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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Mengistu zum Tode verurteilt vom 27.05.2008:

Richtiges Ziel, falscher Weg

Geht man grundsätzlich von der Möglichkeit eines nichtkapitalistischen Weges eines Entwicklungslandes aus, dann bestehen ipso facto auch immer die "objektiven Voraussetzungen" für einen solchen Weg. Alles andere würde bedeuten, Staaten der "dritten Welt" in jedem Fall zum Durchlaufen einer längeren kapitalistischen Phase zu verdammen.
Die Verkündung des Sozialismus als Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung und der Wunsch nach Umgehung einer klassisch kapitalistischen Phase ist also durchaus zulässig und nicht in jedem Fall von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Wofür jedoch - in Äthiopien ebenso wie in Angola, Mozambique und anderen vergleichbaren Staaten - tatsächlich keinerlei objektive Voraussetzungen bestanden, war folgendes: den Sozialismus nicht nur als Fernziel zu verkünden (was legitim war und bleibt), sondern ihn bereits hier und jetzt aufbauen zu wollen - überdies mit ganz und gar untauglichen Mitteln und unter völliger Mißachtung der nationalen Besonderheiten. Denn um den Sozialismus aufbauen zu können, müssen erst einmal alle vorsozialistischen "Hausaufgaben" gemacht worden sein. Es ist schon ein gewisses Niveau der Produktivkräfte, ein gewisses Maß an gesellschaftlichem Bewußtsein, an staatlicher Konsolidierung sowie an kultureller Entwicklung notwendig. Dafür allerdings fehlten wahrlich jegliche objektive Voraussetzungen in Äthiopien. Dazu kam unter Mengistu eine Führung, deren rücksichtslose und voluntaristische Methoden mehr jenen einer konventionellen despotischen (und reichlich nationalistischen) Militärdiktatur glichen, denn einer ernsthaften, schrittweise und maßvoll vorgehenden klugen sozialistischen Regierung.
Kurz: Nicht das Ziel war falsch, sondern der Weg, seine Einschätzung und die verwendeten Mittel.
Johannes Bertl