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Abzocke mit Krempel

Berlin: Möbliertes Wohnen treibt Mieten hoch – auch in Milieuschutzgebieten

Alles schon drin auf 40 Quadratmetern Wohnfläche: Futonbett aus Bambus, Nachttischchen, Lämpchen, Schrank mit Schiebetüren. Dazu ein stylisches Ecksofa samt Sesselduo. Ist doch praktisch, kein Kistenschleppen beim Einzug nötig. Problem: Möbliertes Wohnen ist kostspielig. Nichts für Normalverdiener, für Arme eh nicht. Statt neun, zehn Euro kostet ein Quadratmeter etwa im Westberliner Charlottenburg-Wilmersdorf schon mal 25 Euro oder mehr. Kalt. Selbst in sogenannten sozialen Erhaltungsgebieten, also trotz »Milieuschutz« für die alteingesessene Bevölkerung.

Katrin Schmidberger (Bündnis 90/Die Grünen) befragte jüngst die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen unter Ressortchef Christian Gaebler (SPD). Die mieten- und wohnungspolitische Sprecherin ihrer Abgeordnetenhausfraktion wollte wissen, wie sich Mietpreise für möblierte Wohnungen auf Vermietungsportalen entwickelt haben. Die Senatsantwort liegt jW vor. Nicht nichtssagend, aber wenig aufschlussreich. »Der Anteil der möblierten Wohnungen steigt bundesweit seit Jahren«, so Gaeblers Staatssekretär Stephan Machulik. Deshalb sei »möbliertes Wohnen auf Zeit« das Schwerpunktthema im Wohnungsmarktbericht 2023 der Investitionsbank Berlin (IBB) gewesen.

Okay, und sonst? Inserate der Angebotsmieten im IBB-Bericht bildeten nur einen Teil des Berliner Wohnungsmarktes ab. Landeseigene Wohnungsunternehmen und Wohnungsbaugenossenschaften wählten oft Vermietungswege außerhalb der bekannten Internetportale. Aber, wollte Schmidberger ferner erfahren, fließen überteuerte Mieten möblierter Butzen in den Berliner Mietspiegel ein? Nein, denn dort würden nur Nettokaltmieten abgebildet, »also Mieten ohne zum Beispiel Betriebskosten und Möblierungszuschläge«. Zu guter Letzt, was unternimmt der Senat »zur Eindämmung der Vermietung möblierten Wohnraums«, zumal im »schwarz-roten« Koalitionsvertrag von 2023 steht, dass sich CDU und SPD »dem Thema« (sic) annehmen würden? Wenig. Das Land Berlin habe keine Gesetzgebungskompetenz für das Mietrecht, habe aber für einen Gesetzentwurf für besseren Mieterschutz im Bundesrat gestimmt. Der liege nun dem Bundestag vor. Dort liegt er gut.

Das reicht Schmidberger nicht. Zeitlich befristetes Wohnen mit Fremdmöbeln sei längst kein Nischenphänomen mehr, »sondern ein großflächiger Motor für die Verknappung von bezahlbarem Wohnraum und Verdrängung«, betonte die Grünen-Politikerin am Montag gegenüber jW. Bei jenem Geschäftsmodell stünde der finanzielle Aufwand für Vermieter in keinem Verhältnis zum Mietpreis. »Es geht einzig um die Erzielung überhöhter Renditen.«

Machtlos sind politisch Verantwortliche keineswegs. Schmidberger: Mittels Rechtsverordnung könne der Senat feste Möblierungszuschläge einführen »und damit die Mieten verpflichtend deckeln«. Das ist nicht alles. Ein weiteres »Steuerungsmodell« in Sachen »Wohnen auf Zeit« ist der bezirkliche Genehmigungsvorbehalt bei Nutzungsänderungen von Wohnraum durch Vermieter. Vorrangig in Milieuschutzgebieten. In Berlin gibt es mehr als 70 dieser Areale mit rund einer Million Bewohner. Eigens dafür hatte das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das jW einsehen konnte. Demnach reiche es aus, »wenn sich die Bedingungen der Vermietung dergestalt ändern, dass die Wohnung der Wohnbevölkerung, deren Zusammensetzung es zu schützen gilt, künftig nicht mehr zur Verfügung steht«. Dies sei immer dann der Fall, wenn die Vermietung der Wohnung nur noch möbliert bzw. kurzfristig erfolge.

Und das Bezirksamt macht offenbar ernst. Vermieter müssten fortan »zusichern, die Wohnungen nur dauerhaft in ordentlichen Mietverhältnissen ohne Möblierungen und zeitliche Befristungen zu vermieten«, wurde der CDU-Stadtrat für Stadtentwicklung, Christoph Brzezinski (CDU), unlängst in der Taz zitiert. Dennoch, Rechtsunsicherheiten bleiben, die per Musterverfahren des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg vor dem Verwaltungsgericht Berlin ausgeräumt werden sollen. Der Grünen-Baustadtrat Florian Schmidt rechnet in Kürze mit einer mündlichen Verhandlung. Wenn’s gut läuft, müssen Hauswirte künftig ihren Krempel im Keller einmotten.

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