Vorsicht, Falschmeldung
Um Gottes Willen, was ist passiert? Und was soll künftig nicht mehr vorkommen? Daß ein Kommentator kommentiert? Seine Meinung sagt? Die dann womöglich nicht die von Gabi Zimmer ist? Und was sind die notwendigen Konsequenzen? Sofort rausschmeißen, diesen Mann? Nie wieder einen Kommentar, der Gabi Zimmer nicht gefallen könnte? Was war denn nun so verwerflich an dem Beitrag?
Harald Neuber hat einen Vorgang im Europäischen Parlament bewertet: Der Abgeordnete Brie durfte diesem einen Bericht über die angebliche Stabilisierung Afghanistans vorlegen. In diesem Rapport kommt Brie zur Erkenntnis, daß dem zivilen Engagement gegenüber dem militärischen künftig mehr Gewicht beizumessen sei. Neuber bemerkt zum einen, daß damit die militärische nicht ausgeschlossen und zum anderen die Aufbauhilfe von ihr nicht getrennt werden kann, weil sie Teil der militärischen Planung sei. Das Parlament der EU selbst macht aber Schluß mit dieser Art von Verklärung: Der Bericht wird in der Aussage verschärft, und beispielsweise wird festgehalten, daß für die EU die Präsenz ausländischer Truppen in Afghanistan auch künftig unabdingbar sei. Daraufhin zog Berichterstatter Brie seinen Namen von dem veränderten Bericht zurück. Neuber schätzt nun ein, daß Druck aus den eigenen Reihen Brie zum Nachdenken gebracht haben »dürfte«. Neuber vermutet desweiteren, daß dies wohl nur ein strategischer Rückzug gewesen sei und schließt seinen Kommentar mit dem Satz: »Und der nächste Angriff auf die friedenspolitischen Grundsätze der Linken kommt bestimmt.«
Auch wenn vieles für die Einschätzung Neubers spricht, muß man diese natürlich nicht teilen. Das ist nun mal bei Kommentaren so. Den Ort der Veröffentlichung überschreibt die junge Welt nicht ohne Grund mit »Ansichten«. Was an diesem Kommentar aber Fälschung oder Diffamierung sein soll, weiß wohl nur Frau Zimmer. Jedenfalls zeigt ihr offener Brief immerhin, daß es durchaus möglich wäre, daß die Partei Die Linke sich gegen Falschdarstellung und Verleumdung in den Medien wehren könnte – von denen es ja tatsächlich nicht wenige gibt. Wie das gemeint ist? Stellen Sie sich doch mal vor, nach den üblen Angriffen auf das frischgewählte Mitglied des niedersächsischen Landesparlamentes Christel Wegner im Fernsehmagazin »Panorama« (ihr wurde unterstellt, daß sie die »Stasi« zurückwolle) hätte sich die Sprecherin ihrer damaligen Fraktion Die Linke in einem offenen Brief an Panorama darüber beschwert: Der Beitrag sei schlecht recherchiert, enthalte zahlreiche der Wahrheit nicht entsprechende Aussagen, diffamiere und verleumde die Kollegin Christel Wegner, male ein falsches Bild, negiere Tatsachen oder sei gar wissentlich falsch. Der Beitrag sei nicht allein ein Angriff auf Christel Wegner, sondern auf die ganze Fraktion usw. usf.
So war das vor einem halben Jahr aber leider nicht. Frau Zimmer wiederum reicht nun ein nichtgenehmer Kommentar, um die junge Welt massiv und öffentlich anzugreifen und ihr sogar zu unterstellen, sie würde wiederholt wissentlich falsch über ihre Fraktion berichten. Warum aber nur? Zimmer will offensichtlich neue Mitglieder, Wähler und Sympathisanten der Linken, aber auch Funktionäre der eigenen Partei vor dieser Zeitung warnen. Dabei belegen gerade jW-Kommentar und ihr offener Brief eindrücklich, warum es dieser unabhängigen, linken Tageszeitung so dringend bedarf. Deshalb sollten Sie auch beide Werke ungekürzt auf unserer Internetseite nachlesen. Und wir können Ihnen nur empfehlen, danach »die richtigen Konsequenzen zu ziehen«. Den Abocoupon finden Sie auf dieser Seite, aber auch im Internet.
Verlag, Redaktion, Genossenschaft
09.07.2008 / Ansichten / Seite 8: Strategischer Rückzieher des Tages: André Brie
Den Offenen Brief von Gabi Zimmer finden Sie als Anlage zu diesem Text im pdf-Format.
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