Vergiftete Verhältnisse
Von Dietmar KoschmiederLiebe Leserin, lieber Leser der jungen Welt,
das tägliche Erarbeiten einer guten, linken Tageszeitung ist nicht einfacher geworden. Das hat viel mit den sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun. Immer deutlicher wird, dass sich der Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus immer mehr von Zwängen befreit, die ihm einst durch eine nicht der Profitlogik unterworfene sozialistische Gegenwelt, aber auch von starken Organisationen der Arbeiterklasse in den meisten kapitalistischen Ländern und schlagkräftigen Befreiungsbewegungen in der sogenannten Dritten Welt auferlegt wurden. Produktivkräfte entfalten unter entfesselten imperialistischen Bedingungen immer mehr ihre Destruktivkraft, wenden sich immer mehr gegen Mensch und Natur. Aus der Sicht der Reichen besteht keine Notwendigkeit mehr, auf die sich daraus ergebenden verschärften sozialen Widersprüche und anderen Deformationen mit irgendwelchen Kompromissen zu reagieren.
Täuschung statt Bildung
Die Folgen dieser Entwicklung kann jeder jeden Tag mitverfolgen: Soziale und demokratische Rechte werden auch in den kapitalistischen Zentren demontiert, Ausbeutung auf dem ganzen Globus verschärft. Und es wird alles dafür getan, dass sich kein wirksamer Widerstand bildet: An die Stelle von Aufklärung und Bildung werden Täuschung und Fake News gesetzt, die meisten Medien berichten nur noch aus der Sichtweise der Herrschenden, dank dem Einsatz neuer Technologien kann man sich der Manipulation und Überwachung kaum mehr entziehen. Auch zur Vermeidung von linkem Widerstand und Revolten genießen rechte und faschistische Strukturen immer mehr Protektion durch die Herrschenden. Das alles ist aus deren Sicht notwendig, damit künftig Widersprüche zwischen den imperialistischen Kräften wieder uneingeschränkt auf systemimmanente Form gelöst werden können: durch Kriege!
Angriffe von rechts und links
Es ist uns ein weiteres Jahr gelungen, unter solchen Verhältnissen täglich eine linke, aufklärende Zeitung zu machen. Es mangelte aber auch in diesem Jahr nicht an Angriffen, die dies erschwerten: Die Deutsche Post AG verlangte vor genau einem Jahr das Zehnfache der vereinbarten Preiserhöhung und zwang unseren Verlag, alleine dafür in diesem Jahr 95.000 Euro mehr zu erwirtschaften. Auch andere Dienstleister verlangten überdurchschnittlich mehr Geld. Trotz Protesten konnten wir dies nicht verhindern – aber vor allem dank der Abozuwächse und einer bescheidenen Preiserhöhung für die Abonnements können wir trotzdem auch das laufenden Jahr kostendeckend abschließen. Die Deutsche Postbank, mittlerweile Tochter der Deutschen Bank, verlangte von uns Sicherheiten in Höhe eines mittleren sechsstelligen Betrages. Die haben wir geleistet, aber in diesem Jahr auch einen längst überfälligen Schritt getan: Unsere Hauptbank ist mittlerweile die Berliner Sparkasse. Neben zahlreichen politischen Angriffen von rechts mussten wir in diesem Jahr auch welche von links ertragen: So organisierte der Vorsitzende des Freidenkerverbandes gemeinsam mit einem Linkspartei-Abgeordneten einen offenen Brief mit Vorwürfen und Forderungen an die junge Welt. Mit einer zurückweisenden Stellungnahme von Verlag, Redaktion und Genossenschaft ist dieser seit fünf Jahren schwelende Konflikt im Zusammenhang mit den Montagsmahnwachen zum Abschluss gekommen.
