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Form und Gefühl

Vor 300 Jahren wurde der Lyriker Friedrich Gottlieb Klopstock geboren. Er lehrte das Publikum Empfindsamkeit jenseits der Religion

Am Dienstag, den 21. September 1745, wurden in der sächsischen Landesschule Pforta die Schüler verabschiedet, die zum Wintersemester die Universität beziehen sollten. Die Abschiedsrede hielt einer der besten Absolventen seines Jahrgangs, selbstverständlich in lateinischer Sprache. Der Name des Schülers war Friedrich Gottlieb Klopstock. Der Inhalt seiner Rede war eine rhetorisch ausgefeilte Erörterung der Kunst des Epos. Der Redner zählte sie auf, die großen Epen der Weltliteratur: von Homers »Ilias« sowie »Odyssee« und Vergils »Aeneis« über die frühneuzeitlichen Beispiele etwa von Tasso und Milton bis hin zu zeitgenössischen Texten von Voltaire oder Richard Glover, dessen »Leonidas« keine acht Jahre zuvor in London erschienen war. Nur die Deutschen hätten noch keine Epopöe, die Klopstock als »höchste Gattung der Dichtkunst« einschätzte. »Wofern aber unter den jetzt lebenden Dichtern vielleicht der noch nicht gefunden wurde, der bestimmt ist, sein Deutschland mit diesem Ruhme zu schmücken, o so werde geboren, großer Tag, der diesen Sänger hervorbringen, und den, o Sonne, eile schneller herbei, die ihn zuerst erblicken und mit freundlichem Antlitz bestrahlen soll. Ihn mögen Tugend und mit der himmlischen Ruhe die Weisheit in zarten Armen wiegen! Vor seinen Augen eröffne sich das ganze Gebiet der Natur und die andern unzugängliche Größe der anbetungswürdigen Religion!« (Übersetzung aus Richard Hamels Ausgabe von 1885.)

Literarischer Ehrgeiz

Kaum einer der damals Zuhörenden wird geahnt haben, dass es der Ehrgeiz des 21jährigen Redners war, genau dieser Dichter zu werden. Woher dieser Ehrgeiz stammte, ist nicht klar. In die Wiege gelegt wurde der Wunsch Klopstock nicht. Geboren wurde er am Sonntag, den 2. Juli 1724, mittags um 12 Uhr, als Sohn eines Quedlinburger Verwaltungsjuristen mit pietistischer Neigung, der schon bald, Mitte der 1730er Jahre, in der Nähe von Eisleben ein Landgut pachtete, um damit reich zu werden, was aber gründlich misslang. Nach nur zwei Jahren war der Vater bankrott; die Familie ging zurück nach Quedlinburg, wo sie dann in dürftigen Verhältnissen lebte. Den Wechsel vom freien Landleben mit Privatunterricht in das städtische Gymnasium empfand der junge Klopstock schmerzlich und er »gab auch nicht viel aufs Lernen«, wie er später bekannte.

Dies dauerte bis 1739, als der Vater einen Freiplatz für seinen Sohn in der altehrwürdigen »Schola Portensis« ergatterte. Hier entwickelte der 15jährige Knabe seinen unbändigen literarischen Ehrgeiz. Er fasste den Plan, ein Epos von hohem nationalliterarischem Rang zu verfassen.

Das Thema fand er nicht im deutschen Sprachraum oder in der Geschichte einer der rund 300 kleinen und kleinsten »Herrschafften, welche einander nicht zu befehlen hatten« (Christian Wernicke, 1685), sondern in der Bibel. Vorbild war ihm das Epos John Miltons über den Sündenfall, »Paradise Lost« (1667), das der Schweizer Johann Jakob Bodmer 1732 im deutschen Sprachraum durch immer wieder verbesserte Übersetzung bekannt gemacht hatte. Klopstock wollte Milton noch überbieten: Nicht der Sündenfall, sondern die Erlösung sollte das Thema sein; nicht in Blankversen sollte das Epos geschrieben sein, sondern in Hexametern wie die antiken Muster von Homer und Vergil.

