Mit der Zeit gehen
Von Denis GabrielEs ist bei diversen Medien Mode geworden, der Tageszeitung junge Welt »altes Denken« vorzuwerfen. So schreibt die Wochenzeitung Die Zeit in einer Kolumne über die Veranstaltung der jungen Welt zu 75 Jahre DDR (Ausgabe vom 10. Oktober 2024): »Die alt denkende junge Welt hatte den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden und einstigen Berufs-FDJler (Egon Krenz, D. G.) eingeladen …« Auch die in Berlin erscheinende Taz (ehemals Die Tageszeitung) greift auf ihrer Medienseite vom Mittwoch, dem 9. Oktober 2024, in ihrem Bericht zur Lage der jungen Welt nach dem Wechsel in der Chefredaktion den Gedanken auf: »Alte junge Welt« heißt es da schon in der Überschrift. Mag ja sein, dass Denken in Klassenzusammenhängen, dass Leitmotive wie Solidarität und Frieden gerade nicht sehr modern sind. Die Taz ist jedenfalls in solchen Fragen viel zeitgemäßer: Sie hat sich von linker Analyse und Antimilitarismus schon vor Jahren verabschiedet. Dass aber auch Anforderungen ans journalistische Handwerk veraltet sein sollen, wie etwa saubere Recherche oder die Notwendigkeit, bei Fehlern den Leserinnen und Lesern des eigenen Blattes umgehend eine Berichtigung zur Verfügung zu stellen, überrascht dann doch.
Im genannten Taz-Beitrag finden sich (neben Spekulationen und anderen Peinlichkeiten) gleich drei unwahre Tatsachenbehauptungen. Anklagend optimiert die Taz einen Vorwurf des Inlandsgeheimdienstes aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht und behauptet, dass »mehrere Redaktionsmitglieder« der jW in der DKP seien. Zumindest könnte das wahr sein, denn wenn von über 40 Redakteurinnen oder Redakteuren nur zwei so ein Mitgliedsbuch hätten, wäre die Aussage ja nicht falsch. Die dann folgende Behauptung, der neue Kochef der jungen Welt, Daniel Bratanovic, sei im Berliner Vorstand dieser Partei, ist es allerdings. Darauf wurde die Taz-Redaktion umgehend hingewiesen. Es wird im Taz-Beitrag zudem die Behauptung kolportiert, ein Bericht über eine geplante Reise von Abgeordneten der Partei Die Linke (die auch von der Taz hätte begleitet werden sollen) sei »absichtlich so veröffentlicht worden, um die Reise zu sabotieren«. Auch diese Behauptung ist unwahr, auch darauf ist die Taz-Redaktion hingewiesen worden.
Wesentlicher ist allerdings der vom Taz-Autor erhobene schwerwiegende Vorwurf, die junge Welt würde islamistischen Terror verharmlosen. Damit macht der Beitrag auf: Es sei »ein neuer Tiefpunkt« der jungen Welt: »Am 8. Oktober 2023, dem Tag nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel und dem größten antisemitischen Pogrom seit der Schoah, war auf der Titelseite der jungen Welt zu lesen: ›Gaza schlägt zurück.‹ (…) Über das Massaker beim Psytrance-Festival Nova kein Wort.« Am 8. Oktober gab es aber keine jW-Titelseite mit so einer Überschrift, auch nicht am Tag zuvor oder danach. Der Bericht, auf den sich die Taz bezieht, wurde am Sonnabend, dem 7. Oktober, um 14.14 Uhr auf der Onlineseite der jW veröffentlicht. Dort wurde das wiedergegeben, was zu diesem Zeitpunkt bekannt war. So berichtete die Nachrichtenagentur dpa um 13.44 Uhr über mindestens 22 Tote auf israelischer und ebenfalls mindestens 22 Tote auf palästinensischer Seite. Beides hätte man mit einem kurzen Blick auf den Zeitstempel der Meldungen erkennen können. Auch auf diese Fehler wurde die Taz hingewiesen, mit der Bitte, sie umgehend richtigzustellen.