Internationale Solidarität
Es gibt aber auch ermutigende Zeichen für verstärkten Widerstand in diesem Jahr. In Chile, Frankreich und im Libanon fordern Hunderttausende nicht einfach nur die Rücknahme einer neoliberalen Reform, sondern veränderte gesellschaftliche Verhältnisse. In Lateinamerika ergeben sich in vielen Ländern die Menschen nicht den mit Lügenpropaganda begleiteten juristischen und militärischen Schachzügen rechter, von den USA gepamperten Kräften, sondern widersetzen sich. Und uns ist es gemeinsam mit vielen linken Gruppen gelungen, Zeichen der Solidarität zu setzen: Durch unsere Manifestation für das revolutionäre Kuba auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar, die Venezuela-Soliveranstaltung mit über 800 Menschen in der Berliner Urania im Mai und zuletzt unsere Kampagne gegen die mörderische US-Blockadepolitik der USA gegen Kuba im November: 2.365 Großflächenplakaten in 60 Städten dreier Länder (Österreich, Schweiz, Deutschland) brachten öffentlichkeitswirksam unseren Protest zum Ausdruck. Finanziert wurde die Aktion mit Hilfe von Spenden in Höhe von 40.272,31 Euro. Auch hierfür gilt den Leserinnen und Lesern der jungen Welt und anderen Beteiligten unser herzlicher Dank!
Kulturinstitution
Unser Verlag wird immer mehr zur wichtigen Kulturinstitution. Nach einer Zwangspause ist uns in diesem Jahr der erfolgreiche Neustart der Zeitschrift für Gegenkultur Melodie & Rhythmus gelungen. Qualität und Besucherzahl unserer Veranstaltungen in der jW-Ladengalerie und in anderen Berliner Räumen haben zugenommen, auf Wunsch vieler Leserinnen und Leser sind nun einige dieser Veranstaltungen auf CD für jene verfügbar, die nicht nach Berlin reisen konnten. So kommt noch in diesen Tagen die Karl-Marx-CD mit Frauke und Gina Pietsch aus dem Presswerk. Und wir haben in diesem Jahr eine alte junge-Welt-Tradition aufleben lassen: die jW-Grafikedition. Speziell für unsere Leserinnen und Leser stellen wir drei mal jährlich hochwertige Originalgrafiken interessanter Künstler zum unschlagbar günstigen Preis zur Verfügung. Und wir starteten in diesem Herbst eine ungewöhnliche Serie: Jeden Tag wird eine bisher unveröffentlichte Grafik des vor einem Jahr verstorbenen Grafikers und Dichters F. W. Bernstein veröffentlicht.
Gegen herrschende Verhältnisse
Das Jahr war aber auch geprägt vom weiteren Verfall der Printmedienlandschaft: Immer mehr Verlage verabschieden sich vom Format der gedruckten Tageszeitung. Der Springerkonzern hat sich neue Miteigentümer ins Haus geholt, die vor allem an Rendite interessiert sind und deshalb jahrelange Defizite bei verbliebenen Printprodukten des Konzerns wie etwa bei Die Welt nicht weiter ausgleichen wollen. Das Medienhaus DuMont hat seine Berliner Zeitungen verkauft und will auch alle anderen abstoßen, vorläufig bleiben nur ihre Zeitungen im Kölner Raum an Bord. Die Taz hat bereits angekündigt, in wenigen Monaten auf die täglich gedruckte Zeitung zu verzichten, und das Neue Deutschland setzt ebenfalls immer mehr auf die Wochenendausgabe und eine Onlineversion für die anderen Tage. Der Verlag 8. Mai kämpft aber weiterhin für den Erhalt der gedruckten Tageszeitung. Dieser Kampf wird immer schwieriger, weil parallel auch die Infrastruktur für gedruckte Zeitungen erodiert. Wir halten aber eine tägliche linke Printzeitung gerade in diesen Zeiten für unverzichtbar: Gedrucktes ist besser zu bearbeiten, leichter zu überprüfen und effektiver zu speichern. Im Kampf für mehr Aufklärung ist aber auch zu berücksichtigen, dass die gedruckte Ausgabe viel besser als die Onlineversion gezielt an neue, zusätzliche Interessierte weitergegeben werden kann. Und wir brauchen dringend viel mehr neue Leserinnen und Leser, nicht nur aus finanziellen Gründen: Die Wirksamkeit dieser Zeitung als Gegengift gegen herrschende Verhältnisse steigt mit jedem neuen Leser, mit jedem zusätzlichen Abonnement. In diesem Kampf haben uns auch im zu Ende gehenden Jahr unsere Leserinnen und Leser stark unterstützt. Mit dem Dank dafür verbinden wir die Bitte, in diesen gemeinsamen Bemühungen nicht nachzulassen!
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!