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Betr.: Artikel EM-Depesche (14) – Kramer und Kramer

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EM-Depesche (14) – Kramer und Kramer

Die Bundesregierung ließ mitteilen, man hoffe darauf, dass sich Nationalspieler Joshua Kimmich doch noch impfen lasse.

»Heute-Journal«

Freund Andreas Maier sagte am Telefon, Christoph Kramer habe die bedeutendste Äußerung der Fußballgeschichte getätigt, auf dem Platz, im Endspiel 2014 in Rio. Nach einem barbarischen Bodycheck eines Gauchos und einigen Minuten der hirnlichen Absenz sei er zum Referee gewankt und habe ihn um Auskunft gebeten: »Ich muss wissen, ob das« – je nach Überlieferung – »wirklich/hier das Finale ist.«

Das zeugte von einer nach wie vor halbwegs intakten Welt- und Selbstwahrnehmung, über die unser hochästimierter, durch den hüttlernahen Urgroßvater familiengeschichtlich imprägnierter Chinesen- und Russenfresser Robbi Hawatüüt längst nicht mehr verfügt, weshalb er jüngst auf einem kreuzklugen Wirtschaftsforum herumstumpfte, die deutsche Ökonomie sei wie die »Rückennummer 10, Toni Groß, hängende Spitze«.

Chapeau. Drei Fehler in einer knappen Bemerkung. Baerböckli muss nachsitzen.

Christoph Kramer ist »eine etwas ambivalente Person« (Gerhard Polt: »Der Cineast«). Ununterbrochen findet er, uns molestierend, dieses und jenes »so geil« und »so krass«, das latscht uns auf die Eier. Und im nächsten Augenblick spinnt der charmante Haudrauf schieres Gold. Die ewigkeitliche Frage nach dem Glück im Spiel (und im Leben) entknotet er aus dem Stegreif wie folgt: »Das ist der seidene Faden, warum wir es immer erklären wollen und nicht erklären können.«

Und weitere glänzende Momente spendiert Christoph Kramer uns selbst dann, wenn wir ihn nicht gewahren. Katrin Müller-Hohenstein plauderte aus, dass er während der Übertragungen aus den Stadien gern »ein Nickerchen« mache (vorbildlich!), und kürzlich schrubbte er die ach so guten und empathischen, gleichwohl grundbösen, hetzerischen Haltungspauker »in Fußballmediendeutschland« ab: »Ich finde es ganz furchtbar, weil es kein Journalismus mehr ist.«

Seit zwanzig Jahren schreibe ich das hie und da hin, ohne dass sich was änderte, und plötzlich finde ich Bestätigung aus berufenem Munde. Kramer: »Man überlegt sich hundertmal, was man noch sagt, weil die Medien daraus immer ein Riesending machen. Das verhindert Typen. Dann können wir uns aber nicht hinstellen und sagen: Wir wollen aber Typen – wenn wir immer alles ausschlachten und hundertmal rumdrehen.«

Den entscheidenden, repetitiv amplifizierenden Nachsatz ließ die dpa unter den Schneidetisch fallen: »Genau wegen dieses Journalismus haben wir keine Typen mehr.« Exakt. Der nämlich Kehricht ist, angehäuft von einem sabbernden, feigen Gesindel, das die eigene Sprache nicht beherrscht. Hauptsache, der Deutsche marschiert, und er marschiert.