Aber in der Taz-Ausgabe vom Freitag, dem 11. Oktober 2024, wurden diese Fehler weder korrigiert noch die Gegendarstellung der jW abgedruckt. Statt dessen wird an hervorgehobener Stelle auf Seite sechs ein »Brief des Tages« präsentiert. Dort wird dann – unter Bezug auf den oben genannten Beitrag – übereifrig und verschärft weiter gelogen: »Die junge Welt belegt mit ihrem angeblichen Antiimperialismus, der zum Bejubeln des Massenmordes an den TeilnehmerInnen des Psytrance-Festivals Nova am 8. Oktober führte, leider eine erschreckende Kontinuität.« Noch einen Tag zuvor hatte die Taz in diesem Zusammenhang der jungen Welt Verharmlosung vorgeworfen, nun aber soll diese Zeitung ein Massaker, das ihr noch gar nicht bekannt sein konnte, sogar bejubelt haben. Es bleibt nicht die einzige Unwahrheit im Leserbrief, denn die angebliche Kontinuität in der jW-Berichterstattung wird folgendermaßen hergeleitet: »Als Sarajewo in den Jahren 1992 bis 1994 von serbischen Truppen belagert und beschossen wurde, konnte man in der jungen Welt nahezu jeden zweiten Tag Berichte lesen, die unschwer als Presseerklärungen der serbischen Armee erkennbar waren.« (…) »Der verantwortliche Redakteur hieß damals Jürgen Elsässer.« Der stieß aber erst im Mai 1994 (zunächst als freier Mitarbeiter) zur jungen Welt. Richtig ist lediglich, dass die junge Welt die damaligen Vorgänge in Jugoslawien, aber auch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg unter deutscher Beteiligung auf das Land völlig anders bewertet als die Taz. 1997 versuchte Elsässer übrigens mit anderen einen Putsch gegen die junge Welt und etablierte, als dieser scheiterte, die Wochenzeitung Jungle World als Konkurrenzprodukt – mit tatkräftiger Unterstützung der Taz: Die erste Ausgabe lag der Taz bei. Schon die Aufmacherschlagzeile war eine dreiste Lüge.
Wie aber ist diese mangelnde Professionalität einer etablierten Zeitung zu erklären, die doch ihr Handwerk verstehen müsste? Ein Erklärungsansatz: Die Taz hat im September 2024 offiziell verkündet, dass sie ab Mitte Oktober 2025 nur noch am Wochenende gedruckt erhältlich sei, der Rest werde dann ausschließlich digital geliefert. Die Taz weiß aus Befragungen, dass nicht wenige Leserinnen und Leser der Zeitung sich dann einer anderen gedruckten Tageszeitung zuwenden wollen. Geht es also womöglich darum, ein Konkurrenzprodukt möglichst schlecht dastehen zu lassen, auch um Leserabwanderungen dorthin zu verhindern? Denn die junge Welt baut zwar ihre Internetpräsenz aus, kämpft aber gleichzeitig für das Weitererscheinen der gedruckten Version. Einer der Gründe dafür war diese Woche in der Taz vom 9. Oktober nachzulesen. »Tod eines Kulturguts«, heißt die Überschrift eines Beitrags von Georg Seeßlen, in dem er bemerkt: »Gedruckte Zeitungen sterben, und der Demokratie geht es auch nicht besonders gut. Möglicherweise hat das eine doch etwas mit dem anderen zu tun.«
Das Kulturgut gedruckte Tageszeitung hat viele Vorteile. Einer davon ist, dass man Fehler, die bei der journalistischen Arbeit passieren, offen und ehrlich (und damit nachvollziehbar für die Leserinnen und Leser) durch eine gedruckte Berichtigung korrigiert. In der digitalen Sphäre könnte man das zwar auch so machen, muss man aber nicht, wie es die Taz am oben genannten Beispiel vormacht: Zwei ihrer Fehler (es gab keine Titelseite mit dem Aufmacher »Gaza schlägt zurück« und der angegriffene Beitrag in der jW ist nicht, wie behauptet, ein Tag nach dem Massaker erschienen) wurden in der Taz-Onlineversion des Beitrags »Alte junge Welt« in aller Stille korrigiert, ohne dies auch nur über den Zeitstempel für die Leserschaft nachvollziehbar zu machen.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (14. Oktober 2024 um 12:38 Uhr)Die abgebildete Werbeanzeige spricht Bände. Manche bleiben ein Leben lang Verräter - so wie die Taz und ihre Partei.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Jana J. (13. Oktober 2024 um 10:24 Uhr)Die teilweise Fragwürdigkeit der taz kann ich als ehemalige regelmäßige Leserin der taz nur bestätigen, weshalb ich das Abo dann auch kündigte. So viel mir als erstes Werbung auf, welche mit ihren Bildern rassistische oder diskriminierende Gedanken förderte. Diese verschwanden zwar nach meinem Protest dagegen, eine Rückmeldung/ Entschuldigung gab es aber nie. Wie gekonnt schleichend bei der taz rassistische/ diskriminierende Gedanken verbreitet werden zeigt unter anderem sehr gut der Artikel https://taz.de/Moeglicher-Ersatz-fuer-Joe-Biden/!6019202/ in welchem die Eigenschaft schwul neben ungeeignet/ unerfahren steht. Ich kann nur sagen: Leser der taz macht die Augen besonders groß auf und entlarvt, was man Euch so nebenbei unterjubeln möchte! Es ist in so mancher Zeitung/ in so manchen Medien ganz gezielt unterschwellig und nicht nur aus Versehen - und das ist die große Gefahr!
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