Wunsch nach Veränderung
Von Dietmar Koschmieder1947
Als die erste Ausgabe der Jungen Welt am 12. Februar 1947 erscheint, ist der deutsche Faschismus noch keine zwei Jahre besiegt, liegt das Land nach dem letzten großen Krieg noch immer in Trümmern, sterben weiter Menschen an den Folgen ihrer Misshandlung in den Konzentrationslagern, richten sich Faschisten bereits wieder in den westlichen Besatzungszonen ein, gibt es noch keine BRD (das ändert sich mehr als zwei Jahre später, im ersten Kabinett Adenauer sitzen dann mehr NSDAP-Mitglieder als im ersten Kabinett Hitler). Auch die DDR ist noch nicht gegründet, der Kampf um ein einheitliches, antifaschistisches Deutschland noch nicht aufgegeben. Und doch ist hüben wie drüben Konsens, dass der Kapitalismus versagt hat und zu überwinden sei: Nur wenige Tage vor der Erstausgabe der Jungen Welt hat das selbst die CDU am 3. Februar 1947 in ihrem Ahlener Programm so festgehalten. Ein anderes Deutschland soll es werden, ein tatsächlich anderes Deutschland entsteht aber nur in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone. Dort soll die Junge Welt beim Aufbau helfen, die Jugend informieren und mobilisieren für Frieden und Antifaschismus, für Solidarität und eine Welt, in der es um die Interessen der Menschen und nicht um maximale Profite geht. Aufbruchstimmung überall, »nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus« scheint jedenfalls die Lehre für die Menschen in Ost wie West aus der jüngsten Vergangenheit zu sein. Die Gründung der Jungen Welt ist Ausdruck dieses Aufbruchs, dieses Wunsches nach Veränderung und der aktiven Mitwirkung daran.
1972
25 Jahre später, am 12. Februar 1972, nimmt der weltweite Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus Fahrt auf. Es existiert ein sozialistisches Weltsystem, das den imperialistischen Kräften klare Grenzen aufzeigt. Revolutionäre Bewegungen in Asien, Lateinamerika und Afrika gewinnen an Bedeutung, in Chile wird mit Salvador Allende der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus per Stimmzettel probiert, in Vietnam zeichnet sich bereits ein Sieg der Befreiungskämpfer ab, die Kubanische Revolution kann sich trotz Blockade stabilisieren, in der DDR wird durch die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik die materielle Situation der Bevölkerung deutlich verbessert und ein gigantisches Wohnungsbauprogramm vorbereitet. Auch in der BRD nimmt die Regierung die weltweite Anerkennung der DDR zur Kenntnis und setzt auf Entspannungspolitik. Revanchistische Kräfte werden zurückgedrängt, neue soziale Bewegungen entstehen und schaffen ein deutlich besseres Kräfteverhältnis für linke Politik, es gibt eine legale kommunistische Partei, nachdem 1968 die DKP zugelassen wurde. Aber nur wenige Tage vor dem 25. Jubiläum der Jungen Welt werden in der BRD die Berufsverbote eingeführt, um ein Erstarken kommunistischer Kräfte zu verhindern. Die Junge Welt profiliert sich weiter als die Zeitung der Jugend, wird aber immer mehr auch von älteren Semestern gelesen. Sie transportiert den Geist von Frieden, Freundschaft und Solidarität und scheint sich auf der Siegerseite der Geschichte zu bewegen.
1997
Als die junge Welt am 12. Februar 1997 ihren 50. Geburtstag feiert, sieht die Welt komplett anders aus: Das sozialistische Weltsystem ist weggebrochen, mit ihm sind es auch viele linke Bewegungen und Parteien in den westlichen Ländern. In ganz Europa treiben die Herrschenden Sozialabbau und Aufrüstung voran. Die Bundeswehr hat ihre Strategie im Auftrag des Kapitals komplett geändert: Zuvor offiziell Verteidigungsarmee, trainiert sie jetzt ihre Kriegsfähigkeit über diverse Auslandseinsätze, zunächst getarnt etwa als Sanitätsmission (bis es dann 1999 in Jugoslawien zum ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung nach 1945 kommt). Auch die junge Welt muss sich entscheiden: Bezieht sie sich weiterhin auf ihre antifaschistischen, sozialistischen und internationalistischen Wurzeln, oder ist »die alte junge Welt für uns bedeutungslos«, wie das der damalige Chefredakteur im Editorial zum 50. Geburtstag der jW formulierte? Wenige Wochen später kam es zur Entscheidung, ein Teil der Beschäftigten gründet nach ihrer Niederlage die Jungle World (die 1999 den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Jugoslawien befürwortet, während die junge Welt Antikriegszeitung bleibt).
2022
Heute, am 12. Februar 2022 und damit wieder 25 Jahre später, scheint sich die weltweite Lage erneut dramatisch zu ändern. Die antikolonialen Befreiungsbewegungen sind zurückgedrängt, neue koloniale Abhängigkeiten verfestigen sich. Trotzdem bekommen die kapitalistischen Länder immer mehr Schwierigkeiten, ihre wirtschaftlichen Ziele zu erreichen. Zum einen spitzen sich innere Widersprüche zu, zum anderen bekommen sie von neuen Mächten Grenzen aufgezeigt. Russland, noch immer das größte Land der Erde, tanzt nicht nach der Pfeife der NATO. Und China, noch immer das bevölkerungsreichste Land, entwickelt eine Wirtschaftskraft, die für die Imperialisten beängstigend ist: Die Volksrepublik hat offensichtlich andere Möglichkeiten der Produktivkraftentwicklung und droht, den Westen zu überholen, ohne ihn vorher einholen zu müssen. Auch im Umgang mit neuen Herausforderungen wie mit denen einer Pandemie beweisen sich gesellschaftliche Strukturen wie die in China oder Kuba als wesentlich effizienter. Das sehen die herrschenden imperialistischen Kräfte wohl, doch ihr Lösungsansatz für die Probleme bleibt nach wie vor die Unterwerfung des Gegners: Entweder durch Erpressung, Destabilisierung oder lokale Kriege – und wenn das nichts nützt, eben auch durch den nächsten großen Krieg. Am 75. Geburtstag der jungen Welt erleben wir massive Militärvorbereitungen der westlichen Regierungen, begleitet von einer unglaublichen Kriegshetze, um in der Bevölkerung die notwendige Stimmung für solche Kriege hervorzubringen. Die junge Welt als marxistisch orientierte Zeitung kümmert sich weiter um soziale Belange, um Umwelt und Gesundheitsfragen, um Solidarität und Antifaschismus. Aber an allererster Stelle steht der Kampf für den Frieden, gegen den drohenden nächsten großen Krieg. Denn nur wenn dieser verhindert wird, kann dem sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt zum Durchbruch verholfen werden und wird es auch noch in 25 Jahren eine dann 100jährige progressive Tageszeitung geben.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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