Ab 1745 studierte Klopstock Theologie – seinerzeit das Fach der Wahl intellektuell begabter Studenten aus ärmlichen Verhältnissen, weil es die größte Chance auf ein gesichertes Einkommen bot –, zunächst in Jena; und dann in Leipzig, wo er in einer Wohngemeinschaft mit dem gut situierten Vetter Johann Christoph Schmidt aus Langensalza lebte. Die Theologie schien Klopstock freilich von Anfang an vernachlässigt zu haben; statt dessen studierte er Philosophie und Poesie. In Leipzig lehrten mit Johann Christoph Gottsched und Christian Fürchtegott Gellert zwei der prominentesten Vertreter der deutschen Literatur der Aufklärung. Besonders Gottsched befehdete sich mit den Vertretern der Zürcher Aufklärung, Johann Jakob Breitinger und dem schon erwähnten Bodmer, die der rationalistischen Haltung des Leipziger Professors eine auch das »Wunderbare« als literarischen Gegenstand akzeptierende, weniger regulierte Einbildungskraft als wichtigste Eigenschaft der Poeten entgegenhielten.

Einige Schüler Gottscheds gründeten eine als Bremer Beiträge bekannt gewordene Zeitschrift, in der – ohne mit dem Lehrer direkt zu brechen – auch Texte erschienen, die sich an Überzeugungen der Schweizer orientierten. Klopstock trat über Schmidt in Kontakt mit dieser Gruppe; der Vetter war es auch, der den Herausgebern der Zeitschrift verraten hatte, dass Klopstock an einem Epos arbeitete, das Passion, Hinrichtung, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu zum Thema habe. 1748 erschienen dann in zwei Heften die ersten drei Gesänge des »Messias«.

»Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung, / Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet, / Und durch die er Adams Geschlechte die Liebe der Gottheit / Mit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geschenkt hat. / Also geschah des Ewigen Wille.«

Der Einstieg ist kühn: keine klassische Anrufung der Musen oder einer göttlichen Gestalt, sondern die Beschwörung der eigenen Seele, die ihm die Geschichte des Messias offenbaren soll. Ist das Anmaßung?

»Aber, o Werk, das nur Gott allgegenwärtig erkennet, / Darf sich die Dichtkunst auch wohl aus dunkler Ferne dir nähern? / Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich im stillen hier bete; / Führe sie mir, als deine Nachahmerin, voller Entzückung, / Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit, entgegen. / Rüste sie mit jener tiefsinnigen einsamen Weisheit, / mit der du, forschender Geist, die Tiefen Gottes durchschauest; / Also werd ich durch sie Licht und Offenbarungen sehen, / Und die Erlösung des grossen Messias würdig besingen.«

Dieses Selbstbewusstsein und immense Vertrauen in die visionäre Gewalt der »Dichtkunst«, besser gesagt wohl: in die eigene Leistungsfähigkeit als Dichter, schien Klopstock selbst später dann doch übertrieben. Ein halbes Jahrhundert feilte er am »Messias«, und in der Fassung letzter Hand von 1799 steht nichts mehr von »unsterblicher Kraft«, »Offenbarungen sehen« und »würdig besingen«, sondern es ist die Rede von »bebender Stimme / Eines Sterblichen« und der bescheidenen Bitte: »Rein sei das Herz!«

Hexameter statt Jamben

1748/49 ist der Anfang des später auf zwanzig Gesänge angeschwollenen Epos eine Sensation. Dergleichen hatte noch niemand gehört. Besonders das »Sylbenmaaß des Messias« galt »noch vielen« als »anstössig«, wie Klopstock selbst in einem Brief an Bodmer (21. September 1748) vermutete. »Hexameter« statt »deutsche Jamben«? Ja bitte! Bodmer war begeistert: »Miltons Geist ruht auf dem Verfasser« (an Johann Elias Schlegel, 2. September 1747); es »bleibt Klopstok mein Held; er ist unter den Poeten, was der Messias unter den Menschen« (an Johann Georg Sulzer, 29. März 1749).