Die exzellente ZDF-Dokumentation »Joshua Kimmich – Anführer und Antreiber«, ein über neun Jahre hinweg entstandenes, sensibles, im taktvollen Sinne intimes Porträt, das auch Kimmichs sympathische, ehrlich wirkende Frau gebührend würdigt, zeigt das eindringlich. Da wäre nicht bloß Matthias Sammer – dem ich das nicht zugetraut hätte –, der über den Ehrgeizling, der »ein bescheidener Junge aus einem bodenständigen Elternhaus« sei, sagt: »Wir befinden uns in unserem Land auf einem Niveaupegel, wo ich völliges Verständnis habe, dass Joshua nicht verstanden wird. Am liebsten würd’ ich ihm zurufen: ›Im Moment ist das System zu schlecht, die Guten zu erkennen. Sie erkennen dich nicht!‹«

Da wäre insbesondere eine längere Passage zur Causa Coronaimpfung/Kimmich, für die ich dem Regisseur Jan Mendelin von Herzen danken möchte. Spät wird das Thema berührt, aber es wird berührt, sorgsam, und wem angesichts dieses Verbrechens nicht mulmig zumute ist, der sattelt dito die Pferde zum Sturm auf Moskau.

Wir rufen uns ins Gedächtnis, was der protofaschistische, perverse Medienmob veranstaltet hat, um einen nachdenklichen, kinderlieben, fürsorglichen Mann, der der Injektion nicht vertraute, unter Feuer zu nehmen, zur Sau zu machen, plattzuwalzen, hinzurichten. Es war eine Jagd, an der sich alle beteiligten, vom Fernsehen bis zu den Zeitungen: »Impfdebatte um Joshua Kimmich« (ZDF), »Bayern-Star lehnt Spritze ab – und ganz Deutschland hat eine Meinung dazu« (Bild), »Privatsache? Nicht bei Joshua Kimmich!« (Welt), »Die Argumentation von Joshua Kimmich als Verlust des Denkens« (FAZ; widerlicher geht’s nimmer).

Und nicht zu vergessen: die Korrupteuse A.-Magda Buchsbaum, die als Reichsethikministerin in ihrem Machtrausch keifte, man müsse »die Leute da abholen, wo sie sind«, und im Interview mit Welt-TV krähte: »Ob er will oder nicht, da steht er in einer besonderen Verantwortung. (…) Es gibt eine moralische Pflicht für uns alle, uns impfen zu lassen.« Und »wenn er solchen Falschinformationen aufsitzt und irgendwie denkt, da könnten noch irgendwelche Langzeitfolgen oder so was entstehen«, gehöre er irgendwie praktisch an die Wand gestellt oder wenigstens weggesperrt – oder so.

»Da hab’ ich dann gemerkt, wie der Verein reagiert hat«, erzählt Kimmich, er habe »sich alleingelassen gefühlt«, es habe ihn »getroffen«, und »das Vertrauensgefühl« sei »natürlich kaputtgegangen«. Man erinnere sich nur an das Gebelle von Uli Hoeneß und das Gegeifer des Scheinlinken Paul Breitner, der stets eine Mogelpackung war.

»Es hat ihn fertiggemacht«, wirft ­Joshua Kimmichs Frau ein. »Dass dann die Presse bei meinen Eltern klingelt, dass sie so weit gehen, dass sie selbst zur Beerdigung von meinem Opa erscheinen (…), das hat jegliche Grenzen überschritten«, und es hinterließ schwere Verletzungen. Und anschließend bricht Kimmich in Tränen aus: »Derjenige, der für die Ungeimpften steht, das ist Joshua Kimmich. Also ist er auch für die Pandemie verantwortlich. Das war echt ’ne brutale Zeit.« Er habe Freunde verloren. »Ein Kumpel sagt mir, dass weniger Menschen gestorben wären, wenn ich mich hätte impfen lassen. Und das ist brutal. Und wenn du da keine Familie hast, kannst du zerbrechen.«

Schämen soll sich das Journalistendreckspack. Schämen. Und die Fresse halten.

Christoph Kramer hat sich im »Sportstudio live« für Kimmich in die Bresche geworfen. Mit Freuden tät’ ich ihn ins Frankfurter Lokal »Henscheid« einladen. Es würde gewiss ein krass geiler Abend, und der Wirt trägt den Namen: Kramer. Sowieso. Genau.

Ginge das in Ordnung, Christoph Kramer?

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