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Sekmen macht die Lengsfeld

Mannheimer Bundestagsabgeordnete wechselt von den Grünen zur CDU. Ehemalige Parteifreunde fordern Rückgabe des Mandats

Es ist lange her, dass im Bundestag eine Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen zur Union übertrat. 1996 war das, als die Antikommunistin Vera Lengsfeld auf ihrer langen Reise nach immer weiter rechts der CDU beitrat (aus der sie im Herbst 2023 ausgetreten ist). Die relative Seltenheit des Vorgangs erklärt einen Teil der Aufregung, den der am Montag abend bekanntgewordene Wechsel der Mannheimer Abgeordneten Melis Sekmen zur CDU verursacht. Dazu kommt: War Lengsfeld 1996 aus einer Oppositions- in eine Regierungspartei gewechselt, ist das bei Sekmen genau umgekehrt. Dieser Partei- und Fraktionswechsel ist also auch ein Element der allgemeinen Krise der Ampelregierung.

Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP verliert damit nicht nur eine Abgeordnete, sondern auch ihre bisherige Obfrau im Wirtschaftsausschuss. Die Wirtschaftspolitikerin hatte sich dort unter anderem mit Gründungen und Startups befasst. Ihren Austritt bei den Grünen bezeichnete die 30jährige als »Ergebnis eines langen Prozesses« und der Weiterentwicklung ihrer Vorstellungen, »wie und in welchem Stil Politik gemacht wird«. Die Mannheimerin mit türkischen Wurzeln plädiert weiter für eine »Debattenkultur, in der Menschen ihre Meinung und ihre Sorgen sagen können, ohne in Schubladen gesteckt zu werden«. Dazu brauche es ihrer Ansicht nach eine »starke Mitte«. Das neue Grundsatzprogramm der CDU stehe dafür, Menschen über ihr Handeln und nicht über ihre Herkunft zu beurteilen. Nach dem bereits erfolgten Fraktionswechsel strebt die Parlamentarierin in den kommenden Tagen eine Mitgliedschaft im Mannheimer CDU-Kreisverband an, erklärte CDU-Chef Friedrich Merz.

Sekmens Vater ist als Jugendlicher nach Deutschland gekommen. Die Abgeordnete selbst war seit 2011 Mitglied der Grünen und saß für die Partei seit 2014 im Mannheimer Gemeinderat, wo sie von 2019 bis 2022 auch Fraktionsvorsitzende war.

Während sich die Union über den Neuzugang freut, gab sich die Grünen-Fraktionsspitze vor allem überrascht. Sie bedauere die Entscheidung, ließ die parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic wissen. Ansonsten reagieren die Grünen mit dem in solchen Fällen üblichen Reflex – der Aufforderung an die abtrünnige Abgeordnete, das Mandat »zurückzugeben«. In einer Stellungnahme forderte ihr ehemaliger Kreisverband in Mannheim, dass sie ihr Bundestagsmandat abgibt, »so dass eine andere Person der gewählten Grünen-Liste statt ihr im Bundestag vertreten sein kann«. Schließlich, so der Kovorsitzende des Grünen-Landesverbandes in Baden-Württemberg, habe Sekmen ihr Mandat über die Landesliste erhalten.

Dass Sekmen das Mandat aufgibt, ist freilich höchst unwahrscheinlich. Politische Folgen hat ihre Entscheidung ohnehin nicht: Der Übertritt ändert nichts daran, dass die Ampelkoalition weiterhin über eine komfortable Mehrheit verfügt. Spannender jedoch wirkt der Übertritt vor dem Hintergrund der Einbrüche der Grünen bei der EU-Wahl, die sich bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen im September fortsetzen dürften. Hier wirbt Merz etwa in Sachsen dafür, angesichts der zu erwartenden Ergebnisse der AfD das Kreuz lieber bei den Christdemokraten zu machen als etwa bei den Grünen, die sowieso schon um den Einzug in die jeweiligen Landesparlamente bangen müssen. Ob Sekmens Austritt darüber hinaus ein Zeichen dafür ist, dass auch die Grünen mit Absetzbewegungen des politischen Personals zu kämpfen haben, wird sich zeigen.

Weniger über den Austritt als die Begründung von Sekmen zeigte sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann verwundert. Er sehe die angeführten Punkte nicht als Grund, die Partei zu verlassen, sondern hätte sich angesichts des Wunsches nach mehr Debattenkultur eine intensive ­Überzeugungsarbeit durch die abgewanderte Mandatarin gewünscht: »Wenn man dieser Meinung ist, dann guckt man, dass man andere davon überzeugt.«

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