Sulzer bat Bodmer, sich Klopstocks anzunehmen. Dieser lebte seit 1748 als Hauslehrer des Kaufmanns Johann Christian Weiß in Langensalza und machte seiner Kusine Maria Sophia Schmidt (die »Fanny« seiner frühen Oden), den Hof – allerdings vergeblich; die Familie hatte Vorbehalte gegen den armen Hofmeister. Nicht nur deshalb sondierte Klopstock die Möglichkeit eines Stipendiums oder eines anderen einträglichen Amtes. Er wollte unbeschwert von bürgerlicher Erwerbsarbeit sein Epos vollenden. Bodmer war einverstanden und lud Klopstock in sein Haus ein, damit dieser dort am »Messias« weiterarbeite.

Im Juli 1750 traf Klopstock in Zürich ein. »Oft erfüllet« Gott, »was das erzitternde / Volle Herz kaum zu wünschen wagt«, schrieb er in der »Ode an Herrn Bodmer«, erschienen im August 1750. »Wie von Träumen erwacht, sehn wir dann unser Glück / Sehns mit Augen, und glaubens kaum. / Dieses Glücke ward mir, als ich das erstemal / Bodmers Armen entgegen kam.«

In demselben Druck steht noch eine zweite Ode »Von der Fahrt auf der Zürcher=See«, eines der berühmtesten Gedichte Klopstocks, das so anhebt: »Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, / Auf die Fluren verstreut; schöner ein froh Gesicht, / Das den grossen Gedanken / Deiner Schöpfung noch einmal denkt.«

In diesen Versen sei schon das ganze Programm der Lyrik Klopstocks enthalten, meinte der Weimarer Germanist Karl-Heinz Hahn: Es ging darum, Empfindungen und Gedanken, Enthusiasmus und Reflexion des eigenen Ichs mitzuteilen und Teilhabe zu wecken; und dies in einer Sprache, die weit entfernt war von der Prosa des Alltags, der Moralität der Aufklärung und den Klischees traditioneller Gelegenheitsdichtung.

Mit Klopstock kamen Pathos und eine vollständig individualisierte Emotionalität in die deutschsprachige Lyrik, die bis dahin unerhört war. Und abermals mittels Adaption einer antiken Form, in diesem Fall der sogenannten vierten asklepiadeischen Strophe. Tatsächlich war Klopstock der entscheidende Vermittler antiker Formen für die deutschsprachige Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts.

Vorderhand begeisterte Klopstock aber mit seinen Oden vor allem thematisch. Feierte der »Messias« die in der Pfortaer Rede erwähnte »Religion«, so die Ode über die Bootsfahrt auf dem Zürichsee die ebenfalls erwähnte »Natur«. Darüber hinaus feiert die Ode aber auch die Geselligkeit und Freundschaft zwischen gleichgesinnten jungen Frauen und Männern.

Kein strenger Jüngling

»Und der Jünglinge Herz schlug schon empfindender / Schon verrieth es beredter / Sich der schönen Begleiterin. // Hallers Doris sang uns, selber des Liedes werth, / Hirzels Daphne, den Kleist zärtlich, wie Gleimen, liebt; / Und wir Jünglinge sangen / und empfanden, wie Hagedorn. (…) Da, da kamst du, o Freude! / Ganz in vollem Maß über uns. // Göttinn Freude! Du selbst! Dich, empfanden wir! (…) // Süß ist, frölicher Lenz, deiner Begeistrung Hauch, (…) // Durch dich wird das Gefühl jauchzender (…) / Durch dich reden die Lippen / Der verstummenden Liebe laut! // Lieblich winket der Wein (…) // Wenn er dringt bis ans Herz (…) // Reizend klinget des Ruhms lockender Silberton (…)! // Aber süsser ists noch, schöner, und reizender, / In dem Arme des Freunds, wissen ein Freund zu seyn! / So das Leben geniessen, / Nicht unwürdig der Ewigkeit!«

Es ist nicht nötig, alle Anspielungen entschlüsseln zu können (was hat es mit Hallers Doris, Hirzels Dahne, Kleist, Gleim und Hagedorn auf sich?), um zu verstehen, dass es um Freude am Leben, um (auch körperliche) Liebe und um das größte von allem: die Freundschaft geht. Außerdem geht es noch um Weingenuss und Dichterruhm.

