjugendpolitk beim Bundesvorstand der SDAJ. Nach der Spaltung der SDAJ war er von 1989 bis 1994 deren Bundesvorsitzender. Danach war er Bezirksvorsitzender der DKP in Ruhr-Westfalen. Heute ist Köbele Vorsitzender der DKP, Mitglied bei ver.di und als IT-Berater tätig.

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    Inhaftiert: Selahattin Demirtas

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    Selahattin Demirtas ist Kovorsitzender der türkischen Partei Halkların Demokratik Partisi (HDP) und Mitglied der Nationalversammlung. Seit dem 3. November 2016 sind er, die HDP-Kovorsitzende Figen Yüksedag und weitere HDP-Abgeordnete unter dem Vorwurf der »Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation« in Haft.

    Demirtas ist Rechtsanwalt und u. a. Mitglied von Amnesty International. 2007 und 2011 kandidierte er erfolgreich als offiziell unabhängiger Einzelkandidat bei den Parlamentswahlen, am 7. Juni 2015 und 1. November 2015 für die HDP. Er trat der Partei 2014 bei, wurde neben Figen Yüksedag zu deren Kovorsitzendem gewählt und als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen aufgestellt. Er erreichte mit 9,77 Prozent den dritten Platz, was die FAZ als »Durchbruch« in der öffentlichen Wahrnehmung wertete. Der Guardian nannte ihn »kurdischen Obama«. Zwei Tage, nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan juristische Schritte gegen HDP-Abgeordnete angekündigt hatte, wurde gegen Demirtaş am 30. Juli 2015 ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Der Vorwurf lautete: Anstachelung bewaffneter Proteste. Am 23. November 2015 teilte die HDP mit, dass auf Demirtas’ gepanzertes Fahrzeug geschossen wurde. Im Mai 2016 wurde auf Betreiben von Erdoğan die Immunität zahlreicher HDP-Abgeordneter, darunter auch die von Demirtaş, aufgehoben. Die Parlamentarier der HDP hatten bereits im Juni für den Fall ihrer Festnahme eine gemeinsame Verteidigungsrede verfasst und veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: »Das einzige Hindernis auf dem Weg zum Ziel, also der Errichtung eines diktatorischen Regimes, das als Präsidialsystem deklariert wird, ist die Demokratische Partei der Völker (HDP)«.

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    Auf dem Podium: Ellen Brombacher

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    Ellen Brombacher wurde in Westerholt im Ruhrgebiet geboren. Ihre Eltern waren aktive Antifaschisten und Kommunisten. Die Mutter verlor als Jüdin fast die gesamte Familie. Infolge des Verbotes der KPD in der BRD 1956 siedelte die Familie 1959 in die DDR über. Nach ihrem Abitur 1965 studierte Ellen Brombacher bis 1966 an der Komsomolhochschule in Moskau. Nach ihrer Rückkehr begann sie ein Studium in Russistik, welches sie 1970 als Diplomrusstistin abschloss. Brombacher war bis 1984 hauptamtlich in der FDJ tätig, davon zehn Jahre Berliner FDJ-Vorsitzende. In der SED-Bezirksleitung Berlin war sie bis 1990 für den Bereich Kultur zuständig. Brombacher war Teilnehmerin am Arbeitssauschuss zur Vorbereitung des Sonderparteitages im Dezember 1990 und Parteitagsteilnehmerin. Ab März 1990 bis Dezember 1991 war sie Küchenhilfskraft in einer Kinderkombination. Hier wurde sie durch das Bezirksamt Berlin-Mitte wegen ihrer politischen Rolle in der DDR entlassen. Es folgte eine Umschulung zur Arzthelferin. Anschließend war sie bis 2014 vorwiegend in der Sozialarbeit tätig, vor allem mit russischsprechenden Klienten. Brombacher ist Mitglied des Berliner Flüchtlingsrates sowie der Partei Die Linke und Delegierte des Bezirkes Berlin-Mitte zum Bundes- und Landesparteitag. Sie ist Bundessprecherin der Kommunistischen Plattform in der Partei die Linke.

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    Auf dem Podium: Aitak Barani

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    Aitak Barani lebte bis 1982 im Iran. Als Kind hat sie die Volksrevolution und die Vertreibung der Monarchie 1979 aus dem Land miterlebt. Ihr Vater, der, als Mitglied einer antimonarchistischen Stadtguerilla-Gruppe zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt, im Gefängnis saß, kam im Zuge der Revolution frei. Der dann einsetzende Kampf zwischen den verschiedenen Fraktionen und der beginnende Iran-Irak-Krieg trübten jedoch ihre ersten Revolutionserfahrungen.

    Die Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, änderte ihr ganzes Leben. Ihr politisches Leben in der BRD begann Ende der 1980er Jahre in antifaschistisch-anarchistischen Kreisen. Sie selbst sagt, dass sie erst dadurch von einer Art zweiten Heimat Deutschland sprechen konnte. Der aggressive Kriegskurs des Westens in den 1990er Jahren, die zunehmende Faschisierung, dann spätestens der durch »Rot-Grün« einsetzende Angriff auf die sozialen und ökonomischen Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung hätten ihr jedoch die Grenzen linker Feuerwehrpolitik und Kampagnenarbeit gezeigt. Diese Erfahrungen durchzogen ihre Unizeit in Frankfurt am Main. Dort studierte sie Gesellschaftswissenschaften und Philosophie. Statt eine akademische Laufbahn einzuschlagen, wurde sie politische Aktivistin.

    2006 zählte sie zu den Mitbegründerinnen und Mitbegründern des Vereins Zusammen e. V. – in der festen Überzeugung, so ihre Selbstauskunft, dass es hier und heute in der BRD möglich sein muss, sich jenseits vom linken Szenesumpf und politisch kompromisslerischen Strukturen mit Nachbarn und Kollegen klassenbewusst zu organisieren. Das bedeutet für sie vor allem, unabhängige und eigenständige Strukturen aufzubauen. Zusammen e. V. setzt auf praktische Solidarität, gegenseitige Hilfe und Klassenbewusstsein und bezieht sich ganz klar und bewusst auf die Erfahrungen der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung.

    Seit 2012 ist Aitak Barani Mitglied der DKP.