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»Zeitenwende« erreicht Apotheken

Mehr Geld gibt es nicht: Lauterbach kürzt mit »Reform« bei Arzneimittelversorgung

Der Marketing-Verein Deutscher Apotheker (MVDA) sieht eine »sozialistisch-kommunistische Agenda des Zerstörens und Neuschaffens« am Werk, der Präsident der saarländischen Apothekerkammer, Manfred Saar, spricht von einem Griff in die »sozialistische Mottenkiste« – es geht um das »Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform« (ApoRG) von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Seit im vergangenen September die »Eckpunkte« der »Reform« bekanntwurden, läuft der Berufsstand Sturm. Die Kalte-Kriegs-Rhetorik zeugt dabei von der Ratlosigkeit in Teilen der mittelständischen Apothekerschaft gegenüber den Plänen des Sozialdemokraten Lauterbach, der die »Zeitenwende« im Gesundheitssystem zu organisieren hat.

Der Vorwurf der Apotheker an ihn lautet: Das Gesetz »bedroht die Arzneimittelversorgung«. Das sagte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Regina Overwiening, Mitte Juni. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte zuvor erstmals über den Referentenentwurf des ApoRG berichtet.

Die ABDA will das Gesetz nun im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens noch verhindern. Neben der Weigerung Lauterbachs, finanzielle Hilfen gegen das Apothekensterben in Aussicht zu stellen, stört sie vor allem ein Punkt: Der Minister will es unter bestimmten Umständen möglich machen, dass in Apotheken keine Apothekerin oder kein Apotheker anwesend sein muss. Dann würde eine pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA) übernehmen. Bislang galt eine Präsenzpflicht. Fällt diese weg, wären beispielsweise Impfungen oder individuell hergestellte Rezepturen in diesen Apotheken nicht möglich – Overwiening sagte, dass so unter der Hand Leistungen für die Versicherten gekürzt werden.

Die Gewerkschaft für Angestellte und Auszubildende in Apotheken, Adexa, spricht in diesem Zusammenhang in einer Pressemitteilung Mitte Juni von »Zwei-Klassen-Apotheken«. Bundesvorstand Andreas May befürchtet, dass PTA als »billige ›Ersatz-Filialapothekenleitungen‹ verheizt werden«. Lauterbachs Pläne seien insgesamt ein »Schlag ins Gesicht der Apothekenangestellten«. Die Apotheken vor Ort würden am ausgestreckten Arm von Minister und Krankenkassen »verdursten«.

Wenn die Apotheken vor Ort geschwächt werden, profitieren die Arzneimittelversandkonzerne. Wie das Branchenmedium Deutsche Apothekerzeitung berichtete, warnte die ABDA-Präsidentin Mitte Juni in einem Rundbrief an die regionalen Apothekerverbände und -kammern, dass die Arzneimittelversorgung »dem Großkapital zur Übernahme ausgeliefert« wird.

Der Bundesgesundheitsminister hingegen scheint davon auszugehen, mit seinem Gesetz die Versorgung in der Fläche sichern zu können. Er will mit der neuen Regelung dem Umstand Rechnung tragen, dass die Zahl der Apotheken in den vergangenen Jahren drastisch gesunken ist. Darüber hinaus herrscht erheblicher Fachkräftemangel – bei Apothekern wie auch PTA. Mit seiner »Reform« soll es billiger werden, eine Apotheke zu führen oder zu gründen.

Denn eines will Lauterbach nicht: mehr Geld ausgeben. Apotheken machen den Großteil ihres Umsatzes mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Pro Packung erhalten sie von den Kassen 8,35 Euro (fester Anteil) plus drei Prozent (variabler Anteil) des Apothekeneinkaufspreises. Dieses Honorar wurde seit mehr als zehn Jahren nicht erhöht. Dabei sehen sich auch die Apotheken mit Inflation und Kostensteigerungen konfrontiert. Im Gegensatz zu einem normalen Betrieb dürfen sie aber die Preise nicht erhöhen.

Lauterbachs Kniff: Es soll in Zukunft ein wenig mehr beim festgelegten Betrag geben und weniger beim prozentualen. Damit soll von reichen Apotheken zu ärmeren »umverteilt« werden – die Rechnung steht auf sehr wackligen Beinen, May spricht von »Verschiebebahnhof«, laut ABDA wird damit keine einzige Apotheke gerettet.

Eine Erhöhung der Honorare würde Mehrausgaben für die Krankenkassen bedeuten, das will Lauterbach nicht. Denn entweder müssten die Kassen die Beiträge noch stärker anheben als ohnehin zu erwarten, oder der Bund müsste mehr zuschießen – gegenwärtig braucht Berlin das Geld bekanntlich an anderer Stelle.

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