Das war für Bodmer jedenfalls zu viel. Er hätte »an dem Dichter des ›Messias‹ einen heiligen strengen Jüngling erwartet«, keinen Tunichtgut, der herumstreunt und nicht ernsthaft am frommen Epos arbeitet. Bruch.

Klopstock zog bei Bodmer aus und in die Wohnung des unverheirateten Kaufmanns und Textildesigners Hartmann Rahn, was den Zürcher Klatsch anheizte. Da Klopstock seit August 1750 aber auch wusste, dass der dänische König Friedrich V. ihm eine Pension zur Beendigung des »Messias« gewähren würde, zogen Rahn und er im Februar 1751 Richtung Dänemark. Ihre Beziehung wurde durch die Verheiratung Rahns mit Klopstocks Schwester Johanna Victoria zementiert.

Während der Umsiedlung traf Klopstock im April 1751 in Hamburg Margareta Moller, genannt Meta (in den Gedichten »Cidli«), die große Liebe seines Lebens. Wieder gab es Vorbehalte seitens der Brautfamilie wegen der angeblich unsicheren materiellen Versorgung des Dichters, doch diesmal konnten sie die seit 1752 Verlobten überwinden. 1754 heiratete Klopstock sein weibliches Alter ego: »Wenn Du ein Junge wärst, so würdest Du ich seyn; und wenn ich ein Mädchen wäre, so würde ich Du seyn.« Am 28. November 1758 starb Meta bei einer Totgeburt.

In seiner Dichtung führte Klopstock nunmehr die Themen »Natur« und »Religion« eng. Berühmtestes Beispiel ist »Das Landleben« (später: »Die Frühlingsfeier«) aus dem Jahr 1759. »Du, meine Harfe, / Preise den Herrn! // Umwunden, wieder von Palmen umwunden / Ist meine Harfe! / Ich singe dem Herrn! // Hier steh ich. / Rund um mich ist Alles Allmacht! / Ist alles Wunder!« Zum Beispiel das »Frühlingswürmchen« in einem Wassertropfen: »Ob das goldne Würmchen / Eine Seele« hat? Das angsteinflößende Gewitter zieht übers Land. »Zürnest du, Herr, weil Nacht dein Gewand ist? / Diese Nacht ist Segen der Erde! / Du zürnest nicht, Vater! / Sie kömmt, Erfrischung auszuschütten / Ueber den stärkenden Halm! / Ueber die herzerfreuende Traube! Vater! Du zürnest nicht! // Alles ist stille vor dir, du Naher! / Ringsum ist Alles stille! / Auch das goldne Würmchen merkt auf! (…) // Seht ihr den neuen Zeugen des Nahen, / Seht ihr den fliegenden Blitz? / Hört ihr, hoch in den Wolken, den Donner des Herrn? / Er ruft Jehovah! / Jehovah! / Jehovah! (…) // Ach schon rauschet, schon rauschet / Himmel und Erde vom gnädigen Regen! / Nun ist, wie dürstete sie! die Erde erquickt, / Und der Himmel der Fülle des Seegens entladen! // (…) Im stillen, sanften Säuseln / Kömmt Jehovah! / Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens.«

Vermittler des Gefühls

Dieser hymnische Ton war neu in der deutschsprachigen Literatur. Gut christlich und zugleich unorthodox umfasste die Hochstimmung das Kleinste und Größte; das Würmchen, den Nächsten und den Höchsten. Die eigene Bewegtheit überträgt sich auf die Lesenden. Klopstocks Lyrik nimmt das Publikum mit; sie wird zur geteilten Erfahrung intensiven Gefühls.

»Wir traten an’s Fenster, es donnerte abseitwärts und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erquickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand auf ihrem Ellenbogen gestüzt und ihr Blik durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge thränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte – Klopstock! Ich versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Loosung über mich ausgoß. Ich ertrugs nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollesten Thränen.«

Mehr Nähe und Liebe gab es zwischen Lotte und Werther zu keinem Zeitpunkt. Den absoluten Einklang der Herzen auszudrücken reichte 1774 die bloße Nennung des Namens dessen, der die Deutschen eine neuartige lyrische Sprache der Emotion gelehrt hatte. (Später war sich Goethe nicht mehr so sicher, ob der Name allein ausreiche und ergänzte: »Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag«.)

