Leserbrief zum Artikel Lumet gestorben
vom 11.04.2011:
Das hat Sidney Lumet nicht verdient
Wenn man den Nachruf auf Sidney Lumet liest, beschleicht einen der Verdacht, dass der Verfasser weder den Regisseur kennt noch dass er die Filme, über die er dort schreibt, überhaupt gesehen hat. Sonst wüsste er nämlich, dass Lumet in seiner langen Karriere immer wieder auch mit der filmischen Form experimentiert hat, oft mit überraschendem Ergebnis. Wie in der "Pfandleiher", in dem er mit flashartigen, nur wenige Bilder dauernden Einstellungen das Innenleben der traumatisierten Hauptfigur visualisiert. Oder aber mit seinem"dokumentarischen" Erzählansatz in "Serpico". Und selbst in einem Genrefilm wie "Mord im Orientexpress" gewinnt er dem begrenzten Inneraum der Eisenbahnwaggons mit dem raffinierten Wechsel der Brennweiten eine irritierende, klaustrophobische Atmosphäre ab. So etwas bemerkt man natürlich nur, wenn man einen vorbehaltlosen und offenen Blick auf diese Filme wirft, statt irgendwelche Gemeinplätze heruntertzleiern, die man mal irgendwo aufgeschappt. Es ist halt immer schwerer, genau hinzuschauen und den eigenen Kopf anzustrengen. Eine Fähigkeit, die Sidney Lumet Zeit seines Lebens ausgezeichnet hat, und die ihn zu einem der ganz großen Regisseure der letzten fünfzig Jahr hat werden lassen.