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06.09.2018, 16:15:30 / Sommerabo

Rotlicht: Hegemonie

Von Niklas Sandschnee
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Karl Marx schreibt im dritten Band des »Kapitals«: »Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klassen in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft.« Der Philosoph und Ökonom streute diese Bemerkung in einem Absatz, in dem er den Unterschied zwischen »zinstragendem« und »Wucherkapital« diskutiert, eher beiläufig ein. Er formuliert eine Kritik an denjenigen »ökonomischen Apologeten« des Kapitals, die davon schwärmten, dass immer wieder auch der eine oder andere aus nicht vermögendem Elternhause es schaffe, zum Kapitalisten aufzusteigen. Dass also – in einem heute geläufigen Bild für den »amerikanischen Traum«, aus dem die bürgerliche Phantasie nie ganz erwacht – gelegentlich der Tellerwäscher zum Millionär wird.

Marx’ Pointe ist, dass dies eben nicht das brutale Faktum der Klassenherrschaft verschwinden lässt, sondern ganz im Gegenteil zeige, wie quietschfidel diese sei. Denn oft genug nehmen die motiviertesten und intelligentesten Kinder der beherrschten Klassen als Aufsteiger eine aktiv reaktionäre Rolle ein, indem sie den Beherrschten nun sich selbst als leuchtendes Beispiel für die frohe Botschaft von Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit präsentieren und dem sentimentaleren Teil der herrschenden Klasse das beruhigende Gefühl vermitteln, dass das Elend der Untengebliebenen irgendwie auch selbstgewählt ist – sie hätten sich ja nur mehr anstrengen müssen.

Dieser Mechanismus ist Teil einer breiteren Strategie zur Herstellung von etwas, das der marxistische Machiavellianer Antonio Gramsci mit dem Begriff der »Hegemonie« bezeichnete. Dieses dem Altgriechischen entlehnte Wort, das ursprünglich einmal »Heerführung« oder »Oberbefehl« hieß, meint die Herstellung von Klassenherrschaft unter Einbindung von Fraktionen verschiedener anderer Klassen. Von Bedeutung sind hier nicht nur die aufgestiegenen Tellerwäscher, sondern beispielsweise auch Lehrer, die ihren Schülerinnen vermitteln, dass sie die Hoffnung auf Aufstieg nicht aufgeben sollen, Politiker, die Gründungszuschüsse für Hartz-IV-Empfänger beschließen, und Philanthropen, die mit günstigen Mikrokrediten der ländlichen Bevölkerung im Trikont ermöglichen wollen, ihre Produkte auf dem Weltmarkt feilzubieten.

Gerade in der Debatte um den sogenannten Linkspopulismus wird dieser Begriff oft verwendet. Bei der »Gegenhegemonie«, die man organisieren möchte, fällt allerdings auf, dass ihre Wortführerinnen sich eher an den Machiavellianer als an den Marxisten Gramsci halten: Es ist vor allem ein Kampf um »Köpfe« oder »Milieus«, die in Feldherrenmanier zu »neuen Mehrheiten« zusammengezogen werden. Dagegen muss festgehalten werden, dass die Tücke des oben beschriebenen Mechanismus eben die ist, dass er an die materiellen Interessen vieler Beherrschter anschlussfähig ist. Niemand will gern ganz ohne Aufstiegsperspektive sein, wenn die Ausbeutung selbst nicht zur Disposition steht.

Der Kampf um Hegemonie kann deshalb von links nicht aufgenommen werden, wenn die Klassenfrage nicht deutlich gestellt wird. Das ist auch unumgänglich, weil es eine Perspektive gibt, die gefährlicher ist als die solide bürgerliche Klassenherrschaft: Denn mit marodierenden Kleinbürgern, Lumpenkapitalisten und Aristokratinnen ohne Hof als Klientel der Kurz’, Gaulands und Trumps dieser Welt formiert sich eine Kraft, die die beherrschten Klassen mit rassistischer Spaltung und unmittelbarem Zwang niederhalten will – und die auch deswegen auf wenig Gegenwind trifft, weil einerseits die Aufstiegsversprechen der liberal-bürgerlichen Hegemonie immer fadenscheiniger geworden sind und andererseits die bizarre Ungleichheit fast schon als naturgegeben hingenommen wird, so dass nur noch gefragt wird, wen sie treffen soll.

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