Leserbrief zum Artikel Von Rosa zu Wiglaf
vom 22.05.2020:
Auferstehung eines Denkmals
Der Vorgang könnte in diesen Landen einmalig sein, ein Denkmal der Erinnerungskultur ist auferstanden – in der sächsischen Bergstadt Zschopau. Es erinnert an Ernst Thälmann. Dessen Biographie gilt als »umstritten«. Der aus kleinen Verhältnissen kommende Hamburger Arbeiter entwickelte sich zum Führer der deutschen Kommunisten. Er wurde geliebt, gehasst, heroisiert, verehrt, verleumdet, missbraucht. Für seine Freilassung aus Nazihaft gingen auf der ganzen Welt Hunderttausende auf die Straße. Zu dem Prozess gegen ihn, den die Nazis nie durchzuführen wagten, hatten sich 1.000 Journalisten aus der ganzen Welt vorangemeldet. Mag man zu Thälmann stehen, wie man will, er hat einen Platz in der deutschen Geschichte. Wie er als Führer der deutschen Kommunisten zu beurteilen ist, mögen jene befinden, die meinen, Kommunisten zu sein. Das Urteil seiner Feinde wird immer zu ihren eigenen Gunsten ausfallen. Die geschichtliche Einschätzung, nach den Gepflogenheiten des Zeitgeistes, vermag wohl auch eine objektive Betrachtung nicht aufzubringen. »Immer schreibt der Sieger die Geschichte des Besiegten«, sagte Bertolt Brecht. Gilt das auch für die historische Einordnung Ernst Thälmanns? Seine Ideale haben eine Niederlage erlitten, obgleich die Sieger gegenwärtig und zukünftig bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken. Was anstandshalber bleiben sollte, ist zumindest der Anspruch auf eine pietätvolle Erinnerungskultur. In der kleinen Stadt Zschopau errichteten jene, die Thälmann einst verehrt hatten, 1976 ein bescheidenes Thälmann-Denkmal – eine nüchterne Betonwand, gegossen vom Hausmeister und den Schülern der benachbarten Schule. Darauf eine schmückende gusseiserne Reliefplatte mit dem Profil Thälmanns, ein schmiedeeiserner Schriftzug: »Ernst Thälmann ist niemals gefallen«, und ein Flammenpylon. Bis 1990 wurde die Stätte regelmäßig von Pionieren, FDJlern und Menschen, die irgendwie eine Beziehung zu Thälmann hatten, besucht. Manche wurden auch an die Stätte »abgeordnet«. Nach 1990 kam niemand mehr. Die Natur bemächtigte sich der Erinnerungsstätte. Einmal entdeckten Zschopauer Gymnasiasten das Denkmal und legten es notdürftig frei. Ein bisschen Vandalismus konnte dem beständigen Material wenig anhaben. 2019 erinnerten sich Mitglieder des Vereins Erzgebirgsfreunde Russlands durch Zufall an das Denkmal. Die dem Verfall und Vandalismus preisgegebenen künstlerischen Teile waren zu bejammernswert. Darum boten die Vereinsmitglieder der Denkmalbehörde an, dessen substantielle Teile zu erwerben. Nach dem Gesetz zum Schutz und der Pflege der Kulturdenkmale im Freistaat Sachsen ist aber ein eingetragenes Denkmal vorrangig zu erhalten und zu pflegen. Nachdem der Rechtsträger des eingetragenen Denkmals, die Stadt Zschopau, an diese Pflicht erinnert worden war, wurden Fördermittel beantragt. Deshalb muss niemand befürchten, Mittel der Kommune hätten dafür herhalten müssen. Es gereicht der kleinen Stadt zur Ehre, sich auch diesem Erinnerungsdenkmal zuzuwenden! Seit dem 9. März 2020 wurde das Denkmal der Erinnerungskultur dem gesetzlich vorgeschriebenen Zustand zugeführt. Am 20. Mai war die Sanierung beendet, und das Denkmal präsentiert sich seitdem in einem würdigen Zustand. Es wahrt die Erinnerung an einen Deutschen, dem fünf Millionen Wähler 1933 bei der Reichpräsidentenwahl ihre Stimme gaben, der als Wahlkandidat gegen Hitler und Hindenburg antrat, wohl wissend, dass er nicht Reichspräsident werden, sondern den ganzen Hass seiner Gegner auf sich ziehen würde. Das Denkmal ist Erinnerung an einen Menschen, den die Nazis elf Jahre in ihren Kerkern quälten. Sein Todesurteil wurde in Hitlers »Wolfsschanze« am 18. August 1944 gefällt: »Thälmann ist zu exekutieren.« Der Befehl ging an den Judenschlächter Heinrich Himmler. Er wurde prompt ausgeführt.Vielleicht ist es sogar zeitgemäß, an den Arbeiterführer zu erinnern. In Zschopau werden eben durch die weltweit agierende Industriefirma Voith im Rahmen der Schließung des hiesigen Produktionsstandortes erneut 80 Arbeitsplätze in der weitgehend deindustrialisierten Region den Profitinteressen geopfert. Die Erinnerung den Arbeiter Thälmann ist Anstand, sie ist gebührliche Erinnerungskultur. Möge das Denkmal in diesem Sinne ungestört dienlich sein.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 26.05.2020.