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»Gegen DEDAŞ wurde nicht ermittelt«

Türkei: Naturschützer machen Konzern und Staat für jüngste Brandkatastrophe verantwortlich. Ein Gespräch mit Leyla Çite

In der Türkei und dem als Nordkurdistan bekannten Gebiet kam es zuletzt zu dramatischen Waldbränden. Welches Ausmaß hat diese Brandkatastrophe in Ihrer Region angenommen?

Durch die Brände in Çınar und Mêrdîn verloren 15 Menschen ihr Leben, 78 wurden verletzt. Außerdem sind Tausende Tiere umgekommen und es entstanden Millionenschäden. Wir als Umweltschützer aus der Türkei und Kurdistan haben Kondolenzbesuche bei den betroffenen Familien gemacht und Untersuchungen durchgeführt. Im Brandgebiet haben wir viele Strommasten entdeckt, einige hatten abgerissene Anschlussdrähte und unsichere Stromanlagen ohne Sicherungen. Viele Masten waren mangelhaft aus Holz gefertigt und wiesen gebrochene Isolatoren auf. Trotz jahrelanger Bitten der Dorfbewohner wurde seit über 30 Jahren keine Wartung oder Reparatur durchgeführt.

Offenbar waren Kurzschlüsse in den Stromleitungen ein Faktor, der zum Brand beigetragen hat. Wie konnte es dazu kommen?

Das Feuer war kein gewöhnlicher Stoppelfeldbrand, wie von Medien und der Regierung dargestellt. Zeugen beobachteten Explosionen und Funken an den Strommasten als Auslöser, aber die Verantwortlichen bleiben unerwähnt. Obwohl ein vorläufiger Bericht der Staatsanwaltschaft die Strommasten als Brandursache identifiziert hat, wurden keine Ermittlungen gegen den Energiekonzern DEDAŞ eingeleitet. In der Region gab es mehrere Brände, die auf die Strommasten des Konzerns zurückzuführen sind. Diese Brände, verursacht durch mangelhafte Einhaltung von Vorschriften und Nachlässigkeit des Unternehmens, führten zum Tod von 15 Menschen, Tausenden Tieren und zur Zerstörung natürlicher Lebensräume. Sowohl DEDAŞ als auch die staatlichen Behörden müssen für ihr verspätetes Eingreifen und das Unterlassen von Hilfeleistung zur Rechenschaft gezogen werden.

Ähnliche Ereignisse in überwiegend von Kurden bewohnten Gebieten der Türkei wurden von kurdischen Organisationen als gezielte Politik des türkischen Staates kritisiert. Können Sie mehr dazu sagen?

In den 1980er und 90er Jahren wurde eine Kriegs- und Vertreibungspolitik gegen die Bevölkerung Kurdistans verfolgt, die als Ökozid bezeichnet wird. Diese Politik zielte darauf ab, Kurden zu entmenschlichen sowie ihnen Lebensraum und Existenzgrundlage zu entziehen. Diese gesellschaftliche Vernichtung ging mit ökologischer Zerstörung einher, einschließlich der Auslöschung von Sprache, Kultur, Geschichte, Erinnerung sowie der Zerstörung von Lebensgrundlagen, Tieren und Natur. Der Staat setzt weiterhin auf Methoden wie in den 90er Jahren, als er die Kurden durch Waldbrände vertrieb und ihre Lebensgrundlagen zerstörte. Neben den Brandstiftungen durch die türkische Armee dienen die Wälder als Einnahmequelle, was zu einem fortlaufenden Raubbau an der Natur führt. In Şırnax zum Beispiel werden Wälder gerodet, um aus dem Holzhandel Profit zu schlagen und sogenannte Dorfschützer zu bezahlen.

Wie können Menschen aktiv werden, um sich gegen Umweltzerstörung und staatliche Vernachlässigung zu engagieren?

Unter dem Einfluss des Kapitalismus und patriarchal geprägter Staatsstrukturen sind alle Lebewesen zu Objekten der Ausbeutung und des Profits für die herrschenden Kräfte geworden. Soziale und ökologische Krisen verschärfen sich, da Gesellschaft und Natur gleichzeitig ausgebeutet und unterdrückt werden. Frühere Ökozide in Form von Staudammbauten und Waldbränden, die als Kriegspolitik zur Vertreibung in den kurdischen Gebieten durchgeführt wurden, manifestieren sich nun in Wasserkraftwerken, Kiesgruben, Bergbau- und Erdölprojekten, an denen Regierung und Großkonzerne beteiligt sind. Trotz der Eigentumslogik, die alle Lebensgrundlagen beansprucht, müssen wir das Leben und die Freiheit gegen die schädlichen Machenschaften verteidigen, die nach Bergen, Wasser, Lebewesen und der gesamten Natur greifen.

Es ist wichtig, einen ganzheitlichen Kampf für die Freiheit und Selbstbestimmung von Natur, Menschen und allen Lebewesen zu führen. Dieser Kampf für soziale Ökologie, angeregt durch die kurdische Bewegung, erfordert, dass Gemeinschaften mit eigenen Ideen und Widerstand gegen ökologische und soziale Angriffe vorgehen. Unser Ziel ist ein freies und ethisches Leben in Verbindung mit der Natur, ausgehend von der Organisation in Kommunen.

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