Klopstock war Mitte der 1770er Jahre auf dem Höhepunkt seines Ruhms. 1771 waren drei Sammlungen der verstreut publizierten oder in Abschriften kursierenden Oden des Dichters erschienen; die ersten beiden ohne sein Zutun. Die damalige Jugend vergötterte den Dichter, sein 50. Geburtstag wurde mit und ohne ihn rauschend gefeiert.

Johann Heinrich Merck beschloss 1772 die Rezension einer der Odenausgaben: »Wir überlassen es unsern Lesern zur Überlegung, ob nicht eine Zeit bei der Nachwelt möglich ist, daß das Rad der Dinge da stehenbleibt, wo es heißt: Klopstock, der größte lyrische Dichter der Neuern, schrieb auch den Messias.« Das war hellsichtig. Verstand sich Klopstock selbst vor allem als Dichter des »Messias«, der auch in den Oden die Emotion an eine mystische Erfahrung Gottes binden wollte, so las schon die Mit-, erst recht die Nachwelt Klopstocks Lyrik vor allem als »subjektive Gefühlspoesie« (Joseph von Eichendorff, 1857) jenseits religiöser Verankerung.

Klopstocks Leben in Dänemark war verknüpft mit dem Schicksal seines Gönners, des Grafen von Bernstorff, der ihm als leitender Minister die Pension des Königs verschafft hatte. Durch ihn hatte Klopstock auch ein Interesse an der politischen Sphäre gewonnen. Kunst und Literatur galten ihm als wichtige Faktoren des sozialen Lebens. Er verstand das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Dichter als ein gegenseitiges: Seitens der Gesellschaft erhoffte er sich materielle Absicherung, seitens des Dichters spürte er Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit.

Klopstocks Idee der Gründung einer deutschen Akademie für Dichtung, die er in den 1760er Jahren verfocht, war indes kein Erfolg beschieden. Seine vor 250 Jahren erschienene Schrift »Die deutsche Gelehrtenrepublik«, mit der er in allegorischem Gewand diese Idee nach Ablehnung durch die kaiserliche Hofbürokratie in Wien weiter propagierte, stieß auf Unverständnis. Bis heute blieb dieses skurrile, ironische und esoterische Prosawerk weitgehend unbeachtet. Wie übrigens auch Klopstocks Ausflüge in die Dramatik: Jeweils das erste seiner biblischen (»Der Tod Adams«, 1757; »Salomo«, 1764; »David«, 1772) und nationalen (»Hermanns Schlacht«, 1769; »Hermann und die Fürsten«, 1784; »Hermanns Tod«, 1787) Dramen erfuhr noch ein wenig Aufmerksamkeit, die anderen wurden und werden weitgehend ignoriert.

»Aller Gesetze schönstes«

Das gilt nicht für die politischen Oden, die der Zeitgenosse Klopstock publizierte. Schon im »Messias« war eine antiabsolutistische Tendenz zu beobachten gewesen. Die Trauer der Jünger über den Tod Jesu gilt nicht zuletzt dem Verlust dessen, dem eine Revolution irdischer Verhältnisse zuzutrauen war. Im 18. Gesang werden die Tyrannen, die ihre Pflicht, als Wohltäter des Menschengeschlechts zu wirken, versäumten (»Ihr habt unsterbliche Seelen / Durch geheimes Würgen vertilgt!«), beim Jüngsten Gericht am härtesten bestraft. Als 1788 in Frankreich die »États généraux«, die Generalstände, einberufen wurde, jubelte Klopstock: »Gallien krönet sich / Mit einem Bürgerkranze, wie keiner war! / Der glänzet heller, und verdient es! / Schöner, als Lorbeer, die Blut entschimmert.«

