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Keine Angst vor Steuerflucht

Neue Studie widerlegt Argumente gegen Vermögenssteuer. Seit sie ausgesetzt ist, hat der Fiskus auf mehr als 380 Milliarden Euro verzichtet

Große Vermögen kann man nicht besteuern, sonst setzen sich die Vermögenden einfach in die Schweiz, nach Luxemburg oder gleich auf die Bahamas ab. So lautet ein gängiges Argument, wenn es zu erklären gilt, warum der gigantische Reichtum an der Spitze der deutschen Wohlstandspyramide kaum zur Finanzierung des Allgemeinwohls herangezogen wird – etwa durch eine Wiedereinführung der 1996 ausgesetzten Vermögenssteuer. Nun haben Oxfam und das »Netzwerk Steuergerechtigkeit« eine umfassende Analyse vorgelegt, die diese These widerlegt und für eine Rückkehr zur Vermögensbesteuerung plädiert.

»Die Studie zeigt ganz klar: Der Kampf gegen Steuerflucht ist vor allem eine Frage des politischen Willens«, sagte Manuel Schmitt, Oxfam-Referent für soziale Ungleichheit, am Dienstag bei der Vorstellung der Ergebnisse. Und weiter: »Anstatt im Bundeshaushalt zum Kahlschlag – unter anderem bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei Sozialausgaben –anzusetzen, sollte die Bundesregierung die Besteuerung sehr hoher Vermögen endlich auf die Tagesordnung setzen.« Dadurch könne die demokratiegefährdende Vermögenskonzentration verringert werden, dringend benötigte finanzielle Mittel für den sozialen Zusammenhalt und den Klimaschutz könnten bereitgestellt werden.

Laut den Berechnungen hat der Verzicht auf die Einnahmen der Vermögenssteuer den deutschen Fiskus seit 1996 mehr als 380 Milliarden Euro gekostet. Das entspreche 80 Prozent des Bundeshaushalts 2024. Im letzten Jahr der Erhebung betrug das Steueraufkommen 4,6 Milliarden Euro. Bis 2023 wäre es bei Fortführung des damaligen Steuermodells zu einer Einnahmesteigerung auf rund 30 Milliarden Euro pro Jahr bekommen. Der Verzicht auf diese Einnahmen sei nicht nötig, argumentieren Oxfam und das »Netzwerk Steuergerechtigkeit«. Denn die BRD habe »in den letzten Jahrzehnten umfassende und international vorbildliche Regeln etabliert, die Steuerflucht massiv erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen«. Genannt wird etwa die 1972 eingeführte Wegzugsteuer, durch die Steuerflüchtlinge rund ein Drittes ihres in Deutschland aufgebauten Vermögens an der Grenze abgeben müssen.

Gegen Vermögensverschiebungen ins Ausland im Zuge von Unternehmensverlagerungen werden die Entstrickungsbesteuerung, die Besteuerung von Funktionsverlagerungen und die Hinzurechnungsbesteuerung ins Feld geführt. Komplettiert wird der Werkzeugkasten gegen Steuerflucht laut den Autoren der Studie durch den seit 2017 umgesetzten automatischen Informationsaustausch, durch den Deutschland jedes Jahr aus mehr als hundert Ländern Informationen über die Konten von deutschen Steuerpflichtigen dort erhält. Damit sei »das anonyme Schweizer Bankkonto zumindest für deutsche Kunden Geschichte«.

Mit derartigen, bereits verfügbaren Instrumenten könnte Steuerflucht erfolgreich verhindert werden, so das Hauptargument der Studie. Wie schwierig es mittlerweile wäre, einer deutschen Vermögenssteuer zu entgehen, zeige sich auch daran, dass von den aktuell 226 einheimischen Milliardären lediglich 29 versucht hätten, sich ihrer Steuerpflicht durch Wegzug zu entziehen. Am Beispiel der BMW-Erbin Susanne Klatten zeigen die Autoren zudem auf, dass Vermögensverlagerungen heutzutage eine kostspielige Angelegenheit sind: 6,5 Milliarden Euro müsste sie an der Grenze abgeben, wird vorgerechnet. Das entspräche rund 30 Prozent ihres geschätzten Vermögens.

Zu besteuern gäbe es im Falle der Wiedereinführung genug. Denn seit 2001 sind allein die Vermögen der hundert reichsten Deutschen um etwa 460 Milliarden Euro gewachsen. Rechtlich wäre die Rückkehr zur Vermögensbesteuerung auch kein Problem, schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1995, das der Aussetzung vorausgegangen war, lediglich die konkrete Ausgestaltung hinsichtlich der steuerlichen Werte für das Grundvermögen bemängelt. Im vergangenen Jahr hatte auch ein Rechtsgutachten der Hans-Böckler-Stiftung aufgezeigt, dass eine Vermögenssteuer verfassungsrechtlich unproblematisch wäre und dem Gesetzgeber bei der Erhebung große Spielräume zur Verfügung stünden.

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