Noch ’ne Querfront
Von Dietmar KoschmiederDas »Gespenst der Querfront« geistert nicht nur durch bürgerlich-liberale Blätter, wie unser Kollege Nick Brauns schreibt, sondern auch durch die Tageszeitung junge Welt und andere linke Publikationen. Während die Bürgerlichen darunter eine organisierte gemeinsame Front von ganz rechts und ganz links verstehen, die es womöglich theoretisch, aber nicht praktisch gibt, heißt es im Beitrag, es gebe »derweil auch einen aufgeklärten, mithin marxistischen Begriff von Querfront«, um dann einige interessante, zum Teil aber auch fragwürdige Bezüge zur Weimarer Republik herzustellen. Vor allem der Formulierung Brauns, »eine wirkliche Basis auch unter Teilen der Arbeiterklasse« habe die Nazipartei erst nach ihrer Inmachtsetzung bekommen, entspricht nicht den Tatsachen: Faschistischen Kräften ist es schon zuvor gelungen, Teile der Arbeiterklasse mit ihrer sozialen Demagogie zu verunsichern und für ihre Zwecke zu gewinnen. Das war eine der Voraussetzungen dafür, dass ihnen 1933 von interessierter Seite Macht übertragen wurde. Und das ist auch einer der Gründe dafür, weshalb wir gerade heute wachsam sein müssen.
Für die aktuelle Diskussion sind die Erfahrungen aus der Weimarer Zeit aber nur bedingt nutzbar, weil sich in vielen Punkten die konkreten Umstände und Kräfteverhältnisse heute anders darstellen. Schon deshalb, weil es damals die Sowjetunion, aber auch eine starke kommunistische Partei in Deutschland gab. Soziale Demagogie (zum Beispiel die bewusste Vereinnahmung linker Begriffe durch Rechte) und andere Überlegungen, wie Linke ins rechte Lager gezogen werden könnten, gab es dennoch zu jeder Zeit, ohne in Deutschland nach 1945 tatsächlich Relevanz zu erlangen. Seit 1990 ist es rechten Ideologen aber immer mehr gelungen, den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts zu verschieben. Zum einen werden sozialistische Alternativen immer aggressiver diskreditiert, zum anderen nutzen faschistische Kräfte wachsende Klassenwidersprüche und die damit einhergehende Delegitimierung bürgerlicher Machtstrukturen, um immer frecher als »Alternative für Deutschland« aufzutreten. Ihre neue Querfrontformel heißt ganz einfach: Rechts, links, das gibt es heute nicht mehr. Das sei Gesäßgeographie aus dem vorletzten Jahrhundert. Für gemeinsame Interessen müsse »das Volk« gemeinsam ein- und auftreten.
Diesen Ansatz vertraten auch wichtige Protagonisten der 2014 aufkeimenden Montagsmahnwachen, mit denen zahlreiche Teilnehmer etwas gegen Kriege tun wollten. Viele von ihnen interessierte es aber nicht sonderlich, dass sie sich mit Kameradschaften und anderen Faschisten einließen, andere glaubten, rechte Wortführer in der Bewegung in den Griff zu bekommen. Eine »Querfrontstrategie« für diese politische Erscheinung wollten sie nicht erkennen. Obwohl mit der immer wieder propagierten Formel »Es gibt kein rechts oder links, es gibt nur noch vorne« die marxistische Klassenbeschreibung aufgehoben und eine Gemeinschaft ohne rechts und links (und damit auch ohne Klassen) konstruiert werden soll. Der nächste Schritt zur »nationalen Volksgemeinschaft« ist dann nur noch ein recht kleiner. Auch viele Wortführer der aktuellen Hygienedemobewegung gehen mit dieser Formel immer wieder auf Rattenfang. Erreicht wird damit, dass sich die Arbeitenden noch weniger als Klasse verstehen und nicht mehr erkennen, dass ihre Interessen nicht die der Herrschenden sind. Letzte Bestände von Klassenbewusstsein werden zerstört.
Wenn bürgerliche Medien von Querfront sprechen, konstruieren sie meistens eine Einheitsfront von Faschisten und Kommunisten, also von ganz links und ganz rechts, die sowieso im Kern gleich seien. Auch dieses Konstrukt soll davon ablenken, dass es Klassen und Klasseninteressen gibt. Und davon, dass Faschisten immer das Geschäft einer bestimmten Kapitalfraktion besorgt haben, sich Linke und Rechte im Klassenkampf deshalb auch immer gegenüberstanden.
Wer heute noch die Rechnung »rechts gleich links« aufmacht oder wer behauptet, es gebe beides gar nicht mehr, verfolgt mit unterschiedlichen Ansätzen dieselbe reaktionäre Absicht: Er will verhindern, dass sich arbeitende Menschen von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich entwickeln. Marxisten haben diese Strategien offenzulegen und ihre Propagandisten auch namentlich zu benennen. Das wäre ein aufgeklärtes, mithin marxistisches Herangehen im Zusammenhang mit dem Begriff Querfront.
Das »Rotlicht: Querfront« von Nick Brauns erschien am 20. Mai 2020. Im Internet: kurzelinks.de/Rotlicht-Querfront
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