Den »Lorbeerkranz (…) der Eroberer« sah Klopstock schon in seiner allerersten Ode aus dem Frühjahr 1747 (stark überarbeiteter Erstdruck 1771) zu Recht »dem Fluche des Volks« ausgesetzt. Nun feierte er die Revolution: »Frankreich schuf sich frey. Des Jahrhunderts edelste That hub / Da sich zu dem Olympus empor! / Bist du so eng begränzt, dass du sie verkennest, umschwebet / Diese Dämmerung dir noch den Blick, / Diese Nacht: so durchwandre die Weltannalen, und finde / Etwas darin, das ihr ferne nur gleicht, / Wenn du kanst. O Schicksal! das sind sie also, das sind sie / Unsere Brüder die Franken; und wir? / Ach ich frag’ umsonst; ihr verstummet, Deutsche! Was zeiget / Euer Schweigen? bejahrter Geduld / Müden Kummer? oder verkündet es nahe Verwandlung?«

Als Zeichen des Anbruchs eines neuen Zeitalters erschien ihm vor allem die Friedenserklärung der Pariser Nationalversammlung an die Welt vom Mai 1790, in der die französische Nation darauf verzichtete, »einen Krieg zu Eroberungszwecken zu unternehmen; sie erklärt, daß sie ihre Streitkräfte niemals gegen die Freiheit irgendeines Volkes einsetzen wird«. Auf dieses Dekret – »aller Gesetze schönstes« – kam Klopstock immer wieder zurück. Die Ächtung des Angriffskriegs erschien ihm als der entscheidende Bruch mit dem feudalen Despotismus des Ancien Régime, »denn in den Kriegen werden vergötzten Herrschern Menschenopfer gebracht«. Klopstock feierte das Dekret: »So gar das gräßlichste aller / Ungeheuer, der Krieg, wird an die Kette gelegt!« – »Jetzo lag an der Kette das Ungeheuer, der Greuel / Greuel! itzt war der Mensch über sich selber erhöht!«

Solange die Regierung in Paris sich an dieses »hochheilige Gesetz« gebunden fühlte, war Klopstock solidarisch mit der Revolution, weil er hoffte, dass »dieser Donner, durch sein Verstummen, den Donnern / Anderer Völker, dereinst auch zu verstummen, gebot«. Nichts konnte ihn in seiner Solidarität irre machen – auch nicht die Abschaffung der Monarchie oder die Hinrichtung des Königs –, solange das »heilige Wort«: »Kein Eroberungskrieg!« die Maxime der Politik blieb.

Enttäuschter Liebhaber

Als aber im Winter 1793 die Truppen der Französischen Republik den zur Verteidigung geführten Krieg gegen die europäische Fürstenkoalition in das benachbarte Ausland trugen und die ersten Territorien annektiert wurden, hielt Klopstock dies für Hochverrat an der Menschheit, an der Freiheit und an den Idealen der Revolution. Von dieser Enttäuschung erholte er sich nie mehr; in seiner Ode »Der Eroberungskrieg« (1793) verglich er sich mit einem Liebhaber, dem die Geliebte starb; einer Mutter, der der einzige Sohn genommen wurde; einem Skeptiker, dem der letzte Trost der Unsterblichkeit abhandenkam. Mit der »Clubbergmunicipalguillotinoligokratierepublik«, die ihn 1792 zum Ehrenbürger ernannt hatte, mochte Klopstock nichts mehr zu tun haben.

Er widmete sich nun »Grammatischen Gesprächen« (1793) und der Sammlung seiner »Werke« (zwölf Bände, 1798–1817). Klopstock starb am 14. März 1803 in Hamburg, wohin er nach dem Sturz seines Förderers Bernstorff 1770 übergesiedelt war. Das letzte Jahr wurde er gepflegt von seiner zweiten Gemahlin, Johanna Elisabeth von Winthem, einer Nichte Metas, die er 1791 nach dem Tod ihres ersten Gatten geheiratet hatte. Am 22. März 1803 wurde Klopstock im Grab seiner ersten Frau beigesetzt. Die Schiffe in den Häfen von Hamburg und Altona flaggten halbmast, eine unübersehbare Menge von Menschen folgte dem Sarg, der von einem vierspännigen Wagen zum Friedhof gebracht wurde. Niemals zuvor waren einem verstorbenen Dichter solche Ehren erwiesen worden.

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