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Plätze, die die Welt bedeuten

»Fränkischer Schweiß«: Jürgen Rank zeigt die wahre Pracht der Fußballprovinz

Keine Menschen weit und breit, nur leere Fußballplätze. Der Fotograf kam absichtlich immer an spielfreien Tagen. Und unangemeldet, sonst hätte der eine oder andere Platzwart womöglich noch den Rasen gekämmt. So aber liegt er, quasi als integraler Bestandteil des großen Schöpfungsplans, unfrisiert herum. Und eingebettet in viel Feld und Wald und Wiese, denn wir befinden uns in der Fränkischen Schweiz.

Unter dem Titel »Fränkischer Schweiß« legt Jürgen Rank ein Buch mit 130 Fotos von 50 Fußballplätzen vor, auf denen besagter Stoff bei Spielbetrieb mutmaßlich nicht zu knapp vergossen wird. Ein Geläuf, etwas Gestänge, ein paar Tafeln und Schilder – fertig ist die nutzbringende Möblierung der idyllischen Landschaft. Der Autor hat ikonische Zeugnisse von Arealen gesammelt, wo Sport, Spiel und Spannung herrschen, wo Blut, Schweiß und Tränen sowie diverse einheimische Biere fließen: »Heckel«, »Veldensteiner«, »Rittmayer«, »Friedmann«, allesamt in Schönschrift auf den Werbebanden angepriesen und durch die Bank ein paar Ligen höher anzusiedeln als die lokalen Fußballvereine. Doch allein schon deren Namen machen das Buch auch zu einem Poesiealbum: ASV Aufsess, TSV Mistelbach, SV Gesees, SpVgg Muggendorf, Hiltpoltsteiner SV, SC Hummeltal, DJK-FC Schlaifhausen, TSV Plankenfels usw.

Man ist im »Fränkischen Schweiß« weit weg vom EM-Getöse, aber nah an der Essenz des Fußballs als Volkssport. Heimattümelnd ist das Buch deswegen noch lange nicht, und nostalgisch auch nur in Maßen, denn dem Autor ist die große weite Welt keineswegs fremd. Der gebürtige Bayreuther hat in London Design studiert, kam dort mit der englischen Fußballkultur in Berührung und gründete 2001 in seiner Heimatstadt Deutschlands erstes von Fans betriebenes Fußballmuseum. 2014 erschien sein Bildband »Der Grund ist Fußball« über Stadien in aller Welt. Die fränkischen Fußballorte hat Jürgen Rank jeweils auf dem Weg von und zur Arbeit abgegrast, denn hauptberuflich ist er als Chefdesigner bei einem bekannten Herzogenauracher Familienunternehmen tätig und gestaltet dort Trikots.

Die Fotomotive in »Fränkischer Schweiß« werden von Rank glücklicherweise nicht zu Oasen der Entschleunigung stilisiert, sondern höchstens als Horte der Gemächlichkeit kenntlich gemacht. In den Bildlegenden vergaloppiert er sich gelegentlich und reißt ein paar Wortwitze zu viel (wobei er den Elfmeter mit dem einwandfrei ausgeschilderten Schiriparkplatz auf dem Gelände des TSV Gräfenberg natürlich reinmachen musste). Dafür besticht die prägnante Gliederung: Tore, Anzeigetafeln, Sitz- und Stehgelegenheiten, Hinweisschilder, Versammlungsstätten und ein Exkurs zum Runden und Eckigen werden in je eigenen Kapiteln abgehandelt. Dazu kommt ein erstaunlicher Detailreichtum – vom in die Jahre gekommenen Pegnitzer Flutlichtmast über die vorbildlich verrostete Platzwalze in Wiesenttal bis zur kostenpflichtigen Steintribüne in Waischenfeld. Auf der Plakatcollage der SpVgg Jahn Forchheim für das Derby gegen den SV Buckenhofen dürfen auch führende örtliche Fachgeschäfte wie »Holzbau Blümlein« und »Reisedienst Elsner« für sich werben, ein fröhliches Potpourri der abenteuerlichsten Zierschrifttypen, ein Eldorado der falschen S-Apostrophierung. Beim FSV Phönix Buttenheim hingegen herrscht ob der direkten Nachbarschaft von Spielfeld, Vereinsheim, Kirche und dem dreistöckigen »St. Georgen-Bräu« fast schon städtische Enge. Überall und immer aber gilt: Die Wahrheit is auf’m Platz. Manch einer hat hier womöglich den entscheidenden Kreuzbandriss zu viel erlitten. Oder aber, als schönste Nebensache der Welt, die Liebe seines Lebens gefunden. Das Bett im Kornfeld war dann praktischerweise gleich hinter dem Vereinsgelände.

»Fränkischer Schweiß« ist ein Buch wie ein Schönwettermärchen. Moment, das Märchen muss sofort wieder zurückgenommen werden, denn die bunten Beweisfotos, fast immer von weißblauem Himmel überwölbt, zeugen tatsächlich von wahrer Pracht. Dass die sich bei Dauerregen in ihr niederschmetterndes schwarzweißes Gegenteil verwandeln kann, ist auch aus anderen provinziellen Weltgegenden hinlänglich bekannt. Wetterunabhängig dominieren in der oberfränkischen Fußballwelt noch immer Vereinswappen mit Vierblattklee und Schilder à la »hier kein Hundeklo«. Ob das Wünschen je geholfen hat? Da und dort ging man behutsam mit der Zeit, ersetzte eine durchgesessene Holzbank durch eine Reihe Plastiksitzschalen, flickte ein Loch im Tornetz mit Kabelbindern – aber ab circa anno 1970 hat man’s dann weitgehend gelassen. Passt schon alles so, und wenn nicht, pappen die Junioren halt mal einen QR-Code ans Schwarze Brett.

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